Leicht hat es der Sportfeind, denn der findet alles blöd: Die elf Männer, die hinterm Ball herlaufen genauso wie das Maskottchen, das Goleo VI heißt und dafür wirbt, dass im Jahr 2006 in Deutschland ganz viele elf Männer hinter dem Ball herlaufen.
Der Freund des Fußballs hat es schwer. Der mag nämlich dieses Spiel so sehr, dass er bereit ist, hier vieles, das ihn sonst stört, zu akzeptieren, vielleicht sogar zu begrüßen. Dass ein erfolgloser Trainer einfach so entlassen wird, stört den Gegner von Hartz IV nicht, wenn er ein Freund des Fußballs ist. Dass eine hässliche Multifunktionsarena gebaut wird, kann den Umweltschützer nicht stören, wenn er ein Freund des Fußballs ist. Dass sich ein Verein in Afrika 15-jährige Talente einkauft, stört den Globalisierungskritiker nicht, wenn es sein Verein ist.
Aber was soll der Freund der Sprache sagen, wenn er den Namen Goleo VI liest? Und was soll der Freund des Schönen sagen, wenn er dieses Plüschtier sieht, das ein Löwe sein soll: braun, zwei Meter dreißig groß, mit sehr langem Hals, ungepflegt und ungelenk. Nicht so hässlich, dass es zu einer Kultfigur wie Alf werden könnte. Nicht zum Knuddeln geeignet, aber Angst vor diesem unförmigen Ding kriegt auch keiner. Goleo VI ist nicht schlimm, ist nicht schrecklich, ist nicht gut, ist, tja, nichts. Immerhin: "Er kann sprechen, tanzen, interaktiv werden", sagt Franz Beckenbauer. Aber das ist ja so was wie nichts.
Fußball-Weltmeisterschaften, das weiß der Freund des Spiels genau, sind Weltereignisse ersten Ranges. Im Jahr 2000 erhielt Deutschland zur Überraschung beinahe aller den Zuschlag für die 2006er Ausgabe des Spektakels, das nach Olympischen Spielen zu den größten Veranstaltungen gehört, die auf der Erde stattfinden. Damals stach Deutschland mit geschickter Geheimdiplomatie den favorisierten Bewerber Südafrika aus. Für Südafrika sprach die Demokratisierung, die charismatische Figur Nelson Mandela, die Überwindung der Apartheid, der fußballerische und ökonomische Aufschwung des Landes und des Kontinents und dass in Afrika noch nie eine WM stattgefunden hatte.
Für Deutschland sprach Franz Beckenbauer. Was man in Südafrika Aufschwung nennt, sind bei uns Beckenbauers 13 Werbeverträge. Und was in Südafrika die Demokratisierung ist, ist bei uns der Kaiser.
Südafrika, das nun - damit man uns nicht mehr böse ist und damit hiesige Firmen auch was verdienen: mit deutscher Unterstützung - die WM 2010 ausrichten darf, Südafrika hätte schön gezeigt, wie sich in einem sportlichen Großereignis etwas ausdrückt, was man in englischer Sprache spirit nennt. Die Bedeutung der Olympischen Spiele 2004 in Athen für Griechenland ist ein Beispiel dafür. Die Fußball-WM 2002, die Südkorea und Japan gemeinsam austrugen, ein anderes. Was aber ist der spirit von 2006? Wovon künden ein Maskottchen, das ein "Löwe" sein soll und Goleo VI heißt, und ein Logo, das irgendwas zwischen Smarties, Mondgesichtern und Ecstasy-Pillen zeigt.
Im letzten Jahr stellte der deutsche Innenminister Otto Schily gemeinsam mit André Heller und dem unvermeidlichen Franz Beckenbauer das Kulturprogramm vor, mit dem auf die WM eingestimmt werden soll. Eine britische Journalistin stellte Schily die kluge Frage, ob mit so viel Sport ein "Relaunch für Deutschland" geplant sei. Schily reagierte unwirsch, denn einerseits wusste er, dass die Journalistin Recht hatte, andererseits bemerkte er, dass sie den Sachverhalt etwas unhöflich und zu wahr ausgedrückt hatte.
Schily erinnert an Erich Mielke. Der unterstützte seinen BFC Dynamo Berlin bis zur zehn Mal hintereinander erlangten DDR-Meisterschaft - im funktionalistischen Glauben, dass die Menschen erst den Erfolg und dann ihn lieben werden. Aber schon der fußballerische Erfolg war ein halluzinierter, einer, der gerade mal im Mikrokosmos DDR funktionierte und schon in den meisten Europapokalspielen versagte.
Schily unterstützte die Leipziger Olympiabewerbung und die Fußball-WM, weil er fest daran glaubt, dass die Menschen erst das Ereignis lieben werden und dann ihn und seine Politik. Aber auch die Begeisterung, die Schily für sein Fußball-Ereignis weckt, ist halluziniert. Es ist etwa die gleiche Begeisterung, die Horst Köhler beim Halten seiner aufrüttelnden Reden entgegenschlägt. Es ist ein sehr ähnlicher Enthusiasmus, mit dem hier zu Lande die fünfstellige Postleitzahl begrüßt wurde. Es ist die bis zu Trampeln, Kreischen und Ohnmachtsanfällen reichende Massenhysterie, die Manfred Stolpe bei der Eröffnung eines Autobahnabschnittes auslöst.
Das kann ja eine Weltmeisterschaft werden.
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