Ein Linksruck ohne Linke

Die Slowakei nach der Parlamentswahl Scheiden sich an der Einheitssteuer wirklich die Geister? Die siegreiche Smer-Partei dürfte um Kompromisse nicht verlegen sein

Nachdem auf die Slowaken vier Jahre lang eine Schrotladung wirtschaftsliberaler Reformen niedergegangen war, zweifelte niemand am Sieg der oppositionellen Smer-Partei. Smer hatte sämtliche Umfragen mit haushohem Abstand angeführt, lange Zeit mit Traumwerten, die klar über dem tatsächlichen Wahlergebnis von 29 Prozent lagen.

Überraschender als Smers erwarteter Sieg war das sinistre Gebaren der Sieger selbst: Die in- und ausländische Presse, die sich in der Wahlnacht vor der Parteizentrale versammelt hatte, wurde vor der Tür gehalten, eingezwängt zwischen zwei Baracken, die mit der Parole "Ordnung und Gerechtigkeit" bemalt waren, abgedrängt von den geschorenen Gorillas eines privaten Sicherheitsdienstes, die im Slowakischen treffend "Dickhälse" heißen. Als die Sonne über der linksgewendeten Slowakei schon aufgegangen und die ohne Sitzgelegenheit und Getränke ausharrenden Journalisten zermürbt waren, kam Parteichef Robert Fico heraus, begleitet von einer handverlesenen Schar zumeist älterer Damen, die erkennbar das "einfache Volk" zu repräsentieren hatten. Die Gruppe stellte sich im Kreis auf, hielt prostend Plastikbecher mit Weißwein hoch, sang ein Volkslied sowie die Nationalhymne und verschwand wieder. Fragen durften nicht gestellt werden.

Wahlsieger Robert Fico raunte zuweilen etwas von einem "dritten Weg"

Smers eigentümliche Darbietung könnte man als kurioses Beispiel missglückter Öffentlichkeitsarbeit durchgehen lassen, würfe sie nicht zum wiederholten Male die Frage nach der eigentlichen Natur dieser Partei auf, die 1999 als Abspaltung der mittlerweile untergegangenen Linkspartei SDL gegründet wurde. Von Anfang an nahm Fico zahlreiche Unternehmer in Führungspositionen der Partei, deren Name "Richtung" bedeutet und deren Logo ein Pfeil ist, der nach rechts weist. Zu den 50 Abgeordneten, die Smer künftig im 150 Sitze zählenden Parlament vertreten, zählen neben einigen klassischen Sozialdemokraten auch die Profiteure der Privatisierungen in den neunziger Jahren, die unter dem autoritären Regime des damals allmächtigen Premiers Meciar nach einem einfachen Prinzip abliefen: Wer ein Freund des Regierungschefs war, bekam die Perlen der Volkswirtschaft für einen Apfel und ein Ei.

Vor der Wahl 2002 raunte Fico zuweilen etwas von einem "dritten Weg", erlaubte sich gelegentlich kalkulierte Ausfälle gegen die ungarische Minderheit und sprach sich sogar für die Einführung einer Flat-Tax aus. Als das Rechtskabinett von Premier Mikulás? Dzurinda die Flat-Tax 2004 dann tatsächlich einführte, erkannte der wendige Jurist schnell, dass er sein bis dahin mäßiges Wählerspektrum gewaltig erweitern könnte, würde er sich als schärfster Kritiker der unpopulären Reformen positionieren. In der Folge trat Smer der Sozialistischen Internationale bei, verständigte sich mit den danieder liegenden Gewerkschaften und nannte sich fortan "Smer-Sozialdemokratie".

Als Strippen ziehender Taktiker ist Fico beinahe so geschickt wie der bisherige Premier Dzurinda, der in seinen acht Jahren als Premier zusammengerechnet neun Koalitionäre durchprobiert hat. Was der Mann mit dem steinernen Gesichtsausdruck wirklich will, weiß indes niemand. So scharf er die Reformen im Steuer-, Renten- und Gesundheitssystem als "rechtes Experiment" anprangert, so vage redete er über Alternativen.

Auf jeden Fall versprach Fico einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf Lebensmittel und Medikamente, neue Steuern auf Dividenden und "überproportionale Unternehmensgewinne". Vor allem deutete er die Rückkehr zu einem progressiven Steuersystem an - wohlweislich ohne ein neues Einkommenssteuer-Modell vorzulegen. Gerade viele Linke, die seit der Unabhängigkeit unter der endemischen Schwäche diverser postkommunistischer Parteien leiden, befürchten zu Recht, dass Smer ihre Hoffnungen enttäuscht - die Millionäre in Ficos Reihen könnten die 19-Prozent-Einheitssteuer lieb gewonnen haben.

Ungarnhasser Ján Slota will für Zigeunerinnen den Gummi-Knüppel

"Wir haben uns standardisiert", beschreibt Fico den Prozess seiner Sozialdemokratisierung und greift damit das Zauberwort einer politischen Szene auf, die weniger vom Gegensatz Links-Rechts als vom spezifisch slowakischen Gegensatzpaar "Standard" und "Nicht-Standard" geprägt ist. Als "Nicht-Standard" gilt dabei Meciars HZDS, die das Land zwischen 1994 und 1998 international isoliert hat und seither auf den harten Bänken der Opposition stetig schrumpft. Diesmal fuhr der ebenso cholerische wie kranke Meciar demütigende 8,9 Prozent ein (s. Übersicht).

Meciar hat sich nach dieser Ohrfeige in seiner Villa Elektra verkrochen und zieht nur noch den Spott der Boulevardpresse auf sich, die den alten Mann am Ende seiner Karriere im Morgenmantel herbeizoomt. Die Ironie der Niederlage liegt nun darin, dass der stets als nicht standardmäßig abqualifizierte Meciar plötzlich als williger und billiger Koalitionspartner umworben wird. Wenn Dzurinda seinen einstigen Intimfeind Meciar mit einem gesichtswahrenden Angebot ins Boot holt, könnte die Reformtroika aus rechtsliberaler SDKÚ, konservativ-katholischer KDH und Ungarnpartei SMK sogar weiter regieren.

Zunächst liegt es aber am Wahlsieger, eine Regierung zu bilden. Mit der ängstlichen Unbestimmtheit, die für Fico typisch ist, hat er angekündigt, "mit allen im Parlament vertretenen Parteien Verhandlungen zu führen. Wir gehen aber nicht in die Regierung, um ein rechtes Programm zu erfüllen." Vorsichtig einschränkend fügte er hinzu, dass "alle weiteren fünf Parteien, die ins Parlament gekommen sind, zur Rechten zu zählen sind." Diese treten ausnahmslos für einen Erhalt der Flat-Tax ein, auch die slowakische Nationalpartei SNS des unverbesserlichen Rassisten Ján Slota, der mit Pauken und Trompeten ins Parlament zurückgekehrt ist und mit 11,7 Prozent auf dem dritten Platz liegt.

Wenn irgend jemand das Attribut "Nicht-Standard" verdient, dann ist das der Frauenliebling und Ungarnhasser Slota - aber auch mit ihm rechnet Fico. Der aggressive Sprücheklopfer will Innenminister werden und schlägt etwa vor, die Prostitution an den Ausfallsstraßen damit zu bekämpfen, dass "man diese hässlichen Zigeunerinnen mit dem Gummiknüppel verprügelt." Den beunruhigenden Erfolg der SNS hat Slota mit einem einzigen Thema generiert: Die Ungarnpartei SMK - in Wahrheit eine der wenigen Stützen des undurchsichtigen politischen Systems - soll nicht mehr in die Regierung kommen. Am liebsten würde er die Vertretung der zehn Prozent starken Minderheit - welcher er "großungarischen Chauvinismus" vorwirft - überhaupt verbieten.

So radikal sich Slota gegenüber den Minderheiten gebärdet, so konformistisch ist er in der Wirtschaftspolitik. Slota ist seit 1990 Bürgermeister der nordslowakischen Kreisstadt Zilina und hat sich als solcher erfolgreich um die Ansiedlung eines Autowerks bemüht - auch dank stimulierender Subventionen der Regierung. Die Flat-Tax habe sich bewährt, weil sie zu mehr Steuerdisziplin führe, sagt Slota in Ausführung seiner zweiten, samtweich-pragmatischen Rolle, die er immer dann spielt, wenn er nicht gerade in einer Diskothek einen vierfachen Cognac hinunterschüttet und sich solchermaßen gestärkt auf die Suche nach ethnischen Ungarn macht, um sie nach Herzenslust anzupöbeln.

Der Autobauer Robko kann sich selbst kein Auto leisten

Sehr viel liebenswürdiger ist Robko aus Bratislava. Er erinnert nicht im geringsten an eine Raubkatze. Aber wenn einer den Wirtschaftsboom des so genannten "Tatratigers" Slowakei trägt, dann ist es der gutmütige Riese: Für monatlich 500 Euro baut der ungelernte Montage-Arbeiter Komponenten in die Modelle VW Touareg und Porsche Cayenne ein, denn Robko ist einer von 8.000 Mitarbeitern, die in der ältesten Autoschmiede der Slowakei arbeiten, im VW-Werk von Devínska Nová Ves, direkt am österreichischen Grenzfluss March gelegen. Wenn in diesem Jahr auch KIA und PSA-Peugeot die Produktion aufnehmen, kann man sich eines besonderen Rekords rühmen: Bald wird die Slowakei jenes Land sein, das im Welt-Vergleich die meisten Autos pro Kopf herstellt.

Das Reformprogramm, das Dzurinda mit atemloser Hast durchpeitschte, hat Robko mitgetragen - kritisch, aber auch nüchtern kalkulierend. Dem Steuersystem freilich, mit dem der bisherige Premier international Furore gemacht hat, kann Robko wenig abgewinnen. "Seit Einführung der 19-prozentigen Flat-Tax zahle ich zwar weniger Lohnsteuer", räumt er ein. Das wirkt sich umso mehr aus, je mehr ihm sein Arbeitgeber bezahlt - in den vier Jahren bei VW ist Robkos Lohn von 14.000 auf 19.000 Kronen gestiegen. "Gleichzeitig ist wegen der Flat-Tax auch alles teurer geworden", klagt der Autobauer, der sich selbst kein Auto leisten kann. Er meint die Mehrwertsteuer, die parallel zur Senkung der Einkommenssteuer auf einheitlich 19 Prozent angehoben wurde. Einen ermäßigten Mehrwertsteuer-Satz auf Lebensmittel und Medikamente würde Robko unterstützen - und hat deswegen Smer gewählt. "Ich glaube nicht, dass sich groß etwas ändern wird, aber Fico will etwas für die Leute tun und wenigstens die Arztgebühren wieder abschaffen."

Die Stoßrichtung von Dzurindas SDKÚ, die am vergangenen Wochenende mit 18,4 Prozent besser als erwartet abgeschnitten hat, war eine gänzlich andere: In dem Land, das die zweithöchste Arbeitslosenrate der EU aufweist, wird Arbeit nur noch geringfügig, Konsum dafür hoch besteuert. Den Staat soll der finanzieren, "der viel isst, der viel raucht, der viel trinkt", so beschrieb Dzurinda einmal seine Philosophie. Dabei gelten "motivierende" Sozialreformen als wesentliches Element: Wer keiner Erwerbsarbeit nachgeht, fristet ein elendes Dasein.

Während im boomenden Bratislava praktisch keine Arbeitslosigkeit existiert, beträgt sie im nahen Plavecky Stvrtok, zwei Dörfer hinter dem VW-Werk, 30 Prozent. Das Phänomen ist leicht erklärt: 450 der 2.000 Einwohner sind Roma, die in einem von Müllhalden begrenzten Slum am Ortsrand hausen. Gerade einmal zwei oder drei in dieser freundlich als "Kolonie" bezeichneten Siedlung haben Arbeit. Die slowakischen Roma - auf sieben bis acht Prozent der Bevölkerung geschätzt - stehen in ihrer großen Mehrheit am Rand jeglichen Wirtschaftslebens.

An einem heißen Sonnentag tummelt sich eine vergnügte Schar junger Roma am Badesee von Plavecky Stvrtok. In der neunköpfigen Familie Horvath sind alle arbeitslos, nur der zwanzigjährige Sohn Geysa ist gelegentlich beschäftigt: "Ich sammle in den Dörfern Altmetall, für das Kilo geben sie mir fünf Kronen." Das riesenhafte VW-Werk kennt Geysa von außen - die Metall-Sammelstelle ist gleich nebenan.

Heute entspannt Geysa am Strand, zusammen mit seinen die Schule schwänzenden Geschwistern. Über den Urnengang weiß er nur, dass wieder kein einziger Roma ins Parlament gewählt wurde. "Was haben die für uns getan? Sie haben uns die Sozialhilfe gekürzt, und jetzt soll die ganze Familie mit 4.000 Kronen durchkommen (etwa 110 Euro)." Und dann fügt Geysa wie selbstverständlich hinzu: "Von unserer Familie ist niemand wählen gegangen, da müssten sie uns schon etwas zahlen." Das unterscheidet die Horvaths von jenen Slowaken, die etwas zu verlieren haben, wenn die Reformen verändert oder wenn die Steuern erhöht werden. Die Wahlbeteiligung ist zwar stark gesunken, aber die Erfolgreichen, die Gebildeten, die Motivierten und die Reichen - sie haben gewählt.


Wahlergebnis in der Slowakei


(Angaben in Prozent)

Partei20062002

Smer-Partei29,113,5

Demokratische und Christliche Union
(SDKÚ / Premier Mikulás Dzurinda)18,415,1

Ungarn-Partei
(SMK/bisher Koalitionär der SDKÚ)11,711,2

Christlich-Dem. Bewegung KDH
(bisher Koalitionär der SDKÚ)8,38,3

Bewegung für eine Demokratische Slowakei
(HZDS / Vladimir Meciar)8, 919,5

Slowakische Nationalpartei
(SNS / Ján Slota)11,73,3

Wahlbeteiligung54,6

70,1


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