Es geht in dieser Kolumne um das Vergleichen von Äpfeln und Birnen. Von Dingen, die weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick etwas gemeinsam haben.
Die Tour de France stellt seit über 100 Jahren eines der größten Sportereignisse jeden Sommers dar. Und sie ist, wie jedes Ereignis dieser Größe und Güte, mehr als Sport. Romane und Filme wurden ihr gewidmet, als ganz großer französischer Beitrag zur Weltkultur gilt sie, und für das Land selbst hat sie eine Identität stiftende Wirkung, wie sie sonst nur der Résistance zukommt.
Als Weltsportereignis ersten Ranges steht die Tour auch in Konkurrenz zu den Olympischen Spielen, zu den Fußballweltmeisterschaften, zum Tennisturnier in Wimbledon oder zum Superbowl im American Football.
Je mehr die europäische Integration voranschreitet und je seltener französische Sieger zu erwarten sind, desto weniger gilt die Tour als bloß französische, denn eher als europäische Veranstaltung. Selbstverständlich lässt das Management auch Etappenorte außerhalb Frankreichs zu, und das außerfranzösische europäische Medieninteresse am Radsport ist auch in diesem Jahr wieder immens.
Vor allem aber bietet die Tour ja großen Sport, und der bietet ja mehr als alle am Rande befindlichen Aspekte den Stoff zur Analyse und zum Vergleich.
Bei der diesjährigen Tour de France soll es, so schrieben es beinah alle, zum Showdown zwischen Lance Armstrong und Jan Ullrich kommen. Von dem, was dieses Duell symbolisch bietet, will man sich auch nach der vernichtenden Niederlage Ullrichs in der ersten Etappe nicht trennen: Der Deutsche wurde in einem Einzelzeitfahren von dem Amerikaner eingeholt.
Waren das die Äpfel, so kommen nun die Birnen in diese Kolumne. Jan Ullrich und Lance Armstrong sind nämlich nicht nur individuelle Sportler mit Aussicht auf große Titel, sie sind auch Symbole, sie haben eine Herkunft, ihre sportliche Leistung wird in einem bestimmten historischen und medialen Rahmen erbracht und auch wahrgenommen.
Der Deutsche Jan Ullrich ist vor allem der Europäer, er ist der Lebemann, der in der Schweiz wohnt, gerne guten Wein trinkt und im Frühjahr seine Wampe abtrainieren muss. Lance Armstrong hingegen ist die Maschine aus Texas, verbissen, perfekt planend, den Sieg um jeden Preis wollend. So etwa funktionieren hiesige Wahrnehmungen, und weil man in der europäischen Öffentlichkeit seit George Bush und J.R. Ewing gelernt hat, das Böse der USA vor allem in Texas zu verorten, hat Armstrong medial keine Chance. Er gewinnt ständig - im letzten Jahr zum sechsten Mal -, und er hat seinen Hodenkrebs besiegt. Das sind Dinge, die man in Europa respektiert, die aber noch lange nicht zu taugen, ihm Verehrung entgegenzubringen. Ullrich hingegen gilt, obwohl in der medialen Selbstpräsentation um einiges hölzerner als Armstrong, als der sympathische Verlierer, als das schlampige Genie, das, wenn es nur wollte, immer den großen Ami schlagen könnte. Dass dem eigentlich Überlegenen dieser Sieg partout nicht gelingen will, irritiert kaum. Er könnte ja, wenn er nur wollte, aber leider kommt unserem Jan immer etwas dazwischen.
Die Tour de France war immer eine europäische Veranstaltung, der Radsport gilt - nicht ganz zu Recht, aber das ist egal - immer als eine europäische Domäne. Neben der Tour gibt es den Giro d´Italia und die Vuelta in Spanien. Ausgerechnet in den ausgehenden Achtzigerjahren, als sich die Welt neu sortierte, gewann Greg Lemond als erster Amerikaner dreimal die Tour.
Die erste Attacke auf den kulturellen Besitzstand des Abendlandes konnte noch sehr elegant abgefedert werden. Lemond fand in den USA nicht genügend Sponsoren und änderte seinen Namen in LeMond, um für europäische Märkte attraktiver zu werden. Dann aber kam Armstrong und gewann 1999 erstmals. Anders als der für europäische Radställe fahrende LeMond gewann Armstrong für das US-Postal-Team, in diesem Jahr tritt er für das Team des Discovery Channel an.
Einerseits stand Armstrong für die erfolgreiche Globalisierung des früheren Europa- und heutigen Weltspektakels Tour de France. Andererseits aber symbolisierte Armstrong damit auch die amerikanische Seite im Kampf um kulturelle Hegemonie im Sport.
Äpfel und Birnen sind in einer kapitalistischen Gesellschaft zunächst mal Waren und also gegen Geld tauschbar. Der große Sport, den Armstrong und Ullrich beide bieten, ist also nicht nur vergleichbar mit den großen politischen und gesellschaftlichen Spannungen, die mit Begriffen wie Hegemonialkrise und Antiamerikanismus skizziert werden, er ist ein nicht geringer Bestandteil davon. Und dass die Tour de France die Menschen so fesselt, liegt vermutlich eher an diesem leicht zu fühlenden Symbolgehalt der Tour als an dem Umstand, jeden Sommer von deutschen Fernsehreportern aus dem Baedeker vorgelesen zu bekommen.
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