Der weiche Gang des walachischen Panthers

Ostwind Kolumne

In das Belgrader Hotel Moskva hatte es Martin Leidenfrost jüngst verschlagen, als er auf seinen Wanderungen durch den Westbalkan Rajko Djuric, den serbischen Roma-Schriftsteller, treffen wollte, der sich seit Januar auch als Parlamentarier in der serbischen Nationalversammlung versucht. "Das ist meine moralische Pflicht. Ich tue das für mein Volk, für meine Kinder", hatte er diesen Aufallschritt in die Politik begründet, um ansonsten unverbindlich zu bleiben.

Von Serbien ist aus ist Martin Leidenfrost nun in die Walachei geraten. Aber wo liegt die Walachei? Die Welt gleich hinter Wien, hieß es zu k.u.k.-Zeiten, als die Welt hinter Wien noch recht weit und weitläufig war.

Drei Völker haben über die Mitte und den Osten Europas verstreut gelebt: Deutsche, Juden und Roma. Es könnte ein viertes Volk gegeben haben, das über Staatsgrenzen hinweg Bindungen schuf: das Hirtenvolk der Walachen.

Die Walachen, die auf dem Territorium des heutigen Rumäniens geblieben sind, haben mit den Moldauern den rumänischen Staat gebildet, der 1878 endgültig unabhängig wurde und diese Walachen Rumänen werden ließ. Andere zogen weiter und ziehen mit ihren Schafherden noch immer durch das kollektive Gedächtnis des Raums, der im Moment Westbalkan genannt wird.

Mein erster Walache ist mir in einem Zugabteil begegnet, zwischen Budapest und Belgrad, im April. Er war ein Wiener Jugoslawe, 32 Jahre alt, klein von Wuchs, ein gut aussehender dunkler Typ. Er war in das Dorf seiner Familie unterwegs, in den serbischen Bezirk Jagodina, zu der traditionellen Gedenkfeier, die 40 Tage nach dem Begräbnis eines Angehörigen ausgerichtet wird. Seine Großmutter war gestorben.

Mein sanfter Reisebegleiter war ein bewusster Walache, und dann auch wieder nicht. "Alle in meinem Dorf sind Vlasy, das nächste Dorf ist schon serbisch." Seit 16 Jahren in Wien ansässig, reiste er mit einem druckfrischen österreichischen Pass. Über Serbien wusste er wenig, selbst Belgrad kannte er nur vom Umsteigen, aber er wusste alles über sein Dorf.

Seine Frau stammte aus dem gleichen Ort, mit ihrem Söhnchen sprachen sie Walachisch, "irgendwie so was wie Rumänisch, aber fast 40 Prozent der Wörter sind serbisch". Er wusste genau, wie viele aus seinem Dorf augenblicklich in Wien leben, "circa 120", und er kannte alle, die aus dem Dorf in andere Länder emigriert waren, nach Italien, in die Schweiz, nach Australien.

Er war "Manager" einer Spedition, die aus einem einzigen LKW bestand und Frachten zwischen Wien und Westösterreich übernahm. Sein Vater war der Fahrer, und das Geschäft lief schlecht. Der junge Mann, der neben Walachisch fließend Deutsch und Serbisch sprach, fragte mich nach möglichen Karrierewegen.

"Am liebsten würde ich mich zwei Jahre hinsetzen und einen Fantasy-Roman schreiben, aber ich weiß, das geht nicht."

"Mach doch was mit Rumänien!", riet ich ihm.

"Wieso Rumänien?"

"Du verstehst doch Rumänisch?"

"Denke schon."

"Sag mal in deiner Sprache: Ich bin ein Walache."

"Jo sint un Vlach."

"Das klingt ziemlich rumänisch."

"Klar verstehe ich Rumänisch. Habe ich doch gesagt."

"Du warst doch bestimmt mal in Rumänien?"

"Nein."

"Aber du hast doch bestimmt mal mit Rumänen gesprochen?"

"Nein."

Er zuckte mit den Schultern. Mein Vorschlag hatte ihn nur verwundert. Er schämte sich keineswegs seiner Herkunft, aber Walache zu sein, das war für ihn eine Angelegenheit seines Dorfs. Und weiter nichts.

Viele Walachen verließen im Spätmittelalter die Weiden der Niederungen und trieben ihre Schafherden den Hauptkamm der Karpaten entlang. Wo sie sich mit den sesshaften Slawen vermischten, brachten sie sture kleine Bergstämme hervor, in den ukrainischen Karpaten die Huzulen, in der polnischen Tatra die Goralen. In den ostmährischen Karpaten endete ihre Wanderung.

Heute gibt es eine Region Valassko, die mährische Walachei. Die mährischen Walachen erhoben sich 1620 gegen die Habsburger, "Walache" war ein Wort für "Rebell". Eine Ethnie dako-romanischen Ursprungs im tschechischen Landkreis Vsetín? Neugierig geworden, fuhr ich hin.

Der ursprünglichste Flecken dieser Region Valassko soll Roznov sein, nördlich der Weißen Karpaten, am Fuße des 1.100 Meter hohen Bergrückens Radhos?t. Dort eingetroffen, fand ich von den Walachen Folgendes vor: ein Freilichtmuseum und eine Trademark. Die Trademark nennt sich Walachisches Königreich, hat aber keinen König vorzuweisen; eine Tourismus-Event-Agentur dieses Namens vertreibt Reisepässe, Land- und Korrespondenzkarten der neckischen Art.

Roz?nov war im frühen 20. Jahrhundert ein beliebter Luftkurort. Damals stiegen die Senner nach Mitternacht von ihren Almen herunter, auf dem Rücken zehn bis zwanzig Liter Molke, die sie im Morgengrauen verkauften. Die Kurgäste spazierten durch den Park, atmeten die harzige Gebirgsluft ein und tranken aus Kurbechern die aufgewärmte Molke.

Ich war an einem Sonntag im April dort. Das Städtchen lag wie ausgestorben im Tal, nur im Freilichtmuseum tummelten sich Ausflügler. In den einstöckigen Holzhäusern sah ich kurze Holzbetten mit aufgeschlagenen Daunendecken und einen Aushang der "k.u.k. Bezirkshauptmannschaft Wallachisch-Mesiritsch" aus dem Jahre 1850 betreffend "Brot- und Semmel-Taxe".

Nach kurzer Zeit saß ich im Biergarten der musealen Schenke Jerábek und ließ walachische Spezialitäten auftragen. Ich bekam eine "walachische Sauerkrautsuppe" mit Sauerrahm, danach "walachische Fleischstücke" mit aufgeschnittenen Kartoffelknödeln und neuerlich Kraut. Danach brachte man mir "Kudlák", einen mit Sliwowitz versetzten warmen Honigwein, der wie der Reiswein im China-Restaurant schmeckt.

Neben mir musizierten zwei ältere Herren auf tischgroßen Hackbrettern. Einer der beiden war in Tracht gekleidet. Wenn er auf Rauchpause wegging, sah ich ihm genießerisch nach, denn seine zartrosa Mokassins, bis zur Wade hinauf geschnürt, verliehen ihm den weichen Gang eines walachischen Panthers.

Nach der langen Anreise lag mir das Mahl schwer im Magen. "Warum schauen Sie so traurig drein?", fragte mich der vielsprachige junge Kellner. Da ich eifrig von der Speisekarte abgeschrieben hatte, hielt er mich vielleicht für einen Gastrokritiker. Jedenfalls brachte er statt der Rechnung zwei Sliwowitz.

Ich fragte ihn, warum die heilende warme Walachenmolke in Roznov nicht mehr zu haben ist. "Die wird nur noch für große Anlässe zubereitet", erklärte er mir: "Die muss frisch getrunken werden, denn wenn die gelagert wird ..." - Bei diesen Worten verzog er sein hübsches Gesicht zu einer grässlichen Grimasse. Mehr habe ich über walachische Kultur nicht gelernt.


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