Tyson, Tiger und das Timing

Sportplatz Kolumne

Als Mike Tyson an diesem Wochenende zunächst einen Kampf, dann seine Boxkarriere und irgendwie auch sich selbst aufgab, nahm das die Welt zur Kenntnis. Der Mann war schließlich eine Sensation der Neunzigerjahre gewesen: jüngster Schwergewichtsweltmeister der bisherigen Boxgeschichte, als Vergewaltiger zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt und immer noch, selbst bei seinem unwürdigen Ende als 39-jähriges Fallobst, mit dem Nimbus des Zerstörers versehen.

Wenige Wochen vor Tyson erklärte Dariusz Michalczewski seinen Rücktritt vom Profiboxen. An boxerischen Meriten mangelte es dem Deutsch-Polen auch nicht, er war in den Neunzigerjahren einer der besten Halbschwergewichtler der Welt.

Ein Vergleich von Tyson und Michalczewski zeigt, dass, um als weltbester Boxer wahrgenommen zu werden, es mehr benötigt, als nur ein kräftiger Kerl mit schnellen Fäusten und hartem Bums zu sein. Das festzustellen, hat nichts mit einer billigen Klage über Kommerz zu tun. Es geht sehr wohl um Sport, um großen Sport, den sowohl Michalczewski als auch Tyson in ihrer Karriere lange genug gezeigt haben. Aber es geht darum, zu zeigen, dass großer Sport - wie alles andere im Leben auch - nur in einem bestimmten gesellschaftlichen Ensemble in seiner Größe gewürdigt werden kann.

Michalczewski wurde Anfang der Neunzigerjahre im Halbschwergewicht Profi. Zur gleichen Zeit begann der Privatfernsehsender RTL, das Profiboxen rund um den Halbschwergewichtler Henry Maske neu zu inszenieren: als Showevent, dessen Übertragung mehr als die knappe Stunde des Kampfes dauert. In einer ersten Vermarktungsoffensive wurde Maske der Name "Tiger" verpasst. Das setzte sich aber nicht durch, später verlieh man ihm den passenderen Namen "Gentleman".

Der Ostdeutsche Maske setzte sich medial gegen den westdeutschen Halbschwergewichtler Graciano Rocchigiani durch, wegen seines Namens und seiner Biografie, "Rocky" genannt: Rocchigiani ist der Sohn eines sardischen Eisenbiegers, seine Berufsausbildung besteht lediglich in einer abgebrochenen Gebäudereinigerausbildung.

Zwischen den beiden stand der sportlich talentiertere Michalczewski. Sein Management verband sich zunächst mit dem Pay-TV-Sender Premiere, womit klar war, dass Maske und Rocchigiani, die im Free-TV vor Millionen boxten, berühmter wurden. Für Michalczewski wurde der Kampfname herausgeholt, der bei Maske als unpassend und zu blöde abgetan wurde: "Tiger".

Sportlich setzte sich Michalczewski durch, er wurde Weltmeister des Verbandes WBO, zwischenzeitlich auch anderer Verbände, aber einen Kampf gegen den populäreren Henry Maske, der Champion der IBF war, bekam er nicht. Gegen Rocchigiani boxte er zwei Mal: das eine Mal endete es in einem für Michalczewski nicht gerade freundlichen Skandal, das zweite Mal gab Rocchigiani auf.

Auf der Weltbühne versuchte Michalczewski jahrelang Roy Jones Jr. zu stellen, der lange Zeit als der beste Boxer der Welt, unabhängig von den Gewichtsklassen, galt. Aber Jones ging Michalczewski aus dem Weg und ruinierte seinen glänzenden sportlichen Ruf lieber durch das Weghauen von mittelmäßigen Gegnern. Michalczewski blieb nicht viel anderes übrig, als sich Jones´ Gegner im Nachhinein vorzunehmen und sie schneller und überzeugender zu besiegen als es Roy Jones Jr. vor ihm getan hatte. Aber geholfen hat es ihm nicht: weder Maske noch Jones Jr. traten je gegen ihn an.

Auch was die Vermarktung jenseits des Boxens anging, die Werbeverträge also, hatte Michalczewski nicht das große Glück: die durch Premiere limitierte Bekanntheit, der Umstand, dass der in Gdansk geborene deutsche Staatsbürger hier zu Lande immer noch als "der Pole" wahrgenommen wurde und seine nicht astreine Beherrschung der deutschen Sprache verhinderten, dass aus ihm ein Star wurde.

Es ist nicht falsch zu sagen, dass Dariusz Michalczewski - der natürlich, ehe hier Mitleidstränen fließen, finanziell ausgesorgt hat - zu einer anderen Zeit zu den ganz großen der Boxgeschichte hätte aufsteigen können: zu Joe Louis und Sugar Ray Robinson, zu Muhammad Ali und Joe Frazier. Dariusz Michalczewski hat aber in einem historischen und gesellschaftlichen Umfeld geboxt, in dem die Starrolle national einem ehemaligen Oberleutnant der NVA mit guten Manieren zufiel, Henry Maske nämlich, und im Weltmaßstab ein eloquenter, gut aussehender junger Amerikaner die Weltstarrolle innehatte, Roy Jones Jr. nämlich. Gewiss, da spielen die Interessen der Fernsehanstalten hinein und die der werbenden Industrie. Aber es ist auch und vor allem die Öffentlichkeit, die sich, ehe die Stars auftauchen, schon ein Bild gemacht hat, wen sie als Star zu akzeptieren bereit ist.

Und schon ist man wieder bei einem wie Mike Tyson und seinem bizarren Werdegang. Der erschien auch dann noch als Weltstar als er gegen leichte Gegner verlor. Tyson war Weltmeister zu der Zeit, als die Welt jemanden wie ihn als Weltmeister haben wollte. Michalczewski trat in die Ringe, als andere, wohlgelittenere, schon da waren.


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