Kurz gesagt, gehören David Montgomery Zeitungen in ganz Europa, in Deutschland etwa die zum Berliner Verlag gehörenden Berliner Zeitung, der Berliner Kurier, das Stadtmagazin Tip und die nur im Internet erscheinende Netzeitung.
David Montgomery, Chef der Mecom-Holding, ist selbst gelernter Journalist, doch zurzeit macht er in ganz Europa Schlagzeilen, weil er mit seinen Zeitungen sehr unjournalistisch umgeht. Kaputtsparen ist das Wort, das man dafür gefunden hat. Der Berliner Verlag beispielsweise erwirtschaftet eine für den Medienmarkt bemerkenswert gute Marge von 15 Prozent Umsatzrendite jährlich. Aber Montgomery steht unter Druck, weil die Mecom-Aktien an Wert verlieren und er die Aktionäre mit einer Dividende beruhigen will. Also verlangt er 20 Prozent Rendite.
Die jedoch ist nur zu erzielen, wenn er Personal reduziert, also kurzfristig sein Betriebsergebnis verbessert und gleichzeitig dafür sorgt, dass im Jahr 2009 und 2010 nicht mal mehr ein bisschen Rendite erwirtschaftet werden kann. Kaputtsparen. Die Berliner Zeitung soll von 130 auf 90 Redakteure reduziert werden, die Netzeitung, die seit 2007 zur Mecom-Gruppe gehört, und seither alle Spar- und Ertragsvorgaben Montgomerys erfüllt hat, soll vielleicht ganz eingestellt werden. In anderen europäischen Ländern sind noch drastischere Einschnitte geplant. Die sieben zu Mecom zählenden niederländischen Regionalblätter beispielsweise, die jährlich 13 Prozent Umsatzrendite erwirtschaften, sollen zehn Prozent des Personals verlieren - jetzt streiken sie.
Es ist paradox: Jedes einzelne europäische Verlagshaus erwirtschaftet Gewinn und steht gesund da, doch da es dem Gesamtkonzern wegen seiner Börsennotierung schlecht geht, müssen alle Blätter so ausgepresst werden, dass künftig kein Verlagshaus mehr Gewinn mehr erzielen kann. Man könnte an Lenins Wort denken, wonach der Kapitalist noch den Strick verkaufen würde, mit dem er gehängt wird. Aber um diese Option geht es ja bei Montgomery nicht.
Schon eher wird klar, warum David Montgomerys Mecom-Gruppe gerne mit einem biblischen Sprachbild als "Heuschrecke" bezeichnet wird. Sollte nämlich der Zeitungsmarkt, um im Bilde zu bleiben, abgegrast sein, zögen die Mecom-Heuschrecken weiter und fräßen vielleicht den Schokolademarkt, den Knackwürstemarkt oder jeden anderen denkbaren Markt leer.
Da würde mancher sagen, eine Zeitung sei doch keine gewöhnliche Ware wie Schokolade, Knackwürste oder jede andere, sondern etwas Höheres, das man dem Markt eigentlich entziehen müsste. "Information ist keine Ware wie Butter oder Jeans", sagt etwa die Intendantin des RBB, Dagmar Reim.
Dass aber eine Zeitung sehr wohl eine Ware wie jede andere ist, kann einem jeder Fischhändler bestätigen, der die Forelle darin einwickelt. Journalisten, die es anders sehen, beschreiben weniger das von ihnen erstellte Produkt, sondern eher sich selbst: Sie selbst wollen keine Produzenten einer beliebigen Ware sein, sie glauben nicht, dass ihre spezifisch qualifizierte Arbeitskraft auch zur Fabrikation von PR-Texten anzuwenden sei.
Das mag marxistisch betrachtet naiv und idealistisch sein, unsympathisch ist es nicht. Es ist sein Berufsethos, das der Journalist vor sich herträgt und das man sich, wenn wieder ein Lebensmittelskandal bekannt wird, auch von manchem Käseverarbeiter wünschte.
Das Berufsethos, allgemein verstanden, stammt aus alten Zunfttagen, ist also etwas Vorbürgerliches und diente der Abschottung von unliebsamer, nicht in der Zunft registrierter und womöglich billigerer Konkurrenz.
Heute ist das Berufsethos des Journalisten vor allem sein Bewerbungsprofil auf dem Arbeitsmarkt: Ich kann etwas, das nicht jeder kann, aber dafür muss ich unabhängig sein. Dieses Berufsethos ist in gewisser Weise auch der nachvollziehbare Widerstand gegen die Sinnentleerung - Marxisten würden sagen: bloße Tauschwertorientierung - der Arbeit. Man will Qualität abliefern, also einen hohen Gebrauchswert sicherstellen.
Da gibt es eine gewisse Ähnlichkeit der Arbeit des Journalisten mit der des Kochs, der sich Mühe gibt, selbst aus den billigsten Zutaten und unter den miserabelsten Umständen noch ein gutes Gericht zu zaubern.
Nicht unsympathisch, wie gesagt. Dieses Selbstverständnis hat aber den Nachteil, dass es die Möglichkeit vermindert, seine Rechte durchzusetzen. Was andernorts eine probate Arbeitskampfform ist, der Dienst nach Vorschrift, passt dem Journalisten nicht in den Kram: Schlechte Artikel, unter denen der eigene Name steht, will keiner durchgehen lassen. Außerdem gefällt sich der Journalist, zumal der Feuilletonist und der Kommentator, in der Vorstellung, sein geschriebenes Wort könne den Weltenlauf verändern.
Das ist nicht so naiv, wie es vielleicht klingt. Schließlich gibt der streikende Journalist die Möglichkeit aus der Hand, gezielt Öffentlichkeit in eigener Sache herstellen zu können, sich nämlich an die eigenen Leser zu wenden. Über die Kürzungen bei der Berliner Zeitung, um am Ausgangsbeispiel anzuknüpfen, erfährt man bereits jetzt nur etwas in den Blättern der Konkurrenz.
Das Berufsethos des Journalisten bringt es mit sich, dass auch vom Verleger eine in gewisser Weise vorbürgerliche Existenz erwartet wird: Einer, der nicht nur aufs Geld achtet, sondern einer, der mit seiner Zeitung auch Politik machen möchte, und zwar, so hätten es die Redakteure gerne, eine liberale Politik. Festzustellen, dass David Montgomery und sein subalternes Personal nicht in diese Kategorie gehören, fällt leicht. Aber es gibt oder gab Verleger, die nicht nur gesichtslose Agenten der Kapitalverwertung sind.
Um nicht missverstanden zu werden, dass bloß die linke Mär vom linken Millionär recycelt wird, soll dieser Gedanke anhand einer emanzipatorischen Gedanken unverdächtigen Verlegerpersönlichkeit skizziert werden: Axel Springer. Er riskierte nicht nur bei seiner Geldmaschine Bild-Zeitung oftmals, von der Gesellschaft verdammt zu werden: etwa mit seinem Kampf gegen die sozialliberale Entspannungspolitik, die von der alten Bundesrepublik mehrheitlich getragen wurde. Springer war reaktionär, aber nicht feige. Er war, politökonomisch gesprochen, nicht an der bloßen Tauschwertrealisierung interessiert, sondern wollte, dass seine Blätter auch für ihn, den Hamburger Bildungsbürger, einen Gebrauchswert entfalten.
Das ist insofern ökonomisch sinnvoll, als das Produkt ja nicht beliebig sein darf: Die Macher müssen ihre Zielgruppe kennen. Dahinter steckt der Gedanke, dass der Leser eine Macht besitzt: nämlich die Macht des potenziellen Nicht-mehr-Käufers. David Montgomery hat vor etwa einem Jahr auf einer Medienkonferenz diese Geschichte erzählt. "Nach einem milden Winter hat ein Zeitungsmann eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte: Auf dem wichtigsten Markt gab es einen Einbruch - bei den Todesanzeigen. Die gute: Dafür sinkt die Auflage langsamer als gewohnt. Unsere Leser sterben nicht in der üblichen Anzahl." Montgomerys Mecom-Konzern hält überwiegend Lokal- und Regionalzeitungen, und die Geschichte offenbart, dass er den Leser, zumindest was diese Zeitungsgattung angeht, für eine feste Größe hält, dessen Abo nur mit seinem Tod erlischt.
Daher, so die Logik im Konzern, braucht man auch keine Journalisten, die sich um Qualität mühen. Die Exklusivität und Qualität, auf die Zeitungsmacher so stolz sind, beispielsweise eine Geschichte zu haben, die der unmittelbare Konkurrent nicht hat, oder eine Geschichte wesentlich besser aufgeschrieben oder bebildert zu haben als die Konkurrenz, ist dem Leser gleichgültig. Der liest die Konkurrenz ja eh nicht - wer hat schon zwei Lokalblätter im Abo?
Die Hoffnung des auf Rendite fixierten Verlegers, wenn er Stellen streicht, ist die Befürchtung des Journalisten: Merken die Leser überhaupt, wenn die Qualität nachlässt? Merken sie es, wenn unter Artikeln nicht mehr Namen von Redakteuren und freien Mitarbeitern stehen, sondern die Kürzel von Agenturen? Und, eine noch schlimmere Befürchtung: Wäre die Zeitung dann wirklich schlechter?
Was Leser von ihrer Zeitung erwarten, lässt sich kaum klar formulieren: Mehr Lokales fordern die einen, ein ambitioniertes Feuilleton andere, mehr Sport die einen, weniger Sport die anderen. Dass Leser potenziell Macht haben, leuchtet zwar ein, aber wie soll diese bei so disparaten Leserinteressen wirksam werden? Die Antwort gibt, vermutlich, der Markt: Die Blätter des Berliner Verlags haben, aus welchen historischen Gründen auch immer, ihre Leser gefunden. Was fehlt, wenn sie fehlen, wird offenbar im Moment des Streiks. Das kann der Streik des Konsumenten sein, der einfach die gewohnte Frühstückszeitung abbestellt. Das kann der koordinierte Streik der Journalisten und anderen Zeitungsmacher sein, die dem Verleger die Realisierung des Tauschwerts für eine bestimmte Zeit verunmöglichen.
Beide eint, dass ihr Interesse am möglichst hohen Gebrauchswert liegt, den man auch Qualität nennen kann. Beide eint zudem, dass sie bislang nur potenzielle Macht besitzen und die reale Machtausübung noch aussteht. Um es in der Sprache von David Montgomery zu sagen: Wie sich Zeitungen verkaufen, muss gar nicht nur an der Frage hängen, ob der Winter mild oder kalt ist.
Kurz gesagt, gehören David Montgomery die Zeitungen gar nicht.
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