Die Linken hier sind heiß

Wallonie In Herstal kriegen Rechtspopulisten kein Bein auf den Boden – bis zu 83 Prozent wählen Arbeiterparteien
Ausgabe 29/2019
Die PTB, die „Partei der Arbeit Belgiens“, ist als linke Partei tief im Arbeitermilieu verwurzelt
Die PTB, die „Partei der Arbeit Belgiens“, ist als linke Partei tief im Arbeitermilieu verwurzelt

Foto: Dirk Waem/AFP/Getty Images

Als wäre das ein Naturgesetz, haben wir uns daran gewöhnt, dass große Teile der Arbeiterschaft in Europa rechtspopulistisch wählen. Es gibt eine schillernde Ausnahme: den französischsprachigen Teil Belgiens. Rechtspopulisten kriegen in der Wallonie kein Bein auf den Boden, die sozialdemokratische PS ist weiterhin die führende Partei, und der Protest geht massiv nach links, zur exkommunistischen „Partei der Arbeit Belgiens“ (PTB). In den Industriestädten des Lütticher Beckens holen linke Parteien mehr als 70 Prozent, in Herstal zwischen 74 und 83 Prozent.

Ein Zeitungskommentar namens „La gauche la plus sexy du monde?“ – „Die heißeste Linke der Welt?“ – nennt mögliche Gründe: Sowohl PS als auch PTB verfügen über politische Rampensäue, die in jeder Malocherkneipe bestehen, und beide Parteien sind tief in den einfachen Milieus verwurzelt. So betreibt die PTB einige „Medizinhäuser fürs Volk“, die Kranke bedingungslos und kostenlos behandeln, und ihre Politiker sind großteils Arbeiter. Nadia Moscufo etwa, am 26. Mai neu ins belgische Parlament gewählt, saß 21 Jahre in Herstal bei Aldi an der Kasse.

Ich fahre in die vielleicht linkeste Stadt Europas. Mitten in Herstal liegt die „Fabrique Nationale“, von einst 10.000 Arbeitern beschäftigt die 1997 verstaatlichte Pistolenfabrik noch 600; Arbeitslosigkeit 17 Prozent. Das neue Rathaus ist bis auf die Wiesen-Quadrate der Fassade knallrot. Der PS-Bürgermeister zapfte als EU-Abgeordneter EU-Fonds an und fördert damit ein „Haus der sozialen Kohäsion“, ein „Inter-Generationen-Haus“, eine Gratis-Suppenküche, eine „solidarische Tafel“ und ein „taxi social de Herstal“.

Man schnackt Rumänisch

Herstal wäre eigentlich fruchtbarer Boden für Rechtspopulisten, denn zum Straßenbild gehören Gruppen von Roma, Muslimen und Afrikanern, 48 Prozent der 40.000 Einwohner haben eine Migrationsgeschichte. An diesem Sommerabend ist Herstal aber ein Multikulti-Idyll: Nur im „Le Romantic“ hocken alte weiße Männer zusammen; der Pizzabäcker aus Bologna hält seine Kellnerin und ihre Clique, obwohl sie astreines Rumänisch schnacken, für Albanerinnen; die Freundeskreise in den anderen Cafés sind multikulturell zusammengesetzt. Das Herstaler Styling ist ziemlich prollig. Mit dem weißen Hemd, das ich dummerweise trage, komme ich mir wie ein rechtes Arschloch vor.

Ich gehe zum Medizinhaus fürs Volk. Es ist das älteste, gegründet 1979. Rechts der Warteraum, links das Parteilokal der PTB. Ich klingle am heruntergefahrenen Rollladen und frage eine Ärztin: „Bin ich hier bei der heißesten Linken der Welt?“ Von Lachkrämpfen geschüttelt, bejaht sie das. Da biegt auch schon Nadia Moscufo, 56, um die Ecke. Die neue Abgeordnete sperrt das Parteilokal auf.

Ihre Eltern, erzählt die kleine, lebhafte Frau, waren kommunistische italienische Einwanderer. Da sie bei Aldi gewerkschaftlich engagiert war, „wollte mich der Chef zwei Mal loswerden. Er bot mir sogar siebeneinhalb Millionen belgische Franc an, ich stehe aber nicht zum Verkauf.“ Danach arbeitete sie im Medizinhaus. Moscufo gibt mir das Wahlprogramm, 248 dicht bedruckte und interessant geschriebene Seiten. Reichensteuern, Gratis-Öffis, 30-Stunden-Woche, Mindestpension 1.500 Euro.

Moscufo glaubt, dass der Aufstieg der Partei mit dem „Achten Parteitag“ 2008 begann: „Die PTB genoss Sympathien, konnte das aber lange nicht in Wählerstimmen ummünzen. Schon 2000 führten wir in Herstal eine Umfrage durch. Es kam heraus, dass das, was uns am meisten aufregte – ein Gefängnis für Flüchtlinge, eine Schande! –, den Leuten nicht so wichtig war. Die Leute regte auf, dass die Müllsäcke teurer werden sollten. Wir entwickelten ein Abfallkonzept und machten eine Kampagne gegen die Preiserhöhung.“ Zuletzt gelang es, eine Anti-Konzern-Allianz von Arbeitern und kleinen Gewerbetreibenden zu schmieden. „Bei denen sind wir jetzt die zweitstärkste Partei!“ So kommt die einstige Kadersekte in Herstal auf 27,5 Prozent. Anderswo hat die Linke die Arbeiter verloren. Ein Naturgesetz ist das nicht.

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