Das Impfwunder, ein Rätsel

Serbien Fast hätte sich unser Autor auch am Belgrader Buffet immunisieren lassen
Ausgabe 07/2021
Der Balkanstaat Serbien legt beim Impfen vor: Mehr als 500.000 der knapp 7 Millionen Einwohner haben bereits ihre erste Dosis erhalten
Der Balkanstaat Serbien legt beim Impfen vor: Mehr als 500.000 der knapp 7 Millionen Einwohner haben bereits ihre erste Dosis erhalten

Foto: Andrej Isakovic/AFP/Getty Images

Bald werden zehn Prozent der serbischen Bevölkerung beide Dosen des Anti-Corona-Vakzins erhalten haben. Aufsehen erregte dabei die Kolumne Eine Europäerin in Belgrad. Vedrana Rudan, eine EU-Bürgerin aus dem Feindesland Kroatien, meldete sich zur serbischen Massenimpfung an und staunte in der Belgrader Messehalle: „Was ist das? Ein Buffet voller Impfstoffe!“ Nach dem Piks ging sie im Zentrum spazieren: „Was ist das? Offene Cafés?“ Die Kolumnistin verglich ihre Belgrader Glückseligkeit mit der Zagreber Lockdown-Tristesse, in der man vergeblich auf „die Rettung durch Europa“ wartete, und herzte ihren Enkel mit den Worten: „Hier hast du ein Belgrader Küsschen von Oma.“

Serbiens Bürger genießen tatsächlich Wahlfreiheit. Da „Sputnik V“ aus Russland nur langsam kommt und Pfizer tröpfchenweise, liegt der große Unterschied in 1,5 Millionen bereits von Sinopharm aus China gelieferten Dosen. Ich sah mir die Immunisierung in der Provinz an, in der Vojvodina, in Bački Petrovac. Zwei Drittel sprechen dort die Umgangssprache meines Haushalts, Slowakisch. Beim ersten Mal kam ich zu spät. Eine junge Ärztin erzählte mir, dass etwa „die Hälfte des Gesundheitspersonals“ die Impfung ablehne. Sie selbst musste warten, da sie noch stillte, und schwankte zwischen Westen, Russland und China. Ich setzte mich in die Pizzeria an der Kreuzung Masaryk/Marschall Tito – mein Gericht ging in geschmolzenem Käse unter – und fuhr weiter.

Neulich kam ich wieder. Die junge Ärztin impfte, zwölf Betagte bekamen ihre erste chinesische Dosis, ich saß mit ihnen im Warteraum. Ein zappelnder Sportsmann, Begleiter seines gebrechlichen Vaters, verfluchte Impfgegner: „Die gegen das System sind, sollen dann auch auf der Straße sitzen, wenn sie krank werden. Ich kenne so einen, jetzt liegt er mit Corona, und wenn er von der Impfung hört, kriegt er große Ohren!“ Im Abgang drehte er sich noch einmal um: „Weißt du, warum man in Serbien impfen muss? Weil die Leute bei euch den Maßnahmen folgen, hier nicht.“ Tatsächlich war die Disziplin im Warteraum schlecht. Nur eine blieb nach der Impfung wie verlangt 15 Minuten sitzen.

Alle wollen Chinas Vakzin

Zwei der Patienten kannten sich offenbar. Sie war 80, er nur 78, weshalb sie ihn anredete wie ich meinen anderthalbjährigen Sohn. Janko war die Wahl des Impfstoffs wurscht: „Ich bin allein, meine drei Söhne sind in Italien, ich fürchte, dass ich Corona kriege und dann ...“ Die 80-Jährige, früher Krankenschwester, wählte Sinopharm, weil das der omnipräsente Dr. Kon für ihre Altersgruppe empfohlen hatte. Dazu hatte sie in den Nachrichten gehört, „dass wir der einzige Staat sind, der es sich aussuchen kann. Wir haben einen guten Präsidenten“.

Die Tochter einer 82-Jährigen war misstrauisch: „Panschen die da nicht alle möglichen Antibiotika rein? Ich warte lieber die Folgen bei Mama und bei meinem Mann ab.“ Letzterer hatte Pfizer gewählt, aber Pfizer war für Petrovac abgesagt, das bedeutete Warten oder Umdisponieren. Eine Frau sagte: „Alle wollen den chinesischen Impfstoff, den westlichen trauen sie nicht.“ Die meisten im Warteraum sagten freilich, sie hätten Sinopharm gewählt, weil es in Petrovac nichts anderes gebe. Sooft ich nach dem Impfdesaster der EU fragte, bekam ich ein „Weiß nicht“ oder milden Spott zu hören. Das habt ihr davon, dass ihr euch für Vakzine aus dem Osten zu gut gewesen seid.

Ich setzte mich wieder in die Pizzeria, auch das andere Gericht ging in geschmolzenem Käse unter. Das serbische Wunder gab mir Rätsel auf. Nicht die bevorzugte Belieferung durch Sinopharm, immerhin hatte Präsident Vučić die chinesische Flagge geküsst und „Danke, Bruder Xi“-Plakate aufhängen lassen. Ein „Digitales Forensisches Zentrum“ hatte im Frühjahr Zehntausende China-Jubel-Tweets verschickt. Ein Wunder ist eher, dass die Serben ohne zweiten und dritten Lockdown deutlich weniger Corona-Tote als Deutschland melden. Wäre ich so schnell wie die kroatische Kolumnistin gewesen, hätten sie vielleicht sogar mich am Belgrader Buffet geimpft.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden