Olympischer Verteidigungsfall

Olympia In Kanada will Deutschland den ersten Platz in der Nationenwertung verteidigen. Schön jetzt rekordverdächtig: der hohe Soldaten-Anteil unter den Spitzensportlern

Vancouver hat 600.000 Einwohner und drei Milliarden Zuschauer. In diesen Tagen zumindest, denn am Freitag werden in der west‑ kanadischen Stadt die Olympischen Winterspiele eröffnet.

Wer sich an alpiner Abfahrt, Bobfahren oder Curling delektiert, sollte wissen, dass das Sportfest vor allem ein gigantisches Medienereignis ist. An solch großen Ereignissen hängen mehr als nur die Interessen der Teilnehmer, im Falle von Vancouver gilt sogar: Die Sportler haben so gut wie nichts zu sagen.

Damit die halbe Menschheit auch wirklich zuschaut, wird das Ereignis entsprechend zubereitet: In Sportstätten, die Pacific Coliseum, Richmond Olympic Oval oder Whistler Creekside heißen, werden im Prinzip einfache sportliche Wettkämpfe als Event inszeniert, bei dem es wenigstens um alles geht.

Solche Inszenierungen verändern den Sport. Eine über 100 Jahre lang als sehr soldatisch, sehr deutsch und sehr überflüssig geltende Militärsportart wie das Biathlon etwa ist plötzlich ein Quotenrenner im Fernsehen. Damit das so ist und bleibt, wird es mit einer Vielzahl von Kameras inszeniert, als ob James Bond sich vor Verfolgern flüchte.

Das geschieht aus ökonomischem Zwang heraus. Sportverbände, die keine Aufmerksamkeit mehr finden, erhalten kein Geld, und die Möglichkeit, fürderhin Spitzensport zu organisieren, schwindet. Dass diese Kapitalisierung des Sports im Interesse der Sportler geschieht, lässt sich nicht behaupten.

Wie wenig die Sportler zu melden haben, merkt man schon an der bemerkenswerten Staatspräsenz in Vancouver. Im Wintersport gibt es kaum Aktive, die für sich selbst genügend Geld akquirieren können, um als Weltstars ein wenn schon nicht glamouröses, so doch zufriedenes Leben zu führen – was ihnen, eingedenk ihres medialen Ruhms, durchaus zustünde. Das Gros der deutschen Aktiven kann nur deswegen in der Weltspitze mithalten, weil es sich von Verteidigungsminister Guttenberg mit „Stabsunteroffizier“ anreden lassen muss. 66 Prozent der deutschen Medaillengewinner der letzten Spiele in Turin waren Sportsoldaten. Das Verteidigungsministerium ist seit Jahren der zweitgrößte Sponsor des deutschen Sports.

Mit den Arbeitsverträgen bei der Bundeswehr will der Staat sicherstellen, dass die besten Sportler wirklich für Deutschland antreten. Der vom Weltmarkt bewirkte Trend, dass Nationalstaaten an Bedeutung verlieren, hat auch den Sport erfasst, und Spitzensportler sind, wenn sie mit ihren nationalen Verbänden unzufrieden waren, für andere Länder gestartet: die deutsche Abfahrsläuferin Christa Kinshofer für die Niederlande, der deutsche Langläufer Johann Mühlegg für Spanien.

Der Olympiasieger im Rudern und Wirtschaftsprofessor Wolfgang Maennig spricht davon, dass „wir es im Grunde in Vancouver schon fast mit Militärfestspielen zu tun“ haben. Dem Staat kommt diese Entwicklung zupass, was man schon daran sehen kann, dass er gewöhnlicherweise eher Sozialabgaben kürzt als Sportfördermittel zu streichen. Mit Hilfe des Medaillenspiegels – den die Olympische Bewegung, ganz nebenbei erwähnt, den Organisatoren der Nazi-Spiele von 1936 zu verdanken hat, die damit die Überlegenheit Deutschlands und der „arischen Rasse“ zeigen wollten – soll auch heute noch nationale Potenz demonstriert werden. „Wir treten als Titelverteidiger an“, verkündet dementsprechend der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, Thomas Bach, mit Blick auf die Nationenwertung.

Wenn die Spiele vorüber sind, wird Vancouver immer noch 600.000 Einwohner haben. Im Jahr 2014 aber werden drei Milliarden Zuschauer aufs russische Sotschi schauen.


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