"Wenn man uns irgendwann nicht mehr als Donezker Banditen beschimpft, dann haben wir nicht umsonst ausgeharrt", meint der Elektrotechnik-Student Wolodja, während er eines der letzten blauen Zelte im Kiewer Marijnskij-Park einrollt.
Einen knappen Monat lang hat der Junge aus der ostukrainischen Hafenstadt Mariupol vor dem Parlament campiert, zusammen mit einigen hundert Aktivisten der Partei der Regionen. So wie das auch die verbliebenen Anhänger der orangen Revolution tun, auf der anderen Seite des Parlaments, auf einer ebenso zertrampelten Grünfläche. Mit dem kleinen Unterschied, dass diesmal die "Blauen", die "Anti-Revolutionäre", die "Russlandfreunde" als Sieger herausgegangen sind. Der strikt atlantisch ausgerichtete Präsident Viktor Juschtschenko hat mit seinem Widersacher von 2004 bekanntlich einen historischen Kompromiss geschlossen.
Während Mitarbeiter der Stadtverwaltung frischen Samen in den platt getretenen Park streuen, rollt Wolodja bedächtig die blau-gelbe Ukrainefahne ein. "Die Orangen haben uns die ganze Zeit als Ukrainer zweiter Klasse behandelt. Wir im Osten ernähren aber mit unserer Industrie das ganze Land, und wir lassen uns unseren Patriotismus nicht mehr absprechen."
Nachdem die über vier Monate schwelende Staatskrise gelöst war, sind der Präsident auf die Krim und das Parlament in die Ferien verschwunden. Nur Premier Janukowitsch hat sich mit Feuereifer an die Arbeit gemacht. In der Euphorie über sein frühes Comeback entschlüpfte ihm sogar ein freundliches Wort über die orange Revolution, die in der historischen Bewertung seiner Anhänger oft als Staatsstreich angesehen wird: "Wie schwer es auch war, so hat diese Periode doch dem Wohl des Staates gedient. Die Ukraine hat sich in vielen Richtungen verändert. Wir haben begonnen, uns von dem Schmutz zu befreien, der sich über die Jahre ausgebreitet hatte."
Wie ausgestochene Kekse
Der "Schmutz" - damit muss Janukowitsch das zehnjährige Regime des 2004 abgetretenen Präsidenten Leonid Kutschma meinen, von dem er sich zuletzt verraten fühlte. Nichts hasst der Steher Janukowitsch so sehr wie "diese Mode der letzten Jahre - wer betrügt den anderen mehr, und wer ist listiger als der andere." Janukowitsch hat hingegen Loyalität bewiesen und die Kabinettsposten, die ihm in der neuen Mehrparteien-Koalition zustanden, mit alten Vertrauten besetzt. Der Donezker mag keine Verräter, und doch ist auch er nicht ohne ihre Hilfe ausgekommen: Erst durch den Seitenwechsel der ursprünglich orange gesinnten Sozialisten ist die Macht für ihn wieder in greifbare Nähe gerückt.
Um Denken, Fühlen und Handeln des neuen Regierungschefs zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf seine Biographie, die von sämtlichen Gegnern lange weidlich ausgenutzt wurde. Wer Janukowitschs Geburtshaus besichtigen will, stößt auf eine rußige Kokerei, umgeben von "Terrakony", schütter bewachsenen Erdhügeln, die wie ausgestochene Kekse aus der Ebene des Donbass-Reviers ragen.
Der kleine Viktor konnte zusehen, wie die ausgeworfenen Erdmassen des Bergbaukombinats Roter Oktober näher rückten, bis sie sein Dorf Schukowka ganz unter sich begruben. Mit zwei verlor er die Mutter, die Stiefmutter vernachlässigte ihn, der schweigsame Junge schloss sich einer Bande Halbstarker an. Ende der siebziger Jahre hatte Janukowitsch bereits zwei Haftstrafen in sowjetischen Gefängnissen abgesessen, eine für Raub, eine für Körperverletzung.
Wie ihn das geprägt hat, verriet Janukowitsch 2004, als er nach dem Amt des Präsidenten griff: Er beschimpfte Demonstranten als "Ziegenböcke, die uns beim Leben stören!" Ein Schimpfwort, das im Gefängnisjargon passive Homosexuelle bezeichnet. Es spricht für Janukowitschs Entwicklungsfähigkeit, dass er sich seither solche Entgleisungen nicht mehr erlaubt. Als vor kurzem ein Hinterbänkler seiner Partei auf einen Journalisten losging, wurde der Mann mit dem vielsagenden Namen Kalaschnikow sogar aus der Fraktion geworfen.
Das Donbass-Revier bleibt die Hochburg Janukowitschs. Hier stieg er Hand in Hand mit dem jung-dynamischen Industriebaron Rinat Achmetow auf, hier war er einst Gouverneur, hier holt er in Wahlen immer 75 Prozent und mehr. Die neunziger Jahre hindurch war der Donbass politisch passiv und gezeichnet von mörderischen Verteilungskämpfen um die industrielle Substanz. Erst Janukowitsch formte aus den bis dahin kommunistisch wählenden Massen des Ostens eine politisch handlungsfähige Formation, die Partei der Regionen, die 2002 für den unpopulären Wahlblock des Präsidenten Kutschma die Kastanien aus dem Feuer holte. Damals wurde Janukowitsch zum ersten Mal Premierminister, bei den Parlamentswahlen im März 2006 avancierten die "Regionalen" mit 32 Prozent erstmals zur stärksten Partei.
Janukowitschs Erfolg beruht auf seiner Disziplin, seiner Fähigkeit zum Pakt, auf seiner Authentizität. Einst zog er geballten Spott auf sich, als er sowohl seinen Beruf - Premierminister - als auch seinen akademischen Grad - Professor - mit Rechtschreibfehlern schrieb, doch viele Ukrainer können sich mit dem Politiker, der immer wieder ins Russische zurückfällt, identifizieren - sie tun sich mit der oktroyierten ukrainischen Amtssprache ähnlich schwer.
Ein Aufschrei ging durch Österreich
Dass aus dem Gebrauch der russischen Sprache Vereinigungswünsche mit der Russischen Föderation folgen, ist freilich ein verbreiteter Trugschluss. Eben weil ihre Kohle-, Stahl- und Chemiekonglomerate auf "graue" Weise - sprich: in einem mehr rechtsfreien Raum - gebildet wurden, streben Janukowitschs Oligarchen nun nach Anerkennung und Verankerung im Westen. Das beste Beispiel geben die Klujew-Brüder ab, die einen der größten ostukrainischen Mischkonzerne kontrollieren: Andrej Klujew hat im neuen Kabinett das bedeutende Amt des für den Energiekomplex zuständigen Vizepremiers erhalten. Sergej Klujew, der Geschäftsmann in der Familie, bewirbt sich mit hohem Einsatz um westliche Banken, die zum Verkauf stehen. Bis jetzt ohne Erfolg: Obwohl sein Konsortium das mit Abstand höchste Gebot für die Übernahme der österreichischen Bank Burgenland vorgelegt hatte, wurde Klujew von den dortigen Regionalpolitikern abgewiesen - angesichts des drohenden Einritts der "ukrainischen Mafia" ging ein Aufschrei durch die Alpenrepublik. Doch Klujew gibt nicht auf und hat schon Interesse an einem weit größeren Happen signalisiert: Nach verunglückten Milliarden-Spekulationen in der Karibik steht die der österreichischen Gewerkschaft ÖGB gehörende BAWAG zum Verkauf, immerhin das viertgrößte Institut des Landes.
Es waren gerade Achmetow und andere "regionale" Unternehmer, die Juschtschenkos Präsidentenpartei Unsere Ukraine den roten Teppich so lange ausgerollt haben, bis die tatsächlich der Koalition beitrat - wenn auch so verschämt, dass die verbliebenen orangen Minister die erste reguläre Kabinettssitzung unter Janukowitsch geschlossen schwänzten. Das Kalkül der eigennützigen Brückenbauer: Der im Westen immer noch gut angeschriebene Präsident soll ihre Westexpansion befördern. Von den ungleich potenteren russischen Oligarchen erwarten die kleinen ostslawischen Brüder allenfalls eines - geschluckt zu werden.
Janukowitsch hat angekündigt, den Unternehmern nach "überflüssigen Belastungen" wieder "ein wenig Sauerstoff zum Atmen" zu geben - besonders die kurzlebige Regierung von Julia Timoschenko hatte zur Finanzierung ihrer Sozialpolitik unnachsichtig Steuern und Zölle eingetrieben, deren Nichtbezahlen zum Gewohnheitsrecht geworden war. Die noch nicht so lange abgeschafften Sonderwirtschaftszonen sollen nun wieder eingeführt, die noch nicht so lange aufgewertete Nationalwährung Griwnja soll zum Nutzen der Exporteure wieder abgewertet werden.
Auch Wolodja verspricht sich von Janukowitsch ein besseres Leben, immerhin habe dieser 2004 als Premierminister ein Rekordwachstum von zwölf Prozent erreicht. Nur seine Kompromissbereitschaft sei doch etwas weit gegangen, deutet er verhalten an, als er den Marijnskij-Park verrichteter Dinge verlässt. Russisch wird wieder nicht zur zweiten Staatssprache erklärt, der vom Präsidenten ersehnte NATO-Beitritt ist keineswegs vom Tisch. "Die Orangen können froh sein, dass unser Viktor Fedorowitsch so ein besonnener Mann ist. Nicht sie sind auf uns zugegangen, wir haben ihnen die Hand zur Versöhnung gereicht."
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