Kaputt und kaputter

Irland / Nordirland Leute von Sinn Féin führen unseren Autor durchs Grenzgebiet. Liegt hier die Einheit in der Luft?
Ausgabe 12/2020
Der Fluss Finn, an der Grenze zwischen Irland und Nordirland
Der Fluss Finn, an der Grenze zwischen Irland und Nordirland

Foto: Dan Kitwood/Getty Images

Seit dem Brexit und dem Wahlsieg der nationalistischen Linkspartei Sinn Féin steigen die Aussichten auf eine Wiedervereinigung der geteilten Insel. Ich fahre daher in den abgeschnittenen Norden der Republik Irland. Donegal, vom „Großen Hunger“ zwischen 1845 und 1849 nachhaltig entvölkert, ist heute eine Hochburg von Sinn Féin. Zwar wollen die seit 90 Jahren regierenden Staatsparteien die Underdogs unbedingt von der Macht fernhalten, doch wie? Mit ihrem Wahldebakel am 8. Februar mussten Fine Gael und Fianna Fáil für jahrzehntelange Treue zur neoliberalen Agenda büßen. Wohnen ist so gut wie unbezahlbar, das Gesundheitssystem ein Witz. Noch 1997 hatte die in Nordirland mitregierende Sinn Féin im Süden bloß ein Mandat, nunmehr 37 Sitze.

Der Bus von Dublin fährt durch nordirisches Gebiet. Keinerlei Tafeln weisen auf die Staatsgrenze hin. Im irischen Grenzkaff Lifford steige ich aus. 81,5 Prozent bzw. 251 Personen haben hier Sinn Féin gewählt. Lifford ist die Geisterhauptstadt der „vergessenen Grafschaft“ Donegal. Ein paar Fastfoodläden, zwei Pubs, ein Friedhof für Vorgartenstatuen – verwitterte Gartenzwerge und Tunika-Denker, verwitterte Engel.

Ein Sinn-Féin-Parteilokal hat Lifford nicht. Gary Doherty (37), früher Projektmanager, jetzt hauptberuflicher Abgeordneter des Landtags von Donegal, fährt mich deswegen in die ungleich größere nordirische Nachbarstadt Strabane. Strabane hat fünf protestantische Gotteshäuser, ist sonst aber katholisch-republikanisch geprägt. Neben einem Verein zur Unterstützung politischer Gefangener hat Sinn Féin sein Parteilokal. Bis auf Doherty ist allen Männern hier die Unterschicht anzusehen: schlechte, ungepflegte Kleidung, eine hölzern-herzliche Art. Das Lokal wirkt wie ein Museum des nordirischen Bürgerkriegs aus republikanischer Sicht, vollgehängt mit Schwarz-Weiß-Porträts hiesiger Gefallener. Ein Parteiveteran arbeitet drei Tage die Woche als Gälisch-Assistent in einer Schule, zwei Tage für die Partei. Eine seiner Aufgaben ist es, Anträge auf die irische Staatsbürgerschaft zu betreuen. Sie müssen von einem gewählten Repräsentanten, einem Lehrer oder Priester beglaubigt werden. Viele in Strabane hatten schon vor dem Brexit den irischen Pass. Der Veteran zeigt mir ein dickes, handschriftlich geführtes Buch, 2020 gab es bereits Dutzende Anträge.

Zu uns stößt Eunan Harkin (24), früher Sporttrainer, jetzt leitet er das Wahlkreisbüro einer Abgeordneten in Derry und ist seit Januar Parteichef von Strabane. Ich lerne, dass man bei Sinn Féin nie „Irland“ und „Nordirland“ sagt, sondern „26 Grafschaften“ und „sechs Grafschaften“.

Sowohl Doherty wie Harkin glauben, dass es in zehn Jahren zur Wiedervereinigung kommen kann. Nordirland, sagt Harkin, „ist ein gescheiterter Staat“, Irland, so Doherty, sei ein „kaputter“. Sie wollen für das gemeinsame Land ein „neues System“, dazu militärisch neutral und „eurokritisch“ innerhalb der EU sein. Laut Harkin darf „niemand zurückgelassen werden“, Sinn Féin fordert massiven staatlichen Wohnungsbau, laut Doherty wäre „ein vereinigtes Irland ohne bezahlbares Wohnen sinnlos“.

Sie fahren mich ins Viertel „Head of the town“. Harkin lebt hier und nennt es „das am meisten benachteiligte Quartier“ in Nordirland. Als ich nach einem Plakat der radikalen Splittergruppe IRPWA frage, distanziert er sich betreten flüsternd. Sie zeigen mir ein Mural, das ein Ende der Gaza-Blockade verlangt. Die Wandmalerei zeigt einen israelischen Helikopter, von dem aus ein schutzloses Palästinenserkind beschossen wird. Hier machen die Sinn-Féin-Leute ein Gruppenfoto mit mir und sagen tschüss.

Später wandere ich im Regen herum. Lifford und Strabane bilden schon jetzt eine Einheit, in den Pubs hüben wie drüben liegen die gleicen Regionalzeitungen, nur Währungen und Autokennzeichen unterscheiden sich. In Lifford (Irland), gibt es nichts zu sehen, in Strabane (Nordirland) jede Menge antibritische Graffitis, einige Male mit „IRA“ versehen. Zahlreiche Denkmäler erinnern an erschreckend junge republikanische Tote. Die Insel, die Sinn Féin vereinigen will, hat einen Bürgerkrieg hinter sich.

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