Madeira: Cristiano Ronaldo ist unser Gott

Portugal Ein Hotel, ein Museum, eine Sta­tue: Auf der Cristiano-Ronaldo-Insel Madeira verweist einiges auf den großen Sohn und übergroßen Wohltäter der Insel – deren Fanszene für deutschen WM-Fußball eine Enklave für verschämte Einzeltäter ist
Ausgabe 49/2022
Bitte recht freundlich: Ein wächserner Christiano Ronaldo im CR7 Museum auf Madeira
Bitte recht freundlich: Ein wächserner Christiano Ronaldo im CR7 Museum auf Madeira

Foto: Imago/Zuma Press

Cristiano Ronaldo, aufgewachsen auf der Frühlingsinsel Madeira, ist der erfolgreichste Fußballer aller Zeiten. Er hält den Weltrekord in Länderspieltoren und schoss als Erster in fünf WM-Endrunden Tore. Er – und nur er – durchbrach auf Instagram die Schallmauer von einer halben Milliarde Followern. Offenbar ist nichts ästhetisch so konsensfähig wie die glatten Fotos seines abgeschrubbten Mucki-Körpers am Pool. Eigentlich ist er nicht interessant. Als Sohn eines mit 51 Jahren verstorbenen Alkoholikers trinkt er nicht. Er hat für indonesische Mangrovenwälder und die Erdbebenopfer in Nepal gespendet. Obwohl er drei seiner fünf Kinder von Leihmüttern austragen ließ, ist er kaum umstritten. Er exponiert sich nicht politisch, ist seine eigene globale Dachmarke.

Als ich auf dem „Aeroporto Internacional da Madeira Cristiano Ronaldo“ gelandet war, kannte gleich der erste Taxifahrer die Mutter Ronaldos, der in Funchal sein eigenes Museum und eine leicht überlebensgroße Statue hat. Ich ließ mich an seinem Hotel absetzen, benannt nach seinem Label „CR7“. Es liegt am Kai des Personenhafens. Zwei Kreuzfahrtschiffe schoben sich langsam hinaus, manches Promenadenlokal war nahtlos mit englischen Silberrücken besetzt, eine Reklame mit gründunstiger Felsenküste machte ihnen ein Angebot: „Madeira. Digital Health and Wellbeing“. 23 Grad die Luft, 22 der Atlantik, ich schwamm eine Runde. Verträumte Damen in luftigen Sommerkleidchen, wie einem gehobenen deutschen Stadttheater entsprungen, staksten auf den großen dunkelgrauen Steinen am Strand herum. Madeira ist das Gegenteil von Ballermann.

Fritten und Weißbier

Vielerorts lief die Weltmeisterschaft, aber kein Schwein schaute hin. Ich meinte, es wäre interessant, den WM-Schlager des Tages in Ronaldos Hotel zu schauen. Dieses bestand im Erdgeschoss aus mehreren gar nicht exklusiven Lokalen. Das „Sete Mares“ war drinnen und draußen mit Flatscreens bestückt, ein von einem Riesenhaufen Fritten dominiertes Gericht wurde serviert – gab es einen besseren Ort?

Gezeigt wurde das zweite Gruppenspiel Deutschlands, gegen Spanien. Seit den deutschen Sommermärchen, da gelegentlich sogar Österreicher wie ich für Deutschland fieberten, waren die Deutschen wieder weniger schön geworden. Die Stadionregie zeigte mit Vorliebe einen, der gestylt war wie der westafrikanische Filialleiter von al-Qaida, und einen anderen, der einer Idealvorstellung vom hässlichen Deutschen entsprach: ausdruckslose Augen, zornverzerrte Sidecut-Fratze, mit einer Hand am Kopf und der anderen beim Schiedsrichter reklamierend, dazu noch ein ungut gezacktes Tattoo unterm Ohr. Deutschland konnte froh sein, dass Putins Propaganda diesen Spieler noch nicht als Indiz für Denazifierungsbedarf entdeckt hatte. Wer fieberte für eine solche Mannschaft?

Die Mehrheit im Lokal nahm keine Notiz vom Spiel. Eine große madeirische Mädchengruppe mit zwei dabeistehenden Malochertypen blickte erstmals in Minute 39 auf: Da schoss Deutschland ein ungültiges Tor. Auf der Terrasse saß ein ernst stierender Germane mit bemerkenswert attraktiver Begleiterin. Er warf sich ohne runterzublicken Erdnüsse ein und zeigte beim Schein-Tor lautlose Freude. Seine zierliche Begleiterin schielte in der Folge aus dem Augenwinkel auf die Nebentische. Fürchtete sie, man hätte sie als Deutsche erkannt? In der Pause verschwanden sie. Dafür kam ein Portugiesisch Sprechender, der sich per „Franziskaner Weißbier“-Sweater als pro-deutsch outete, dann aber doch lieber seine Geliebte mit Pommes fütterte. In der 87. Minute beim maximal spannenden Stand von 1:1 gingen sie.

Der dritte DFB-Fan war ein gestrenger Lesebrillen-Opa in Windjacke und kurzen Hosen, der im Rahmen einer offenbar geschenkten Reise mit Gattin, Tochter und drei Enkelinnen WM schauen durfte. In Minute 83 fiel Deutschlands Ausgleich, bereits in Minute 84 zwang der gleichgültige weibliche Tross Opa zum Abgang. Die Ergebenheit, mit der die drei Anhänger des deutschen Teams ihren Frauen folgten, sagte alles über die aus Katar herüberschwappende Deutschlandbegeisterung aus. Tage später, als Portugal aufspielte, war die Stimmung auf Ronaldos Insel entschieden besser.

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