Der Student Anas K., 22, musste sein zweites Bakkalaureats-Studienjahr in Politikwissenschaft ein drittes Mal wiederholen und verlor daher sein Stipendium von 450 Euro. Am 8. November versuchte er, sich in Lyon zu verbrennen. Er liegt seither im Koma, seine Haut ist zu 90 Prozent zerstört. In einem Abschiedsposting klagte er die Präsidenten Sarkozy, Hollande, Macron und die EU an, ihn „durch das Schaffen von Zukunftsunsicherheiten für alle getötet“ zu haben. Anas löste damit eine kleine Bewegung gegen studentisches Prekariat aus, #LaPrécaritéTue. Eine Demo Ende November zählte gut tausend Teilnehmer, der Lehrbetrieb an der geisteswissenschaftlichen Universität Lyon-2 wurde tageweise blockiert. Doch in den Aufständen dieses Winters – den Streiks gegen Macrons Rentenreform, den Aufmärschen von ursprünglich über eine Ökosteuer empörten Gelbwesten gemeinsam mit Klimaschützern – geht das fast unter.
So komme ich erstmals nach Lyon. Etwas Kaltes und Gehetztes liegt zwischen monströsen Neubaublöcken. Lyon gehört zu den Städten ohne Selbstachtung, in denen halb vermummte Jungmänner auf E-Scootern über Geh- und Fahrwege rasen. Von Macron als „Sonderfall an Zerbrechlichkeit“ bezeichnet, ist Anas K. in der Tat besonders. Über ihn ist fast nichts bekannt. Die Öffentlichkeit weiß nicht, wie er aussieht. Einerseits war er Aktivist der kleinen regenbogenlinks-anarchodemokratischen Gewerkschaft „Solidaires“, deren studentischer Arm in ganz Frankreich gut 500 Mitglieder hat. „Solidaires étudiant-e-s“ gebrauchen komplex gegenderte Schreibweisen und fahren eine Kampagne gegen Transphobie am Campus. Man weiß, der Name Anas ist arabisch, aus Armut verbrachte der Student viele Wochenenden bei seinen Zuwanderereltern in Saint-Étienne. Die französische Presse reflektiert weder das eine noch das andere.
So klingle ich abends am Bau, in dem „Solidaires étudiant-e-s“ gerade Département-Sitzung halten. Louise, 21, Studentin der Sozialwissenschaften, eine „Genossin und Freundin“ von Anas, öffnet mir. Sie geht am Stock, ihre Stimme ist tief, sie trägt ein kuttenähnliches schwarzes Kleid, buntes Haar und schwere Ringe. „Ich bin eine Transfrau, wenn Sie so wollen.“ Im Büro frage ich sie: „Wie geht es ihm?“ – „Wir haben keine Neuigkeiten.“ Louise nennt Anas einen „guten Genossen“. Sie glaubt, dass er mit Transplantationen weiterleben kann. Seine Eltern kennt sie nicht. Sie weiß nicht, wo sie herkommen. Sie kann nur bestätigen: „Anas war Rassismus ausgesetzt.“
Kaputte Heizung, Bettwanzen
Eine Blondine mit empathischen Zügen, Master-Studentin in Politikwissenschaft, setzt sich hinzu. Beide zählen Forderungen von „Solidaires“ auf, etwa ein Studierendengehalt oder wenigstens um 20 Prozent höhere Stipendien; tatsächlich ist das von ihnen genannte Höchststipendium von 550 Euro niedriger als in anderen EU-Ländern. Sie sind gegen Kapitalismus, Rassismus, Sexismus, Patriarchat. Wie nebenbei lässt die Blondine fallen, dass sie Anas’ Freundin sei. Ich bin sprachlos. „Das sind Sie, bei der er oft übernachtet hat, nachdem er sein Zimmer im Studentenheim Crous verloren hatte?“ – „Ja. Er hat oft bei mir übernachtet.“ Auch sie weiß wenig über seine Herkunft. „Hat er nie gedroht, so was zu tun?“ – „Persönliche Fragen kann ich nicht beantworten.“
Anas’ Freundin liest vom Handy weitere Forderungen vor, etwa dass ausländische Studenten automatisch ein Aufenthaltsrecht in Frankreich erhalten. Auch Anas habe sich für Migranten engagiert. Mir will nicht in den Kopf, dass dieser schaudererregende Akt ausgerechnet in Frankreich gesetzt wurde, einem der laut Statistik sozial engagiertesten EU-Staaten, 35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gehen in Sozialausgaben. „Dieses Sozialmodell“, sagt Anas’ Freundin, „wurde von mehreren Regierungen zerstört. Macron sagt immer: Anderswo ist es schlimmer. Das ist aber kein Argument.“ Sie selbst bekommt ein Stipendium von 100 Euro, ihre in Nordfrankreich lebende Mutter unterstützt sie.
Beide beschreiben das Studentenleben als „Rackerei auf der Galeere“, mit langen erschöpfenden Fahrten zwischen Wohnungen am Stadtrand, Uni und Jobs. Eine Mehrheit der Studenten habe nur eine Mahlzeit pro Tag, es gebe hungernde Kommilitonen, und das, obwohl sie schon während des Studiums „Reichtum schaffen“, zum Beispiel mit einer aufwendigen Studie für das hiesige Institut des verstorbenen Meisterkochs Paul Bocuse. Das Crous-Heim werde kaum instand gehalten, es gäbe eine schlechte Heizung, schlecht gefiltertes Wasser. Wie alle Studenten habe Anas Bettwanzen gehabt, „man schläft dort schlecht, weil einen die Viecher fressen“. Auch würden die Insassen im Crous „infantilisiert“. „Besucher dürfen nicht über Nacht bleiben, die Wächter kontrollieren das. Wenn sie wollen, können sie jederzeit die Zimmertür öffnen.“
Spät am Abend stehe ich vor einem großen grauen Haus. Crous steht drauf und „Studentensozialamt“. Als er nicht mehr ein noch aus wusste, beantragte Anas hier Unterstützung, sie wurde ihm verweigert. Hier zündete er sich an. In der Fensterfront der geschlossenen Amtsräume gibt es einige Löcher, dahinter ein Wächter, der ins Dunkle zurücktritt, als er mich sieht. Auf dem Asphalt einige schwarz gesprayte Tags, „08/11 – weder vergessen noch verziehen“. Ich beobachte vom Burger King gegenüber den Ort der Selbstverbrennung. Am Anfang stehen dort fünf E-Scooter, am Ende nur noch vier.
Kommentare 31
Gehen sie doch, wenn schon in Lyon, einfach ins ISSEP und sprechen sie mal mit Mme Maréchal. volià, c`est tout -
„Hier versucht sich jemand umzubringen, der in diesem System gescheitert ist, weil er meint, einen Anspruch zu haben.“
Auch das Wissen über ein Zweckmäßig organisiertes Scheitern in den Bildungsinstituten des Demokratischen Kapitalismus, ist doch noch lange kein Garant zur Verhinderung von Verzweiflungstaten.
Deine arschige und pauschale Aufforderung an weiterhin trotzig "Ansprüche" stellende Aussortierte, ihre staatlich verfügte Verurteilung zukünftiger Anspruchslosigkeit gefälligst widerspruchlos anzunehmen, werde ich nicht weiter kommentieren. Nur soviel, der Junge hätte besser die Ausschluss verfügende Behörde in Brand setzen sollen, anstatt sich selbst.
Das muss man Ihnen schon lassen: klare Kante. Da wäre doch angebracht, noch das Sahnehäubchen aufzusetzen, mit dem "Am Deutschen Wesen mag die Welt genesen".
Wenn Sie die Ironie im vorgenannten Kommentar nicht erkennen, dann (...).
Und daraus auch noch gleich eine Verallgemeinerung zu machen, @Bella, ist schon ziemlich dreist. Denn das hat wenig mit meinen Kommentaren zu tun.
Also, nächstens Mal etwas mehr Zeit nehmen, ehe Sie gleich "losballern"!
Genau. Diese Therapie bedürftige Flasche hätte sich eben mehr auf den Hintern setzen müssen, noch mehr lernen und arbeiten halt, oder gefälligst gleich einsehen sollen, was ihre AMTLICHE Aussortierung ja nachträglich bescheinigt, ihren ANGESTAMMTEN Platz als Prolet endlich einzunehmen („Berufsausbildung“). Dir und anderen hat in dieser bösen Welt ja auch keiner was geschenkt und haben "es" trotzdem "geschafft". Und überhaupt, sind doch selber Schuld diese Warmduscher, „mehr "Resilienz"-Potential – hart wie Kruppstahl hieß das früher mal - ergänzt durch die eine oder andere ordentliche Bootcamp Ausbildung wirken Wunder – und Adieu ihr Flausen und Depressionen.
Spielst(?) mal wieder den Idioten?
Kritik der Resilienz
Auszug:
Jan Slaby (12/2015 –draft version, do not cite without permission)
"Die Mittel des Trostes sind es gewesen, durch welche das Leben erst jenen leidvollen Grundcharakter, an den man jetzt glaubt, bekommen hat; die größte Krankheit der Menschen ist aus der Bekämpfung ihrer Krankheiten entstanden, und die anscheinenden Heilmittel haben auf die Dauer Schlimmeres erzeugt, als Das war, was mit ihnen beseitigt werden sollte."(Nietzsche, MorgenrötheI.52)
Einleitung:
Von der Haltung zur Resilienz
Jede Epoche hat die Begriffe, die sie verdient. Im vorliegenden Beitrag werde ich kritische Betrachtungen zur gegenwärtigen Konjunktur des Begriffs der Resilienzanstellen. Resilienz spielt eine zentraleRolle unter jenen Konzepten, die heute den Bedeutungsraum besetzen, der einst dem Begriff der Haltung bzw. der aristotelischen hexi sund deren Derivaten vorbehalten war. Resilienz bedeutet in erster Näherung so viel wie systemische Widerstandsfähigkeit, also die Fähigkeit eines Materials, eines Systems, eines Organismus oder einer Person, nach deformierenden Erschütterungen, Störungen, Krisen oder Katastrophen in einen stabilen Zustand zurückzukehren. Oder, ins Allzumenschliche gewendet: Sich nicht unterkriegen lassen –to bounce back, wie es im Englischen bildlich-prägnant heißt.
Ursprünglich aus der Werkstofflehre stammend, kann der Resilienzbegriff auf eine rapide Karriere in verschiedenen Wissensfeldern zurück blicken, wobei Theorien komplexer nichtlinearer Systeme, insbesondere im Bereich der Ökologie sowie der nicht-klassischen Ökonomie, eine Schlüsselrolle zukommt (vgl. Walker & Cooper 2011). Man hört und liest heute von resilienten Öko-und Finanzsystemen, von resilienten Städten, von resilienten Organismen, um von anderen neokonservativen Wunschträumen wie dem resilienten Kind, dem resilienten Soldaten oder dem resilienten Hartz-IV-Empfänger noch gar nicht zu reden.
Vollends nach dem 11. September 2001 hat sich der Begriff der Resilienz zu einem Leitkonzept der global governance entwickelt. Einhellig erklingt das Wort als sonores Mantra aus den Verlautbarungen maßgebender Großorganisationen, sei es Homeland Security, sei es die American Psychological Association, sei es die Weltbank, die EU-Kommission, das Entwicklungsprogramm der UN (vgl. Schmidt 2013), oder zuvor bereits die Rockefeller Foundation und auch zahlreiche kleinere, private Organisationen, die sich alsventure philanthropists außerhalb der Reichweite staatlicher Initiativen um die Belange der Weltrettung verdient machen.
In einer vermeintlich von Terror und anderen Krisen, Katastrophen und Kriegszuständen dauerhaft heimgesuchten Welt –so der legitimierende Hinterground-Sound des Resilienz-Dispositivs –solleine umfassende Widerstandsfähigkeit und Krisenkompetenz zur Kardinaltugendwerden. Zugleich sind andere Formen des Umgangs mit globalen Herausforderungen immer weniger gefragt, insbesondere wird vonstaatlichen Interventionen oder ambitionierten Formen kollektiven politischen Handelnsweitgehend abgesehen. Resilienz heißt, individuell oder systemisch gerüstet sein für jene Krisen und Katastrophen, deren vorausschauende Vermeidung durch politische Initiativen nicht länger auf der Agenda steht. Die philosophische Bemühung, dem Haltungsbegriff in der Gegenwart neues Gewicht zu verleihen, muss von kritischen Überlegungen zu solchen potenziellen Nachfolgebegriffen und deren Konjunkturen flankiert werden.
Nur im Durchgang durch die heute virulenten Verständnisse von Haltungsphänomenen und die damit aufgerufenen Bedeutsamkeitshorizonte lässt sich ermessen, welche Aussichten dem Denken der Haltung außerhalb enger Theoriezirkel noch beschert sind –und welche Vereinnahmungen des Haltungskonzeptes drohen, und in wessen Namen. Im vorliegenden Fall liegen die Dinge recht klar, jedenfalls sobald man die Analyse über oberflächliche Parallelen zwischen Haltung und Resilienz hinaus treibt.
Als Subjektivierungsprogramm für die katastrophischen Terrains der globalen Gegenwart und Zukunft zielt Resilienz auf eine verheerende Schrumpfform dessen ab, was einmal unter dem Begriff der Haltung befasst war. Das im Zeichen der Resilienz skizzierte Subjektideal ist das Bild eines halbierten, seiner gestaltenden Kräfte und Initiativen beraubten Subjekts. Insbesondere hat das resiliente Subjekt jegliche politische Handlungsfähigkeit und politische Fantasie preisgegeben. Nicht zuletzt korrespondiert dem Resilienzideal eine Vorstellung der Welt als permanenter Katastrophe, als einer Zone der Verheerung ohne Aussicht auf dauerhafte Stabilität, Sicherheit oder Frieden.
Gleichwohl zeigt ein resilientes Subjekt in einem gewissen Sinn durchaus Haltung. Es ist auf alles gefasst, es kommt selbst mit dem Schlimmsten, das ihm zustößt, noch irgendwie zurecht, es verfügt über Ressourcenan Widerstandskraft und ist fähig und willens, sich immer wieder an neue Gegebenheiten anzupassen, wie trostlos oder lebensfeindlich diese auch sein mögen. Das resiliente Subjekt verzagt nicht, es macht weiter, unerbittlich –come what may. So viel dürfte klar sein: Wer nicht über solche ausgeprägten existenziellen Nehmerqualitäten verfügt, von dem wird man auch nicht ohne weiteres sagen wollen, er habe oder zeige Haltung.
Diese Teilbedeutung von „Haltung“ im Sinne eines Gefasstseins auf und Bereitseins füralles Erdenkliche wird im Resilienzkonstrukt verabsolutiert. Resilienz ist damit nahezu gleichbedeutend mit Verzicht auf verändernde Initiative, es schlägt jegliche vorausschauende und fantasievolle Bemühung um Gestaltung der Verhältnisse, jeden substanziellen Sinn für Solidarität und die meistenAspirationen auf kollektives Handeln in den Wind.
Der Begriff der Resilienz depolitisiert und entmündigt, er propagiert ein Sich-Abfinden mit pathologischen Verhältnissen anstelle der Bestrebung, die Verhältnisse aktiv umzugestalten. Die Vorstellung einer Welt, die soweit befriedet wäre, dass in ihr Resilienz nicht mehr nötig ist, ist dem Resilienzdispositiv so fremd wie nur irgendetwas. Was sich im Resilienzdiskurs Bahn bricht, ist der abgründige Nihilismus einer Welt, in der das lethale Prinzip der kommenden Katastrophe den alleinigen Horizont des Denkens, Strebens und Hoffens bildet (vgl. Evans & Reid 2014). Es ist die Welt, wie sie der herrschende Neoliberalismus imaginiert und mit seinen Politiken aktiv herbeiführt.
Im Zentrum dieser Politiken steht das resiliente Subjekt –Idealfigur eines dank Selbstregierung regierbaren Subjekts, allzeit bereit zur Hinnahme selbst der schlimmsten Verheerungen, unfähig und unwillens, sich echte Alternativen dazu auch nur vorzustellen. Mit seiner Einseitigkeit lähmt und vergiftet das Resilienzkonzept das Denken und das in seinem Zeichen stehende Leben. Es wird höchste Zeit für eine umfassende kritische Analyse..."
"In einem Abschiedsposting klagte er die Präsidenten Sarkozy, Hollande, Macron und die EU an, ihn „durch das Schaffen von Zukunftsunsicherheiten für alle getötet“ zu haben."
Von den ca. 740 Mio Europäern sind über 15% arm oder armutsgefährdet, d.h. deren "Zukunftunsicherheiten" sind vorgegeben.
https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Income_poverty_statistics/de&oldid=456684
15% von 740 Mio sind weit über 100 Mio, deren "Resilienzen" anscheinend (?) ausreichen/stark genug sind, um sich (noch?) nicht eigenhändig ins sozial verträgliche Ableben stürzen zu wollen(???).
Es gäbe für die Leidenfrost's der medialen Entrüstungs - Welt auch millionen (anderer) Fallstudien, um den Bourdieu-Finger (siehe:"das Elend der Welt") in die Wunde namens neoliberaler Kapitalismus zu legen.
Und da reden wir erstmal nur um die vermeintliche Wohlstandsinsel West-und Nord- Europa und lassen die Hälfte der Weltbevölkerung, der es wirklich richtig dreckig geht, aussen vor.
Ulrich Beck, Pierre Bourdeu, Eva Illouz oder Zygmunt Bauman.
Harald Welzer?
Oder nun hier: Martin Leidenfrost. Und einige Mitglieder der FC. Diagnosen. Analysen. Zustandsbeschreibungen. Vorschläge. Pessimismus. Fatalismus. Ideen. Fanatismus. Glaube. Verzweiflung.
Und wie weiter?
Vielleicht lässt sich @Zack's Resilienz-Kritik hiermit "etwas" kürzer und griffiger fassen:
"Angesichts von Zukunftserwartungen, die von Chaos- und Bedrohungsszenarien geprägt sind, ist es durchaus vernünftig, Vorkehrungen zu treffen, um Störungen von außen überstehen zu können. Selbstverständlich spricht nichts dagegen, die Widerstandskraft von Menschen zu stärken. Und natürlich ist es notwendig, Menschen in ihrem Bemühen zur Seite zu stehen, sich vor Katastrophen zu schützen. Absurd aber wird es, wenn das Bemühen um Resilienz zur Rechtfertigung dafür herhalten muss, nichts mehr gegen die Ursachen von Krisen tun zu müssen. Genau das aber ist zunehmend der Fall. Einer Politik, die „auf Sicht fährt“ und gar nicht mehr den Anspruch erhebt, Alternativen zur herrschenden Krisendynamik zu denken, kommt das Resilienz-Konzept sehr zu pass."
......."Wie auch immer der Begriff Nachhaltigkeit verwendet wird (und es hat sich auch an ihm sehr viel berechtigte Kritik entzündet), er impliziert Wertvorstellungen, an denen sich politische, ökonomische und technologische Entscheidungen auszurichten haben. Insbesondere in der Idee einer nachhaltigen Entwicklung geht es um Vorstellungen, wie durch aktive Gestaltung der Verhältnisse menschenwürdige Lebensumstände geschaffen und Gefahren minimiert werden können.
Ein solches normatives Konzept fehlt der Idee der Resilienz:
Ihr geht es nicht mehr um gesellschaftliche Ideale, sondern nur um die Frage, wie sich Menschen und Systeme gegen Störungen, sprich: gegen eine aus den Fugen geratenen Welt schützen können. Ihre Klammer ist nicht mehr das Bemühen um eine Korrektur zerstörerischer Verhältnisse, sondern die Anpassung an den voranschreitenden Zerstörungsprozess. War die Moderne noch von der Idee beseelt, die Risiken, denen Menschen ausgesetzt sind, reduzieren und so eine bessere Zukunft aufbauen zu können, geht es heute eigentlich nur noch um Sicherung des Status Quo und der mit ihm verbundenen sozialen Ungleichheit. Der utopische Überschwang, der noch die Gründung der UN begleitet hat, ist einem pragmatischen Realismus gewichen, der nichts mehr verändern will und es am Ende den Leuten überlässt, mit den Umständen zurechtzukommen."
T.Gebauer:
https://www.medico.de/resilienz-statt-nachhaltiger-entwicklung-16433/
"Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt“, lautete eine bekannte Parole der 68er-Bewegung. Die Botschaft der Resilienz kehrt die darin enthaltene Logik um: Wer sich nicht anpasst, lebt verkehrt – und soll sich dann auch bitte nicht beschweren, wenn er oder sie ausbrennt oder depressiv wird."
https://www.deutschlandfunkkultur.de/moderne-arbeitswelt anpassung-statt-kritik.1005.de.html?dram:article_id=454770
"Resilienz sagt NEIN und trägt die Folgen des Neins, welche sie auch sein mögen"
Hat der "um seinen Vorteil (sic!) kämpfende" Bartleby ja auch durchgezogen.
"Es geht ihm IMMER um eigene Belange, um die seiner eigenen Gruppe: um den VORTEIL."
Komisch, bei dieser Zuschreibung fällt mir eine ganz andere Gruppe als die der "psychisch Gebrechlichen" ein.
Zur Resilienz.
Eine Gesellschaft, die Resilienz nötig macht, ist keine gute Gesellschaft. Es gibt das Unvermeidliche (zB den Tod als Lebensende), das wir hinnehmen müssen und psychisch hinnehmen können sollten, aber gesellschaftliche Mängel sind nicht unvermeidbar und müssen nicht ausgehalten, sondern bekämpft werden. Die gute Gesellschaft lebt von den starken Individuen und erlaubt den Schwächeren, temporär oder auch dauerhaft schwach zu sein.
Es wurde, wie hier mit Gebauer zitiert, zurecht die Ersetzung der aktiven Kritik und Widerstandskraft durch Resilienz moniert, eine Substitution, deren Funktion wohl korrekt benannt wurde. Das heißt keinesfalls, daß auf die Stärkung der Resilienz verzichtet werden sollte, als Basis für die aktive Widerstandskraft ist sie durchaus notwendig. Und von manchen wird sie wohl als diese aktive Widerstandskraft einschließend verstanden.
Der andere Punkt ist die falsche Einseitigkeit. Man könnte sagen, es gibt immer die Starken und die Schwachen. Aber Schwäche ist nicht einfach mißlich, die Verletzlichkeit, die als Gegenbegriff zur Resilienz gesehen wird, ist auch eine Stärke, die Resilienz, der Widerstandswille auch eine Härte, eine Schwäche bis hin zur Unmenschlichkeit. Im Idealfall sind wir stark und schwach zugleich, und in einer solidarischen Gesellschaft könnten wir in Harmonie teils stark teils schwach sein.
Und durch das Kopieren von geschätzt zwei Seiten Text glaubst du, etwas vermittelt zu haben?"
Glaub ich nicht. Ist allein Deine Entscheidung.
dies ist ein schönes plädoyer zur weihnachts-stimmung :
für eine harmonie-gesellschaft, in der es un-möglich ist, zu scheitern.
ich möchte Ihnen zugestehen: 10 von neun möglichen irrealis-punkten.
Alle staatlich/privaten Erziehungsmaßnahmen zur Frustrationstoleranz und Resilienz ("persönliche Widerstandsfähigkeit") wollen das Aushalten von Frust einüben, weil die Gründe des Frusts bestehen bleiben sollen.
Versuchs doch einmal mit der Absage an alle Theorien, Konzepte und Methoden, die immer nur das friedliche und wohlanständige Zurechtkommen mit solchen Verhältnissen propagieren, die es ihren Bürgern gegenüber an eben dieser Friedfertigkeit und Wohlanständigkeit fehlen lassen? Und warum teilt man Kindern, Jugendliche und Erwachsenen nicht zur Abwechslung einmal die Wahrheit über die hiesige Gesellschaft mit, erklärt ihnen den Grund staatlicher Gewaltausübung, klärt sie auf über das Prinzip der Konkurrenz, über den Unfug des erzwungenen und freiwilligen Vergleichens, über die Lüge, dass jedermann hierzulande seines Glückes Schmied sei, über die Unwahrheit der Versager-Logik und über die Unsitte des Selbstbewusstseinskults und Anerkennungswahns? Das hilft zwar nicht beim Zurechtkommen, klärt aber wenigstens darüber auf, warum hierzulande ständig enorme Anstrengungen unternommen werden müssen, nur um irgendwie mit den jedermann vorgesetzten Verhältnissen zu Recht zu kommen.
Wenn Scheitern unmöglich wäre, gäbe es auch keinen Erfolg, wäre alles determiniert. Ich bitte darum, mir nicht solchen Unsinn zu unterstellen. Aber Scheitern kann seinen Schrecken verlieren, ist das kein schönes Ziel? Da, wo man die Wahl hat, kann man scheitern, das sollte aber keine existentielle Bedrohung nach sich ziehen. Die neun Punkte gebe ich zurück, behalte den einen, das reicht.
Wieso? Dann hätte ich mich falsch ausgedrückt. Stärke ist die Fähigkeit, etwas (gutes oder böses) tun oder lassen zu können. Schwäche bedeutet, diese Handlungsalternative nicht zu haben. Ich finde es gut, wenn man Dinge erreichen kann, die als unmöglich gelten, und ich finde gut die Schwäche, nicht töten oder jemanden quälen zu können.
Korrektur: ... wenn man gute Dinge ...
Und es sei (nicht nur) Dir empfohlen, nicht ausschließlich dumme Vermutungen über die vermeintlichen Vorhaben Dir widersprechender Kommentatoren anzustellen und vielleicht auch mal eine Sekunde lang das Moral predigen stecken zu lassen.
Ich versuchs mal: Und es sei (nicht nur) Dir empfohlen, nicht ausschließlich dumme Vermutungen über die vermeintlichen Vorhaben Dir widersprechender Kommentatoren anzustellen und vielleicht auch mal eine Sekunde lang das Moral predigen stecken zu lassen.
o.k., nächstes jahr mit weniger unterstellungen: das werde ich versuchen.
aber ein leben ohne schrecken kann/will ich mir nicht vorstellen.
das ginge ja auch gegen positive überraschungen.
gegen existenziell bedrohliches, das durch gesellschaftliche einrichtungen/
soziale orientierung mit räsonablem aufwand gepuffert werden könnte,
bleibt uns ja einiges zu tun. zu warnen und zu schreiben...
und einen rutsch brauchen wir uns auch nicht zu wünschen:
der droht, wenn wir nicht mal die drift verhindern können. :-)
die romanovs
- in ihrem romanov-leben lebten im überfluß,
verhinderten das flüssig-werden von vielen/nicht wenigen: bei zeiten.
- können heute aber keine wieder-gut-machung frech fordern,
wie die überflüssigerweise geschonten hohenzollern.
- in derartigen macht-politischen schlüssel-positionen lebt es sich
meistens: un-geniert, mit einer lebens-versicherung,
denen es den vielen er-mangelt.
- die bolschewiken/aktivisten der revolution haben überhaupt
nichts aus einem überfluß getan: zu vieles aus zu großem mangel.
eher aus einem über-hang des nicht-wissens um die folgen.
- der über-schwang der guten gefühle erhebt sich meist da,
wo die not keine stimme hat/ nicht bremst.
ich wünsche Ihnen (kontra-bewußt) ein besseres neues jahr !
Schön, daß Sie sich mal explizit ausgesprochen haben. Sie sind ein Fundamentalreligiöser, allerdings mit einer satanischen Religion (oder Dystopie). Wer‘s mag.
Keine Angst. Es gibt kein Leben ohne Schrecken. Ich wünsche mir nur ein gesellschaftliches Leben, in dem der größte Schrecken das Singen einer Schnulze ist, das eine kleine Depression auslöst. Damit meine ich keine Jenkinsarie, die löst Lachkrämpfe aus, süß.
So sehr ich sonst die Texte des Autoren mag, insbesondere die über Osteuropa, so schwach finde ich den vorliegenden. Die Diskussion zeigt das auch sehr schön, weil die wenigen Informationen über den Studenten geradezu einladen, den Fall nur aus der eigenen schon vorgefertigten Perspektive zu sehen. Das führt jedoch zu nichts als der Bestätigung der eigenen Position durch Zurückweisung aller anderen.
Zum Jahresende hat Stephan Schleim eine ausführliche Rezension eines Buches veröffentlicht, die die hier angesprochene Problematik in einen größeren Rahmen stellt. ›Ein Besuch im "Café am Rande der Welt"‹ sei jedem empfohlen, der sich "Über den Lebenssinn und Kritik an der Du-kannst-alles-erreichen-wenn-du-nur-willst-Ideologie" informieren möchte.
Na, dann macht mal zu, ihr Silicon Valley Optimisten auf den den Massen abgeluchsten Steuergeldern. KI wird‘s richten. Mal sehen, ob es klappt, den Menschen vom Störfaktor seiner Natur zu reinigen.
Naja, wir beide, so unterschiedlich wir sein mögen, glauben nicht an diese Utopie. Aber man muß daraus nicht die Konsequenz ziehen, daß die Menschheit richtungslos durch die Brownsche Molekularbewegung der Individuen formlos bleibt und dem Tod entgegensteuert. Jedenfalls nicht so schnell. Dazwischen geben wir uns Formen erzwungener oder freiwilliger Ordnung, ja, eine temporäre Konvergenz der Gesellschaften, die sich in epochalen Charakteristiken zeigt, ist die Grunderfahrung unserer Geschichtsauffassung, jedenfalls seit wir historistisch denken können. Sogar gewaltgestützte Herrschaftsordnungen finden hinreichend Zustimmung, um funktionieren zu können. Es gibt keinen Grund, warum bessere Ordnungen nicht ebenfalls, sogar leichter, allerdings immer gegen die Widerstände der asymmetrischen Gruppe der Nutznießer, möglich wären.
Kleine Zusatzbemerkung:
Resiliente, also sich lebenstauglich dünkende Zeitgenossen, die das Scheitern jeder Art dem Individuum als Schuld zuschreiben, können zumindest in einer Sache Realismus beanspruchen; nicht in Bezug auf die Wirklichkeit der kapitalistischen Gesellschaft, die mit Notwendigkeit Verlierer hervorbringt, ja direkt braucht, wo es Sieger geben soll; wohl aber in Bezug auf die von ihnen geteilte Selbstauffassung der allermeisten Bürger
. Die arbeiten sich an Lebensbedingungen ab, die die Erfolge ihrer Anstrengungen zum Zufall machen und sie für viele überhaupt ausschließen. Kritiklos diesen Lebensbedingungen gegenüber beauftragen und verpflichten sie sich im Kapitalismus auf den „Pursuit of Happiness“, präparieren sich selbst zum Mittel ihres beruflichen, gesellschaftlichen, sexuellen Erfolges und messen sich an ihrer Tauglichkeit für ihr mehrheitlich zum Scheitern verurteiltes Lebensprogramm. Im verbissenen Willen, diesen Umständen ein erfolgreiches, befriedigendes, geglücktes Leben abzuringen, werden sie mit zunehmenden Alter immer „bösartiger“ und tun sich und Ihresgleichen noch einiges mehr an, als ihre ökonomischen Rollen als Kostenfaktor Arbeitskraft, als Arbeitslose, als Mütter und Hausfrauen etc ohnehin vorsehen.
Und wenn Menschen dann tatsächlich zerbrechen, dann nicht nur an den ganz objektiven Leistungsanforderungen, dem Geldmangel, Elternpflichten etc., sondern immer mehr daran, dass diese Schmiede ihres gescheiterten Glücks an sich als dem Mittel dazu überhaupt nichts taugte. Sie verurteilen sich, trauen sich nichts mehr zu, oder halten krampfhaft und gemeingefährlich ihr zum Weitermachen nötiges „Selbstbewusstsein“ aufrecht, dass sie die Größten sind.
Von diesem moralischen Wahn schmarotzt dann die psychologische Wissenschaft: Sie nimmt die zerstörerische Selbstverpflichtung der modernen Konkurrenzpersönlichkeit darauf, jede ihr von Staat und Wirtschaft vorgeknallte Lebensbedingung zu bewältigen und darin ihr Glück zu machen, als absolute Selbstverständlichkeit und bestärkt die Leute auch noch darin. Das nennt sie dann Praxis und Hilfe – und genauso sieht das dann auch aus.
Mir geht es nicht so sehr um 'Resilienz'. Die braucht jeder Mensch um in einer beliebigen Umgebung zu überleben. In der einen mehr, in der anderen etwas weniger. Schleim hat es in diesen drei Absätzen auf den Punkt gebracht.
"Was hier passiert, ist eine Individualisierung von Schicksalen, wie sie für das neoliberale Denken charakteristisch ist: Es gibt keine Gesellschaft und keine Strukturen, die dein Leben beeinflussen; dafür bist ganz allein du selbst verantwortlich. Haben die Menschen dies inzwischen so sehr verinnerlicht, dass sie massenweise Streleckys Bücher kaufen und ihm alles einfach so glauben?
Korrekt ist ein Mittelweg: Wir können unsere Wünsche im Rahmen unserer Möglichkeiten erfüllen. Dafür sind unsere vergangenen Erfahrungen, die uns prägen, sowie unsere heutige Situation entscheidend, einschließlich unserem Vermögen und unserer sozialen Kontakte.
Oder um es mit den Worten einer indischen Lehrerin zu sagen: Wir co-kreieren unser Leben zusammen mit der Welt um uns herum. Aber auch in unserem eigenen Kulturkreis ist es eine jahrtausendealte Weisheit, das zu ändern, was wir verändern können; das zu akzeptieren, was wir nicht ändern können; und die Einsicht zu haben, die beiden Arten von Dingen voneinander zu unterscheiden."
Und @ alle
Danke, ich wünsche hier niemandem ein gutes Jahr, weil ich nicht an die Magie des 31.12.-1.1. glaube, aber uns allen alles Gute.
Halt ein echter Schleim wie er im Buche steht. Jetzt müßte der weise Psychomann nur noch verraten, was wir denn "verändern können und was nicht", nur muß er das ja überhaupt nicht. Die anschließenden Übungen und Trainingseinheiten in Sachen "Akzeptanz" und "Einsicht" für die aus dem Ruder gelaufenen Glücksschmiede, die darin bestehen, aus den Notwendigen Zumutungen des Demokratischen Kapitalismus eine unvermeidliche Selbstverständlichkeit und erneute "Chance"zu zirkeln, ist der ganze Inhalt seiner bei Staat, Kapital und Bürgern so beliebten Psychokirche.
Ach ja, einen guten Rutsch und viel Erfolg beim "co-kreieren" im Neuen Jahr.