Schläge ins Gesicht

Im Kino "Das Comeback" von Ron Howard macht seine Hauptfigur, den Boxchampion James Braddock, uninteressanter, als sie es tatsächlich war

Der erste Eindruck ist ein Abdruck. Der eines von einem Schlag verformten Gesichts eines Boxers, abfotografiert aus einer Zeitung. Und dann: wumm. Aus dem Foto wird ein Film; man sieht den Schlag, man sieht, wie Jimmy Braddock trifft und wie Braddocks Gegner zu Boden fällt.

Das Comeback mit Russell Crowe ist ein Film über das Leben des Boxers James J. Braddock. Ende der zwanziger Jahre ist das ein aufstrebender Boxer unter vielen aufstrebenden Boxern. Er kann sich materiell etwas leisten, ein Haus beispielsweise, und er hofft darauf, einmal Weltmeister in seiner damaligen Gewichtsklasse, dem Halbschwergewicht, zu werden. Jimmy ist mit Mae (Renée Zellwegger) verheiratet, die beiden haben drei Kinder, und in dieser kaum filmtauglichen Kleinbürgeridylle kommen zwei Dinge dazwischen: erstens eine Handverletzung Braddocks, die ihn daran hindert, seine starke Rechte weiter einzusetzen - davon erfährt man erst im Verlauf des Films näheres; zweitens die Weltwirtschaftskrise 1929 - von ihr ist in einer Untertitelung zu lesen. Diese zwei Dinge hauen rein, Braddock bekommt keine Kämpfe mehr, irgendwann wird ihm die Lizenz entzogen, und als Hafenarbeiter hat er auch kein Glück. Die vormals glückliche Familie leidet Not, aber als ein Sohn einmal eine Wurst klaut, bringt Braddock sie zum Metzger zurück: Arm, aber ehrlich leben die Braddocks eben. Nur lässt sich die Stromrechnung so nicht bezahlen, und als sein alter Manager Joe Gould (Paul Giamatti) auftaucht, und dem lizenzlosen Exboxer einen Fallobstvertrag anbietet, wonach er sich für 250 Dollar von einem Ranglistenboxer verhauen lassen soll, willigt der ein.

Braddock gewinnt überraschend, der Grundstein für das Comeback ist gelegt. Er erhält seine Lizenz zurück, und als es ihm gelingt, auch noch gegen ein paar weitere Schwergewichtler zu gewinnen, gehört er auf einmal wieder in den Kreis der Weltklasseboxer. Bald steht ein Kampf gegen Max Baer an, seit 1934 Weltmeister im Schwergewicht. Auf diesen Kampf bewegt sich der Film nun konsequent hin, und wenn man nicht ohnehin wüsste, dass Braddock im Juni 1935 gegen Max Baer Schwergewichtsweltmeister wurde, die Dramaturgie des Films irritierte einen diesbezüglich gewiss nicht.

Wie Max Baer allerdings in dem Film gezeichnet wird, bewegt sich hart an der Grenze zum Skandal. Baer, der seit 1933 mit einem auf die Trousers gestickten Davidstern in den Ring trat, wird als arroganter, aufgeblasener Typ dargestellt wird, der boxerisch den Ruf des unbezwingbaren Todschlägers hätte. Dabei war Baer wie Braddock einer der Boxer, die sich Ende der zwanziger Jahre hochgeboxt haben. Wie Braddock war er Anfangs der Dreißiger einer der Boxer, die ihre Chance suchten. Zu Beginn seiner Karriere war einer seiner Gegner im Ring gestorben, später starb ein ehemaliger Gegner von ihm, und die Behörden gaben ihm eine Teilschuld. Baer, der sich ein jüdisches Image gab, obwohl er Kind katholischer Eltern war, lieferte 1933 einen hochsymbolischen Kampf gegen Max Schmeling, den er in der 10. Runde durch technischen K.o. bezwang.

Vor dem Braddock-Kampf 1935 hatte Baer - was in dem Film überhaupt nicht erwähnt wird - einen Kampfvertrag mit Max Schmeling um den WM-Titel abgeschlossen. Der Kampf sollte zunächst in Deutschland, schließlich in einem Dorf in der Nähe von Amsterdam, aber immer organisiert von einem deutschen Promoter, stattfinden, wo Baer die deutschen Nazimachthaber mit seinem Davidstern provozieren wollte. "Jeder Schlag ins Gesicht von Schmeling ist ein Schlag in das Gesicht von Adolf Hitler", begründete Baer seine Bereitschaft zu dem Kampf. Baers Kampf gegen Braddock galt ihm nur als eine lästige Pflichtverteidigung auf dem Weg zu diesem großen Ereignis, und nicht nur er war sehr überrascht dass der Außenseiter Braddock gewann. In der Darstellung von Comeback war der Kampf Braddocks gegen Baer jedoch die von einer ganzen Nation ersehnte Klimax der Auseinandersetzung des ehrlichen christlichen Hafenarbeiters gegen den jüdischen Lebemann.

Spätestens hier wird der Film zum zweiten Mal historisch brüchig. Der erste historische Fehler ist, dass so getan wird, als sei die Krise der amerikanischen Schwergewichtsszene, die von 1928 bis Mitte der dreißiger Jahre reichte, auch eine Krise bezüglich der Verdienstmöglichkeiten der Boxer gewesen. In Wirklichkeit aber tummelten sich erstmals in der Geschichte sowohl ausländische Boxer als auch Boxer aus gesellschaftlichen Schichten Amerikas, denen vorher der Zugang zum Berufsboxen verwehrt war: Schwarze, Juden, Italoamerikaner. Für sie war gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise das Boxen eine realistische Chance zum sozialen Aufstieg, und die Suche nach einem alles dominierenden Schwergewichtschamp war erst 1937 abgeschlossen, als Joe Louis den Titel erkämpfte, übrigens gegen Jimmy Braddock.

Max Baer jedoch war, anders als der Film ihn zeichnet, definitiv nicht der alles dominierende Boxer, vor dem die ganze Branche Angst hatte. Ob, wie in Amerika viele Kritiker sagen, die Darstellung Baers in dem Film auch antisemitische Züge trägt, ist schwer zu beurteilen. Ein Lebemann, den es auch in die Glamourwelt des Films zog, war Baer in jedem Fall, und, was in den USA bekannter ist als in Deutschland: ein Jude war er nicht.

Ein Jude, sogar ein gläubiger und frommer Jude, war hingegen Braddocks Manager Joe Gould, dem in dem Film aber immer Flüche wie "Jesusmaria" oder "Grundgütiger" in den Mund gelegt werden. Eine Lappalie, gewiss, aber eine, die zeigt, dass die Frage, ob einer ein good guy oder ein bad guy ist, in dem Film immer ans Religiöse gekoppelt wird: Braddock und sein Manager werden als Christen gezeigt, Baer als Jude.

Die Geschichte des Jimmy Braddock bricht in dem Film in dem Moment ab, in dem er 1935 Weltmeister wird. Die folgende Auseinandersetzung, dass Braddock gegen Schmeling hätte seinen Titel verteidigen müssen, dass er einen angesetzten Kampftermin zweimal platzen ließ und dafür von Joseph Goebbels beschimpft wurde ("Dieses Schwein stellt sich aus Feigheit nicht. Echt amerikanisch") erzählt der Film nicht. Auch dass Braddock, vor die Wahl gestellt, von wem er sich verprügeln lassen möchte: Schmeling oder Louis, letztlich Louis vorzog, von dessen Promoter er zehn Prozent aller Einnahmen erhielt, die ein Weltmeister Joe Louis bestreiten sollte (Louis blieb es bis 1949), passt nicht mehr in den Film.

Dabei sind es solche Geschichten, die aus der Person Jimmy Braddock, der vielen Boxexperten als einer der schlechtesten Schwergewichtsweltmeister der Geschichte gilt, noch mehr filmreife Konturen herausgeholt hätte. So wird er aber als vermeintlicher Überboxer und Champion des amerikanischen Volkes inszeniert, der sich mit scheinbar nicht ganz so amerikanischen Gegnern wie Max Baer rumprügeln muss, und so der Nation einen Halt in schwerer Zeit gibt.

Was soll man also letztlich über diesen Film mit einem überragenden Russel Crowe sagen? Vielleicht dies: Der Film ist historisch falsch, ideologisch bedenklich und auch sonst sehr gut. Denn, so lautet ein amerikanisches Sprichwort, "you never have a second chance to make a first impression". Und der erste Eindruck war doch ein Abdruck.


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