Als sich jüngst endlich auch die Roma in der Slowakei dazu entschlossen hatten, einen König zu wählen – ihren „Romano Thagaris ke Slovačiko“ – da erstaunte mich eine slowakische Journalistin. Sie berichte nur „unfreiwillig“ über die groß angelegte Krönung, sie finde das „abartig“. Auch ihre slowakischen Kollegen bewegten sich nur im Pulk, filmten und knipsten unentwegt – mit den über 500 illustren Festgästen der Roma-Gemeinschaft sprachen sie aber nur das Allernötigste.
Ich hingegen war voll festlicher Vorfreude und mit der Frage ins ostslowakische Košice geströmt, ob nicht auch die slowakische Mehrheitsbevölkerung so etwas wie einen gütigen Monarchen herbeisehnt. Mit der 1993 gewonnenen Selbstbestimmung weiß die slowakische Nation jedenfalls immer weniger anzufangen: Kaum je über 50, oft nur 20 bis 30 Prozent nehmen an Wahlen teil, beim Europavotum 2004 erzielte die Slowakei den europäischen Negativrekord aller Zeiten – 16,96 Prozent der Wahlberechtigten wollten abstimmen.
Der zukünftige König war ein beleibter Unternehmer aus Košice, der mit Goldhandel und Immobilien zu Wohlstand kam. Er zog ganz in Weiß in die 1968 zur Philharmonie säkularisierte Synagoge ein. An großen Tafeln waren „Vajdas“ versammelt, die Führer einzelner Ortsgemeinden, einige hatten weiße Hüte auf. Vier minderjährige Roma-Tänzerinnen froren in ihren rückenfreien Kleidern. Oft ertönten die Rufe „Romale!“ und „Mikrofon!“, ein Einpeitscher schrie von der Bühne: „Seit 700 Jahren suchen wir in Europa unser Zuhause.“
Getränk im Gehen
Das Aufsetzen der Krone selbst geriet hastig, der auf Romanes gebrüllte Amtseid umso bombastischer. „Ich schwöre auf meine Ehre“, übersetzte ein Sprecher ins Slowakische; die Anrufung Gottes und der Gottesmutter unterschlug er. Die Königsmutter, elegant mit lila Hut, wurde auf die Bühne geholt und angehalten, nicht mehr von ihrem Sohn zu weichen. Denn mit der Königin – so hörte ich aus dem Fußvolk – gab es ein Problem. Vor dem sitzenden König stand sein vierjähriger Sohn Tito, artig, manchmal gähnend. Ein „erster Minister“ und Berater bekamen Urkunden, als einziger slowakischer Politiker trat der Roma-Bevollmächtigte der Regierung auf.
Der Gekrönte, der sogar für die Hotelkosten der geladenen Gäste aufkam, wirkte häufig auffallend gereizt. Immer wieder blitzte das weiße Schweißtuch auf. Die diamantenbesetzte Goldkrone sah filigran aus, wog aber vier Kilo. Es wurde gerufen: „Bitte erheben Sie sich, König Robert I. zieht aus.“ Er trank im Gehen von einem dargereichten Glas Wasser. Als am Ausgang ein Stau entstand, rief eine Hofschranze: „Verfickt noch einmal, lasst den König durch!“ Vor der Philharmonie warteten Roma-Omas in dicken Roben und pafften. Als die Kutschenfahrt begann, scheuten die weißen Rösser, die Königsfamilie stieg ab. Robert I. fauchte die Rossknechte an: „Verzieht euch schon! Ich gehe zu Fuß weiter.“
Auch die Messe in der Elisabeth-Kathedrale war nicht zur reinen Freude des Gastgebers. Der für die Roma zuständige Erzbischof hatte gekniffen, und der diensthabende Pfarrer redete dem mit aufgesetzter Krone Knienden ins Gewissen: „Robert, viele sind skeptisch und glauben nicht, dass Sie Gottes Werkzeug sein können.“ Ganz am Rande, in einem Seitenschiff, sah ich Roberts Lebensgefährtin stehen. Sie war jung und schön, trug eine barocke Robe, eine mächtige Frisur aus goldblonden Locken. Ich sprach sie an: „Sie sind doch die Königin. Warum stehen Sie so abseits?“ Sie antwortete: „Ich will, dass sich alle Augen auf ihn richten.“ Kurz darauf verließ sie die Kirche ganz.
Das war nur die halbe Wahrheit, erfuhr ich bald. Der Festakt in der Philharmonie ließ keine Wünsche übrig, südmährischer Wein, schwedischer Wodka und französischer Cognac wurden aufgefahren. Das Spitzen-Ensemble Romathan tanzte, die Musik fuhr mir in die Zehenspitzen. Ich sprach mit Gästen von überall her, aus Košice, Šurany, Lučenec, Nové Zámky. Die meisten gehörten demselben Stammesverband wie der König an, den walachischen Roma, die erst im 19. Jahrhundert nach Norden gezogen waren, nach der Aufhebung der Leibeigenschaft in Altrumänien. Alle rümpften sie die Nase über die Königin – weil sie einem anderen Verband angehörte, den alteingesessenen Romungri! Sie schimpften ungehemmt auf die Romungri, „halbe Zigeuner“ seien das, „Anpassler“. Ein Romungro wiederum, der sich schrittweise als schwuler halbjüdischer Halbrom outete – „für Hitler wäre ich eine Delikatesse gewesen“ –, ließ nur die Romungri als „normal“ gelten. Von der abwesenden Kaste der unberührbaren „Degeschi“ wollten weder Walachen noch Romungri hören.
Viele der Walachen leugneten eine indische und rumänische Herkunft. „Wir sind ein altes Königsgeschlecht“, erklärte mir einer, „wir stammen aus Ägypten. Bei uns heiraten Cousins und Cousinen, das ist nur in Königsfamilien üblich. Und hast du dich mal gefragt, warum bei uns der Vajda Hut und Stecken trägt? Das trugen nur die Pharaonen. Moses hat nicht nur die Juden, sondern auch die Zigeuner aus Ägypten geführt. Die Juden bekamen das Gelobte Land, wir bekamen nichts und zerstreuten uns in alle Winde.“
Die Nacht wurde lang, die Tanzfläche war immer voll, an den Festtafeln sitzend sangen die Vajdas kraftvolle Balladen ins Mikrofon. Immer wieder wurden Schnitzel aufgetragen, und Gesandte des Königs schafften in schwarzen Limousinen Nachschub an Hennessy herbei. Zwei angetrunkene slowakische Kerle kamen an die Pforte und fragten die Security: „Können wir diesen König sehen?“ Sie wurden nicht eingelassen. Ich lebe bald schon zehn Jahre in diesem unglücklichen Land, das ich ab sofort zärtlich „Slovačiko“ nenne – eine bessere Party habe ich nicht erlebt. Muss sich nur noch einer erbarmen und auch den Slowaken den König machen.
Martin Leidenfrost schrieb für die Serie zuletzt über Verbrechergangs in Transnistrien
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