Ein UFO spielte „Cheri Cheri Lady“

Finnland/Schweden Am Bottnischen Meerbusen kommt der Klimawandel gleichfalls gut voran, wenn auch nicht überall
Ausgabe 33/2021
Nicht viel los in Kalajoki, Finnland. Wärmer wird es aber auch hier
Nicht viel los in Kalajoki, Finnland. Wärmer wird es aber auch hier

Foto: Panthermedia/IMAGO

Adria und Bottnischer Meerbusen sind ungefähr gleich groß, doch während das erstgenannte Seitenmeer seit jeher viel besungen ist, kriegt man über das zweite nicht einmal ein brauchbares Buch. Das fand ich ungerecht, also widmete ich dieser Nordausstülpung der Ostsee eine Reise.

Ich kam, während der europäische Süden brannte, einen Monat, nachdem gleichzeitig mit dem kanadischen Hitzekuppel-Inferno auch das norwegische Banak 34,3 Grad und das finnische Kevo 33,6 gemeldet hatten – beide Orte nördlich des Polarkreises gelegen. Am Start erzählte mir ein Lehrer in Mittelfinnland, dass sie wegen eines Waldbrands im Küstenort Kalajoki hundert Kilometer landeinwärts die Fenster schließen mussten. Ansonsten fand Matti die 25-Grad-Tage bombastisch: „Wir hatten sechs Wochen Sommer!“ Am drittletzten Julitag sprach er von „ersten Zeichen des Herbstes, die Vogelbeeren bekommen ein klareres Orange und Rot, auch einige Birkenzweige werden gelb. Normalerweise passiert das alles viel später. Nur der typische Herbstgeruch fehlt noch.“ Am Montag dieser Woche meldete Matti, dass es nach einigen Regentagen nun auch schon nach Herbst riecht.

Die finnische Küste erschien mir als die bottnische Costa del Sol. Fragt nicht, warum, das Meer ist am Ostufer wärmer. Kalajoki erwies sich als führendes Seebad, der graubraune Strand legte sich sachte mäandernd und lange Sandstege bildend ins Wasser. Halb ausgezogene Familien mit Kindern, das Meer superwarm. Erst bei genauerer Betrachtung dieses Badeorts fiel auf, dass die Appartementblocks, mit vollverglasten, stückweise zu öffnenden Loggien bewehrt, die vielen Fitness-Einrichtungen ausschließlich indoor und die Gastro-Terrassen maximal zum Ascheabwerfen waren. Der Beach-Club, ein fensterlos-bunkerartiges UFO, spielte Cheri Cheri Lady.

Weiter nördlich schwamm ich in der Mündung des Simojoki-Flusses. Am Ufer hatte der Fanshop eines Baseballklubs offen, es gab billigen Kaffee. Die junge Verkäuferin überraschte mich: Sie schwor Stein und Bein, nichts von den diesjährigen Hitzerekorden höher in Nordfinnland gehört zu haben.

Am Nordufer der Ostsee, 80 Kilometer unter dem Polarkreis, suchte ich lange nach einem Badestrand. Was ich fand, war eine mit angeschwemmten Brettern bedeckte Bucht im Industriehafen Röyttä. Diese Bretter waren schmal, abgerundet und abgeschliffen, als stammten sie von weggespülten Gartenzäunen. Die Temperatur war angenehm, doch stoppte mich im dunklen Wasser querstehendes Gehölz.

Ich absolvierte meine Bottnien-Fahrt im Pullover, ab Schweden trank ich Tee. In der Zeitung stand, dass man die ausländischen Beerenpflücker in Älvsbyn auch nach einer Corona-Infektion weiterarbeiten lässt. Am schwedischen Ufer, wieder ein wenig weiter südlich, elektrisierte mich eine Infotafel: „Im Seebad Pite, an der nordischen Riviera, werden oft die höchsten Wassertemperaturen des Landes gemessen – kaum zu glauben, wenn man monatelang Eisblöcke gegen den Rumpf eines Eisbrechers knallen hört.“ Ja, kaum zu glauben. Ich gehe generell ab 15 Grad ins Wasser, diese Riviera tat aber physisch weh. Kein Mensch schwimmt dort, man sucht die wärmeren Seen auf. Das Pite etwa, ein mit „Pure Lapland Winter Holidays“ werbendes Konferenzzentrum und ein warm ausdünstendes, kinderquietschendes Spaßbad. Indoor.

Ich fuhr den Bottnischen Meerbusen auf der Länge von 1.600 Kilometern ab. Schwedisch schön wurde es erst tief im Süden, ab den Hügeln um Sundsvall. Vorher war alles flach. Vorher war das ein monotones Rollen durch eine graue, gerade, grau eingezäunte, in einen kümmerlichen Nadelwald geschlagene Schneise. Das Meer war kaum je zu sehen. Wenn doch, waren da immer weiße Kolonien einheimischer Wohnmobile. Am Freitagabend, wenn normalerweise die Beachparty steigt, stand ich an der Schärenküste von Kängsön. Hundert rotholzene Bootshäuser, ein paar bewohnte Ferienhäuser, ein einziger Spaziergänger, Stille. Die offene Hütte des Hafenmeisters war hübsch, drinnen ein Ohrensessel mit Leselampe, eine zarte Brise bewegte tändelnd die weißen Mückennetzgardinen. Als ich dieses Stillleben fotografierte, kam der einsame Spaziergänger angerannt, er war der Hafenmeister. Das war der aufregendste Moment meiner bottnischen Küstentour.

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