Da mich der süditalienische Aufstand gegen die Gaspipeline TAP verwundert, kehre ich noch einmal in meine frühere Rolle als „Gasreporter“ zurück. Vor zehn Jahren beleuchtete ich im Dokumentarfilm Gas Monopoly den geostrategischen Kampf um die Gasversorgung Europas, zwischen Tundra und Brüssel. Ein alter Mann sagte damals im österreichischen Gasfördergebiet Marchfeld den schönen Satz: „Gas hat drei Buchstaben, die sind im Wort ,Angst‘ enthalten.“ Er meinte damit, dass die Marchfelder zwar nie gegen die Gasförderung auftraten, dass sie aber auch lange keinen Gasanschluss im Haus haben wollten.
Flüche in drei Sprachen
Widerstand gegen Gaspipelines kam mir kaum je unter. Verglichen mit Kohle und Öl wird Erdgas auch von manchen Grünbewegten als geringeres Übel gesehen; Gastrassen werden vergraben und machen selten Ärger. Als Gasreporter ging ich dem Projekt „Nabucco“ nach, das die EU unabhängiger von russischem Transfer machen sollte. Nabucco wurde 2013 abgesagt, die federführende österreichische OMV verbündete sich mit dem vorherigen Rivalen Gazprom. Inzwischen wird allerdings eine Alternative gebaut, die „Trans Adriatic Pipeline“ TAP. Genau wie Nabucco soll TAP Gas aus dem aserbaidschanischen Offshore-Feld „Shah Deniz“ über die Türkei nach Europa bringen, genau wie Nabucco wird TAP von der EU-Kommission unterstützt. TAP durchquert 550 Kilometer Griechenland, 215 Kilometer Albanien und dann auf 105 Kilometern die Adria. Der italienische Abschnitt ist der kürzeste, acht plus 60 Kilometer, ab Brindisi besteht bereits ein Leitungsnetz. Und doch schreit die große apulische Bürgerinitiative „No Tap“ Zeter und Mordio. Die am häufigsten vorgebrachte Kritik: Beschädigung des „unberührten Strands von San Foca“, Versetzung von bislang 211 alten Olivenbäumen.
Das Thema hat gesamtitalienische Brisanz, denn die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) sprach sich vor der Parlamentswahl 2018 gegen TAP und einen Weiterbetrieb des Tarenter Stahlwerks Ilva aus. Die Partei fuhr in Süditalien einen Erdrutschsieg ein, brach dieses Versprechen nach dem Eintritt in die Regierung und verliert seither auch deswegen massiv an Zuspruch. Die italienische Kommune, in der das Gas schon ab 2020 ankommen soll, heißt Melendugno. 2018 wählten hier 62 Prozent die Fünf Sterne, bei der Europawahl jüngst nur noch 22. Die flache Kleinstadt ist kein Juwel, ebenso wenig wie San Foca, der Stadtteil direkt an der Adria. Meine Familie wird beim dortigen Sonntagsmahl angestarrt, von Gästen mit schwarzen Brillen und gewaltigen Hunden. An einem Werktag frage ich im Eissalon nach der Pipeline, der Gelatiere stößt Verwünschungen in drei Sprachen aus. Schön ist der naturbelassene Strand mit seinen schwarzen Felsinselchen wirklich. Zu sehen ist von der Pipeline in San Foca freilich nichts, sie wird in 17 Meter Tiefe verlegt.
Ich will den neuen Hain sehen, in den die 211 Olivenbäume verpflanzt wurden, laut TAP-Presseaussendung „nach den modernsten agronomischen Standards“. Das ist nicht möglich, der Hain in Masseria dal Capitano ist weiträumig eingezäunt und wird Tag und Nacht von der Polizei bewacht. Man fürchtet, die hochaktiven TAP-Gegner könnten mit einem „intervento“ „contrastrare“, mit einem „Eingriff“ „entgegenwirken“.
An einem verregneten Abend sitze ich in einem Multifunktionsbau, den „No Tap“ von der Kommune Melendugno bekommen hat, und lausche einer Strategiesitzung. Die Plakate überall sind grell, die „Mafiaröhre“ wird mit rußspuckenden Industrieschloten illustriert. Ein Plakat verrät die Adressen aller lokalen Firmen, die Aufträge von TAP ausführen. Die TAP-Gegner kritisieren, dass für die Region nur 200 befristete Arbeitsplätze abfallen. Die 30 Millionen Euro, die der Konzern ENI den betroffenen Kommunen als Kompensation anbietet, wollen sie nicht annehmen.
Ein klein gewachsener Ingenieur moderiert stehend zwei Dutzend Aktivisten. Das sind einige ruppige Kerle in Outdoor-Kleidung, dominiert wird die Debatte aber von einer zackigen Seniorin mit Hippietuch und der eleganten Vorsitzenden, die in literarischem Hochitalienisch skeptische Einwände erhebt: „Der Bürgermeister repräsentiert auch eine Institution. Und unser Kampf richtet sich doch gegen Institutionen ...“ Sie diskutieren lange, ob es „mehr Dynamik“ hat, als einheitliche Masse zu demonstrieren oder mit parallelen Flashmobs kleiner mobiler Gruppen. Der Moderator bekommt live einen Anruf aus Brindisi, in zwei Tagen ist dort eine Energiekonferenz, hohe Tiere werden erwartet. Er fragt: „Gehen wir hin?“ Schnell ist Einigkeit erzielt: „Andiamo!“ Nach Ende des Plenums werde ich in einen Saal voller „No Tap“-Gadgets geführt. Ich kaufe einen „No Tap“-Bieröffner und eine Broschüre, in der Aktivisten erzählen, wie TAP ihr Leben verändert hat. Das Heft ist mit Zeichnungen von hinter Stacheldraht geknebelten Olivenbäumen illustriert, im Vorwort wird vor „kahlen Wiesen“ und „giftigen Dämpfen“ gewarnt.
Beim geselligen Abschluss, als Rosé- Hauswein und körniger Käse gereicht werden, wende ich mich einzeln an führende Aktivisten und stelle meine immer noch etwas verwunderte Frage: „Was haben Sie gegen TAP?“ Ich bekomme viele weitere Antworten: „Ein Gasverteiler 500 Meter von Wohnhäusern“, „Zwischen hier und Brindisi werden sie weitere 10.600 Olivenbäume fällen“, „Uns hat keiner gefragt“, „Laut Aarhus-Konvention hätte man uns fragen müssen“, „Verschmutzung“. Für die Fünf Sterne haben sie nur noch ein Schnauben übrig: „Was für ein Verrat! Wir haben ihnen alle geglaubt!“
Ich frage die TAP-Gegner auch, ob sie es nicht für eine wichtige Sache halten, Europa unabhängiger von russischem Gas zu machen. Dieses Argument macht in Melendugno niemanden gewogen. Marcella zum Beispiel, Aktivistin seit 2017, seit der ersten Stunde, früher Verkäuferin in einem Computerladen, jetzt in Mutterschaftsurlaub, fährt fast jeden Tag los und filmt die Baustellen der Pipeline. Sie sagt: „Das ist Transitgas für Europa. Wir brauchen es nicht, in Italien sinkt der Gasverbrauch, das ist kein Gas für uns.“
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