Neben Viktor Orbáns Ungarn, das nicht einmal den Transit von NATO-Waffen in die Ukraine genehmigt, stellt wohl der NATO-Staat Slowakei ein weiteres schwaches Glied in der Front der Ukraine-Unterstützung dar. Zwar übergaben mittlerweile abgelöste slowakische Regierungen bedeutende Waffensysteme an Kiew, zumal mit Blick auf die am 30. September anstehenden Neuwahlen entsprach dies aber keineswegs dem Volkswillen – etwa 70 Prozent der slowakischen Bevölkerung lehnen militärische Hilfe für die Ukraine ab.
Das Dilemma für Bratislava verdichtet sich in einer multiethnischen ostslowakischen Kleinstadt, die man auch über das Land hinaus vor allem nur wegen eines zehn Jahre zurückliegenden Exzesses von Polizeigewalt gegen Roma in einem Ghetto k
#252;ber das Land hinaus vor allem nur wegen eines zehn Jahre zurückliegenden Exzesses von Polizeigewalt gegen Roma in einem Ghetto kennt. In Moldava an der Bodva – nur 122 Straßenkilometer von der ukrainischen Grenze entfernt – repariert der Rüstungsbetrieb „Konštrukta Defence“ Militärtechnik für die Ukraine. Die staatliche Firma, die 30 Hallen eines davor lange ungenutzten Gewerbegebiets nutzt, will noch weitere Hallen hinzukaufen. Am 12. April allerdings stimmte der Stadtrat dagegen. Das seit 33 Jahren von Investoren gemiedene Städtchen verzichtete damit auf circa zwei Millionen Euro und etwa hundert neue Arbeitsplätze.Das Video der Sitzung zeigt, wie sieben der 13 Abgeordneten, allesamt Orbán-freundliche Angehörige der ungarischen Minderheit, die vom slowakischen Bürgermeister unterstützte Werkserweiterung zu Fall brachten. Ein kräftiger Kerl namens Zoltán Dobos setzte den Ton: Er habe vor Kurzem „eine gewaltige Maschine durch Moldava fahren sehen, die 28 Tonnen schwere Haubitze Zuzana, die wurde getestet oder fuhr direkt in die Ukraine, und ich hatte Tränen in den Augen, mein Gott, damit bringen sie Menschen um. So was kann ich moralisch nicht unterstützen“. Ein pensionierter Kollege von Dobos war dagegen, um „mit reinem Gewissen schlafen zu können“. Er hoffte auf baldige Verhandlungen der Kriegsparteien „über eine Grenzverschiebung“.Tränen in den AugenDie Befürworter des Erweiterungsprojekts verwahrten sich gegen „moralisierende Demagogie“, zogen ihrerseits aber nicht die Karte eines ukrainischen Selbstverteidigungsrechts, sondern drucksten herum, der Rüstungsbetrieb sei „leider“ nun mal da, stelle mit seinen bislang bloß 50 Beschäftigten eben den größten Arbeitgeber und flicke im Übrigen auch beschädigte Ambulanzen zusammen. Die umgehende Furcht, Moldava könnte Ziel eines Bombenangriffs werden, wurde nur in der Form eines Verhasplers ausgesprochen: „Wir können nicht in den Zielsucher einer Firma geraten“ – mit der Firma war Russland gemeint –, „denn dort sind wir ohnehin schon.“Ich besuchte den seit der Polizeigewalt von 2013 berühmten Roma-Slum, damit gemeint sind zwei bis drei Hektar, auf denen etwa 1.100 vorwiegend junge Menschen hinter dem Hochwasserdamm der Bodva leben. Sie sprachen Romanes und kein Slowakisch, Unterrichtssprache in der Ghetto-Schule war Ungarisch, „wofür uns Orbán jährlich 75 Euro pro Kind auszahlt“. Die Roma hatten zwei Abgeordnete im Stadtrat, doch seien das längst schon außerhalb des Slums residierende „Wucherer“, „die kaufen sich vor jeder Wahl für fünf Euro die Stimmen ihrer Schuldner“. Zur Waffenreparatur hatten die Roma keine Meinung – nicht einmal ihr mit Menschenrechtspreisen überhäufter Sozialaktivist hatte je vom Rüstungsbetrieb in ihrer Stadt gehört. Also ging ich bei meinem Moldava-Besuch ins Rathaus.Der Bürgermeister war auf Urlaub, hatte mir aber ein fein ziseliertes Papier hinterlassen, in dem er sich pflichtschuldig zu „Militärhilfe für die Verteidigung der territorialen Integrität“ der Ukraine bekannte. Den sieben Nein-Sagern warf er „Versagen auf moralischer, pragmatischer und politischer Ebene“ vor: „Ich bin enttäuscht, da ich mich als Bewohner Europas fühle und innere Scham darüber empfinde, dass Repräsentanten der Stadt in dieser Sache so verantwortungslos und oberflächlich agiert haben.“ Bemerkenswert war, dass selbst im engsten Umfeld des Bürgermeisters schwere Bedenken geäußert wurden, etwa „ob die Firma Konštrukta in Moldava nicht auch Waffen herstellen wird“. Man sei da nicht ausreichend informiert. Einer, der am 12. April mit Ja gestimmt hatte, gebrauchte für sich die Formulierung „den Krieg unterstützen“ und korrigierte das erst bei Nachfrage auf: „die Ukraine unterstützen“.Der Anführer des Nein-Lagers war leicht zu finden, er war Berufsschullehrer und hantierte allein in einer Blechbaracke des Betriebes „Agrotechnik“ herum. Seine Lehrlinge waren um zwölf Uhr mittags schon weg, „länger halten die nicht durch, sie sind aus einer marginalisierten Community“. Er unterrichtete junge Roma und hatte als junger Mann nicht gedient, sei dann aber „in London im Krieg“ gewesen, genauer wollte er nicht werden.Im Visier RusslandsDer kräftige Kerl behauptete, die Konštrukta-Leute würden das Militärgerät „bis hier zu den Plattenbauten am Rand der Stadt probefahren, vor den Augen von Mamis mit Kinderwagen“. Er fürchtete, dass „wir uns hier zur Zielscheibe der Russen machen“, ausschlaggebend sei aber das moralische Argument, „ich will Frieden, Frieden, Frieden“. Wie Viktor Orbán kreidete er der Selenskyj-Regierung „Schweinereien“ gegen die ungarische Minderheit in Transkarpatien an. Gefragt, ob gewisse ukrainische Gebiete dem Frieden zuliebe unter russischer Okkupation verbleiben sollten, rief er unschuldig armwedelnd den Herrgott an.Auch „Konštrukta Defence“ war leicht zu finden. Es lag an der „Ulica obrancov mieru /Békevédők utca“. Übersetzt: Straße der Verteidiger des Friedens.