Temporäres Erinnern

Gedenken Bis Mitte Juli ist in Berlin ein Denkmal für den Sinto Johann „Rukelie“ Trollmann zu sehen, der 1933 Deutscher Meister im Boxen wurde. Er starb 1944 im KZ

Eine rechteckige Fläche, begrenzt von Pfählen, umsäumt von Seilen, das ist ein Boxring. Er symbolisiert, dass eine Auseinandersetzung einen Ort hat, in dem gekämpft wird. Alle Akteure treten freiwillig an, mit gleichen Chancen. Doch dieser Boxring kippt, eine Ecke versinkt im Erdboden. Hier lässt sich nicht mehr stehen, man rutscht ab.
Das ist die Idee des temporären Kunstwerks „9841“, das seit dem 9. Juni im Viktoriapark in Berlin-Kreuzberg steht. „9841“ erinnert an den Boxer Johann „Rukelie“ Trollmann, einen Sinto, der 1933 Deutscher Meister im Halbschwergewicht wurde, und 1944 im KZ Neuengamme ermordet. 9841 war seine Häftlingsnummer. Initiiert hat die Künstlergruppe NURR die Skulptur, die bis Mitte Juli zu sehen sein wird und von einem Kulturprogramm begleitet.

An einen Sintoboxer zu erinnern, den man exemplarisch für das Leid der als „Zigeuner“ geschmähten Bevölkerungsgruppe nimmt, leuchtet vielleicht nicht sofort ein. Doch gerade die Entscheidung für den Profiboxer Trollmann hilft, gängige Vorurteile über das „fahrende Volk“ zu erschüttern: Trollmann, geboren in Hannover, wo er in einem Arbeitersportverein boxte, etablierte sich ab 1930 als Profi in Berlin. „Angeber, aber publikumswirksam“, hatte ein Fachblatt einmal geschrieben. Weil die Erfolge kamen, wurde er ab 1932 Hauptkämpfer in der früheren Bockbrauerei in Berlin-Kreuzberg. Trollmann boxte gut, er hatte Fans und Gegner. „Der Zigeuner“, schrieb eine Zeitung, habe hier „seine speziellen Freunde, die ihn gern herumhopsen sehen“.

"Ein deutscher Boxer darf nicht weinen"

Am 9. Juni 1933, wenige Monate nach der Machtergreifung der Nazis, hatte Trollmann dort seine erste Titelchance: Er sollte gegen Adolf Witt aus Kiel um die Deutsche Meisterschaft im Halbschwergewicht kämpfen. Trollmann, so sahen es wenigstens Kampfgericht und die 1.500 Zuschauer, hatte gewonnen. Doch der Vertreter des bereits von den Nazis dominierten Boxverbandes entschied, der Kampf solle keine Wertung erhalten. Der Saal tobte, Trollmann und sein Manager protestierten lautstark, die Entscheidung wurde zunächst zurückgenommen. Wenige Tage später war Trollmann seinen Titel los. Der Berliner Lokal-Anzeiger hatte ihm die Proteste übelgenommen und kommentierte: „Man stellt sich einen deutschen Meister anders vor. Ein deutscher Boxer darf nicht weinen.“

Am 21. Juli 1933 absolvierte Trollmann seinen letzten großen Profikampf. Gegen Gustav Eder, einen der besten Boxer der damaligen Zeit, hatte er keine Chance: Die Nazis hatten früh verkündet, deutsche Boxer müssten sich dem „arischen Faustkampf“ verschreiben, eine unelegante Art des Austeilens und Stehenbleibens. Mit seiner schnellen, tänzelnden, mitunter gar flüchtenden Art hätte Trollmann nie nach Punkten gewinnen können, einen erfahrenen Defensivboxer wie „Meister Eder“ auszuknocken, war unmöglich. Trollmann wusste das, dennoch stieg er gegen Eder in den Ring – und inszenierte sein Drama: Den dunklen Teint hatte er weiß überpudert, die schwarzen Haare blondiert und, als ob das nicht schon genug Karikatur eines arischen Faustkämpfers gewesen wäre, stellte er sich breitbeinig in der Ringmitte auf und nahm Eders Schläge entgegen. So ging er in der 5. Runde k.o.

Es gab bislang wenige Orte, an denen Johann „Rukelie“ Trollmanns gedacht wurde, einem Boxer, dem der Ringboden unter den tänzelnden Füßen weggezogen wurde. Eine besonders eindrucksvolle Form des Gedenkens steht in diesem Sommer in Kreuzberg.

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