Über neue Wege der deutschen Sportförderung war neulich zu lesen: Außer Bundeswehr, Zoll und Polizei bietet auch die brandenburgische Landesfeuerwehrschule Spitzensportlern die Möglichkeit, sich finanziell abgesichert auf Großereignisse vorzubereiten. Mit Mirko English trainiert dort beispielsweise ein Ringer für die Olympischen Spiele in Peking. Die Entscheidung, die Feuerwehren in die staatliche Spitzensportförderung einzubeziehen, dürfte Sportjournalisten die Metapher zur Hand geben, im hiesigen Spitzensport brenne es lichterloh.
Ansonsten verweist diese neueste Innovation auf nicht viel Neues. Über 1.000 deutsche Spitzensportler tragen bereits Uniformen: 15 sind es bei der Feuerwehr, 42 waren schon beim Zoll, 98 bei der Polizei, und das größte Kontingent mit 744 stellt die Bundeswehr.
Selbstverständlich findet staatliche Sportpolitik auch woanders statt: in der Schule, im Sportstättenbau, in der Unterstützung von Welt- und Europameisterschaften, in der finanziellen Ausstattung der Nationalen Anti-Doping-Agentur und vielem mehr. Aber solch klassische staatliche Einrichtungen wie das Militär eignen sich besonders, wenn der Staat im Sportbereich eine klassische Staatsaufgabe wahrzunehmen hat: nämlich da einzuspringen, wo etwas, das für die Gesamtreproduktion der Gesellschaft wichtig ist, nicht oder noch nicht profitabel organisiert werden kann.
Tatsächlich sind in den meisten olympischen Sportarten deutsche Medaillengewinne nur deshalb möglich, weil sich Sportler von jemand wie Verteidigungsminister Franz Josef Jung als Stabsunteroffizier oder Oberfeldwebel ansprechen lassen müssen.
Es ist das vorläufige Ergebnis einer Entwicklung, die in den zurückliegenden Jahrzehnten zu beobachten war. In den sechziger Jahren begannen sich Profiklubs zu beschweren, dass ihnen die Bundeswehr wegen der Wehrpflicht ihre Angestellten einzieht. 1968 beschloss der Bundestag, die Bundeswehr solle Sportfördergruppen für Spitzensportler einrichten. Zum einen wurde so der Bitte der Vereine entsprochen, deren Profis weiter optimal trainieren konnten. Zum anderen drückte sich darin das eigene Interesse des Staates aus, gerade vor den anstehenden Olympischen Spielen 1972 in München im internationalen Sportvergleich erfolgreich zu bestehen.
Den Vorwurf, damit würde in der Bundesrepublik das gemacht, was man als "Staatsamateurismus" geißelte, wenn es in der DDR geschah, ignorierte man westlicherseits. Schließlich verstand sich die Sportförderung der Bundeswehr immer eher als begleitend: Es wurde in Absprache mit den Verbänden und Vereinen trainiert. In den achtziger Jahren wurden dann neben den Kasernen teils staatlich, teils von Sponsoren finanzierte Olympiastützpunkte als Modellprojekte für die Zukunft der Sportförderung entwickelt.
Man konnte für die parallel laufenden Entwicklungen der Durchkapitalisierung und der Durchstaatlichung diagnostizieren: Einerseits wurde im Verlauf der achtziger Jahre der Spitzensport zu einer für die Industrie immer lukrativer werdenden Sache, andererseits weckte der entsprechend gewachsene Stellenwert des Sports auch das staatliche Interesse an ihm. Wie groß dieses war, deutete sich in einer großen Krise des Spitzensports 1987 an: Bei der Leichtathletik-WM in Rom belegte die BRD Platz 18 der Nationenwertung, ein SPD-Politiker schimpfte damals: "Es kommt noch so weit, dass wir von Djibouti oder Burundi überholt werden."
Insofern kam der Beitritt der DDR zur BRD 1990 zu einem günstigen Zeitpunkt. Der damalige Innenminister Schäuble legte gemeinsam mit dem Präsidenten des Deutschen Sportbundes, Hans Hansen, bereits im März 1990 ein Konzept zur "Rettung des DDR-Leistungssports" vor. Nach der Vereinigung wurden viele DDR-Spitzensportler als Sportsoldaten der Bundeswehr übernommen.
1991 modifizierte das Militär sein bisheriges Sportförderkonzept gründlich: Spitzensportler wurden nunmehr langfristig gebunden, und den olympischen Sportarten galt die höchste Priorität. Während Profisportsportarten wie Fußball, Formel-1, Tennis oder Boxen weitgehend ohne staatliche Unterstützung auskommen, verzeichnet die staatliche Förderung bei Biathlon, Schwimmen oder Leichtathletik die höchsten Ausschläge. Wenn beispielsweise in der Fußballbundesliga Bundeswehrangehörige auflaufen, dann nur, weil sie Wehrpflichtige sind: In der vergangenen Saison waren das in allen 18 Bundesligaklubs gerade einmal vier. Aber allein 19 der für Peking nominierten Leichtathleten sind Soldaten und Soldatinnen.
Für die Spitzensportler ist der Eintritt in die Bundeswehr in der Regel alternativlos: Unter professionellen Bedingungen kann man nur trainieren, wenn man freigestellt ist. Und wenn der Sport, den man betreibt, nicht zu den durchkapitalisiertesten gehört, muss man halt solange vom Staatssold leben. Die Eisschnellläuferin Anni Friesinger formulierte dies einmal deutlich: "Nach dem Abitur habe ich mir überlegt, ob ich studieren möchte, eine Ausbildung mache oder Profisportlerin werde und habe mich dann für Letzteres entschieden. Um abgesichert zu sein und ein geregeltes Einkommen zu haben, ging ich zur Bundeswehr und war dort in der Sportfördergruppe. Die Bundeswehr war aber nicht meine Welt. Sie war eher ein Mittel zum Zweck. Als ich nach fünf Jahren dann die Möglichkeit hatte, wirklich vom Sport zu leben, bin ich auch wieder ausgetreten."
Der deutsche Weltklasseschwimmer Thomas Rupprath, der auch in Peking starten wird, stand 2002 vor einem ähnlichen Problem: Allein von seinem Sport zu leben, fiel ihm damals noch zu schwer, und so überlegte er, ob er sich nicht bei der Bundeswehr verpflichten solle. Rupprath hatte Glück, wurde Europameister und konnte so Sponsoren gewinnen, die ihm sein Leben als Profischwimmer bezahlten. Für ihn wäre der Eintritt in die Bundeswehr eine persönliche Niederlage gewesen - Rupprath ist nämlich anerkannter Kriegsdienstverweigerer.
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