Abhängen in der Mickey-Mouse-Bar

EU intim Ein Urlaub in den europäischen Institutionen und den Lobbyisten-Vereinigungen in Brüssel bietet mehr Erholung, als man denkt und braucht

Nun, da meine Zeit in Brüssel zu Ende geht, stelle ich an mir ein erstes Vorgefühl der Wehmut fest. Das überrascht mich, wusste ich doch wenig Gutes über die Feen und Heinzelmännchen der Europablase zu berichten. Ich nannte sie zuweilen sogar „plastifiziert“. Und nun ertappe ich mich, wie ich mir einen Billigflug nach dem anderen buche, zu diesen Plastifizierten. Ich verbinde mit diesen Flügen eine Vision. Ich will in Brüssel Urlaub machen. Urlaub in den europäischen Institutionen.

Ich stelle mir vor, dass ich am Morgen ankomme. Bereits die Métro bringt mich in Schwung. Sie fühlt sich wie ein Videoclip an, die Stationen werden mit Popmusik oder Klassik beschallt. Afrikanische Schönheiten unterstreichen die Exotik meiner Destination.

Das Frühstück nehme ich in der Europäischen Kommission ein. Ich hole mir die Presseschau des Tages und setze mich in die reizärmste Cafeteria des Staatenbundes, die sich finden lässt. Ich suche im Heuhafen der hundertseitigen Presseschau nach der Stecknadel eines kommissionskritischen Berichts, ärgere mich aber kein bisschen, als ich keinen finde, sondern tunke das günstige Croissant au Beurre in den ebenso günstigen Kaffee.

Danach käme mir eine Konferenz mit Mittagsbuffet gelegen. Gern lasse ich mich eine Weile berieseln. „Civil society“, „best practice“, „communicate sustainable consumption“ – was der EU-Europäer gerade braucht. Den besten Erholungswert böte eine Konferenz wie die Lobby, die ich seinerzeit wegen ihres ansprechenden Namens besuchte: „Chemical Regions“. Am Buffet war ich der erste, ich ließ mir zweimal Nachschlag geben. Da rief man mich zum Presse-Briefing.

Vorn saß ein Deutscher, vom Erscheinen des Industriekommissars sichtlich vitaminisiert, neben mir zwei Journalisten. Die Journalisten stellten fachkundige Fragen, es schien um die Vernetzung von europäischen Chemieregionen zu gehen. Ich hatte keine Ahnung, ich hatte keine Frage, ich begann, mich zu genieren. Um auch etwas gesagt zu haben, stellte ich eine Brüsselklug gemeinte Frage: „Verstehen Sie sich als Beamter oder als Politiker?“ Der vitaminisierte Deutsche starrte mich erschrocken an. „Als Politiker. Ich bin Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt.“

Maßvoll vorglühen

Als Ausflugsziel des Nachmittags wähle ich bestimmt das Europäische Parlament. Niemals würde ich den Ferienflieger in der Zeit nehmen, wenn das EP in Straßburg tagt. Ich hänge in der hellen Weite der MickeyMouse-Bar ab, mit Blick auf den Park draußen und auf die Praktikantinnen drinnen. Ich nehme einen günstigen lait russe, später ein ebenso günstiges Gläschen Portwein – un euro nonante.

Mein Ferienglück ist mit einem 18-Uhr-30-Empfang komplett. Entweder jemand zwitschert mir einen Hinweis oder ich streife aufs Geratewohl an den Sälen beim Members Restaurant entlang. So wie seinerzeit, als ich mit natürlicher Grazie die Empfangsdamen umschritt und mich auf dem rein britischen Empfang der rein britischen Food and Drink Federation wiederfand. Die Tür des kleinen Saals wurde geschlossen, ich war der einzige ohne Namensschild am Revers. Die Kaviarbrötchen waren vorzüglich. Zu spät bemerkte ich, dass auf jeden Abgeordneten, Assistenten oder Journalisten eine eingeflogene britische Lobbyistin kam. „Sind Sie an Nahrung interessiert?“, hörte ich plötzlich. Ich erblickte ein Tantchen, mit schmalen Lippen dünn lächelnd, Food and Drink Federation stand auf ihrem Schild. Sie meinte mich. Ich schluckte hinunter.

Spätestens beim 18-Uhr-30-Empfang stößt mein unglücklicher polnischer Kumpel Jacek hinzu, ohne ihn ist der Urlaub nichts wert. Gut gesättigt und maßvoll vorgeglüht, halten wir es wie in meinen aktiven Zeiten, wir fliehen zu den Afrikanern in Brüssel. Dieses Mal ziehen wir die große Runde. Das wird ein Leben. So stelle ich mir Ferien vor.

„Und was machst du in Brüssel?“, werden mich die flüchtigen Bekannten fragen, deren Zeitfenster ich zufällig durchkreuze – das der Briefenden und Gebrieften der Arbeitshauptstadt Europas. „Ich mache Urlaub“, werde ich mit fester Stimme antworten, „ich mache Urlaub in den europäischen Institutionen.“ Der Gesichtsausdruck, den ich damit ernte, wird mir die größte Erholung sein.

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