"Die beiden Ufer des Dnjepr werden zusammengeführt", verkündete der ukrainische Präsident dieser Tage. Die ersten anderthalb Jahre seiner verunglückten Präsidentschaft hat Viktor Juschtschenko das genaue Gegenteil getan: Er hat das Land wie ein Hetman der Westukraine geführt, blind und achtlos gegenüber den Bedürfnissen des ukrainischen Ostens, dessen Industrie die Brötchen fürs ganze Land verdient.
Juschtschenko hat sich so sehr in seiner ebenso einseitigen wie fruchtlosen Westpolitik verrannt, dass ihm zuletzt nichts anderes übrig blieb, als Zuflucht in einem historischen Kompromiss zu suchen: Er hat seinen erbitterten Gegenspieler aus den Tagen der Revolution in Orange, Viktor Janukowitsch, zum Premierminister ernannt und sein bei den Märzwahlen auf 14 Prozent abgestürztes Parteienbündnis Unsere Ukraine in eine "große" Koalition mit Janukowitschs Partei der Regionen geschickt.
Der hünenhafte Donezker Janukowitsch ist dem ewigen Zauderer Juschtschenko mit nimmermüder Geduld entgegen gegangen. Janukowitschs Jugendvorstrafen, seine schwache Allgemeinbildung und seine unverbrüchliche Treue zu den Industriebaronen des Donbass-Reviers verfangen nicht mehr als Argumente gegen einen Politiker, dessen schlichte Aufrichtigkeit für wachsendes Vertrauen gesorgt hat. "In dem Moment, als der Präsident und ich uns die Hand gereicht haben, sind wir Partner geworden", verkündete Janukowitsch nach seiner Wiederbestellung ins Amt des Premiers. Seit jeher werden den Donezker Malochern rauhe Manieren und mangelnde Flexibilität nachgesagt, aber im Gegensatz zur orangen Kiewer Schlangengrube ist der Handschlag eines Donezkers noch etwas wert.
Viktor Juschtschenko, der es laut Umfragen nicht einmal mehr in die Stichwahl einer Präsidentenwahl schaffen würde, hat mit diesem Handschlag den wohl einzig möglichen Schritt zu seiner politischen Rettung gesetzt. Er ist nicht nur durch die neue Verfassung geschwächt, sondern hat dem ohne Not noch weitere Blessuren hinzu gefügt: die Skandale seiner kleinen feinen Business-Politik-Entourage, die aggressive sprachliche Ukrainisierung des mehrheitlich russischsprachigen Landes und sein hartleibiges Bestehen auf einen baldigen NATO-Beitritt.
Zieht man Juschtschenkos verzweifelte Lage in Betracht - gerade auch in Hinblick auf sein unheilbar zerrüttetes Verhältnis mit Moskau -, hat er für sich erstaunlich viel heraus verhandelt. Im neuen Kabinett sind zwölf Minister dem Einflussbereich des Präsidenten zuzurechnen und Janukowitschs "Regionalen" - mit 32 Prozent immerhin die dominierende Koalitionspartei - auch nur zwölf. Während Janukowitschs Leute den gesamten Wirtschafts-, Finanz- und Energiebereich kontrollieren, verblieb Juschtschenkos Getreuen die gesamte Außen- und Sicherheitspolitik. Sogar der orange Innenminister Jurij Luzenko bleibt im Amt - der junge Erzrevolutionär hat seinen nunmehrigen Donezker Kabinettskollegen in den vergangenen anderthalb Jahren so manche rabiate Hausdurchsuchung beschert und ist auf diese Weise im Orange-Lager zu einiger Popularität gelangt.
Die Bündnispolitik wird also auch künftig atlantisch ausgerichtet sein, nur in einem einzigen Punkt hat Juschtschenko nachgegeben: Im "Nationalen Einheitspakt" ist zwar das Ziel einer "Annäherung an die NATO" festgehalten, der tatsächliche NATO-Beitritt muss allerdings einem Referendum unterzogen werden, das Juschtschenko aus heutiger Sicht verlieren würde. Es ist nicht auszuschließen, dass er eines Tages zu verstehen beginnt, dass die NATO den Ukrainern allein von einem Agitator Janukowitsch verkauft werden kann.
Der neuen Allianz liegt eine glasklare Vereinigungslogik zugrunde: Die auf Westkurs segelnden Donezker Oligarchen erhoffen sich von Juschtschenko, der im Westen immer noch hohes Ansehen genießt, dass er ihnen die ersehnten Türen öffnet; Juschtschenkos Kreise wiederum glauben, dass allein der "russlandfreundliche" Janukowitsch eine weitere Erhöhung der Gaspreise durch Moskau abwenden kann. Da sich die beiden linken Kleinparteien der breiten Business-Koalition billig angedient haben, fallen sie als künftige Alternativen aus.
Die allein nennenswerte Opposition bildet von nun an Julia Timoschenkos BJUT-Block, der mit seinem vage linkspopulistischen Konzept des "Solidarismus" eine erfolgversprechende Marke pflegt. Die Zeit der "Beauties" wird noch kommen. Bis dahin wollen der Präsident und der Premier, die bisher nur der Vorname geeint hat, die Früchte ihres Handschlags ernten.
Martin Leidenfrost ist Kolumnist und Drehbuchautor.
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