Vergangene Woche wurde ich von kaukasischen Taxifahrern gekidnappt; dabei wollte ich nur verstehen, warum die Europäische Union Armenien an Russland verloren hat. Der einsame Entschluss des armenischen Präsidenten Sersch Sargsjan, die ausverhandelte EU-Assoziierung über Nacht hinzuschmeißen und den Beitrittsantrag an die entstehende Eurasische Union zu stellen, wurde nie so recht erklärt. Mögliche Gründe liegen auf der Hand: Bei nur drei Millionen Armeniern in Armenien arbeitet etwa eine Million in Russland. Und nur Russland kommt als Schutzmacht des zwischen den Erzfeinden Türkei und Aserbaidschan isolierten Kleinstaats infrage. Ich stellte in der Hauptstadt Jerewan Anfragen an Parlament und Außenministerium – keine wurde beantwortet. Ich tauchte ungeladen in der Zentrale der Regierungspartei, der Republikanischen Partei Armeniens, auf. Man wies mich einer zierlichen Anni zu, die mir so lange schöne Augen machte, bis alle kompetenten Sprecher evakuiert waren.
Allein eine Jerewaner EU-Beamtin empfing mich. Groß und stramm, weißblonder Kurzhaarschnitt, so hatte die selbstbewusste Estin im „EU-Bus“ die verlassenen Provinzen Armeniens beackert. Die Armenier hätten die europäischen Gäste nach EU-Förderungen und militärischer Sicherheit gefragt, für das prioritäre EU-Anliegen Homosexuellenrechte „haben sie keine Zeit“. Als ich gegenüber der Beamtin Armenien Europa zuordnete, unterbrach sie mich: „Was für ein Europa, das ist der Mittlere Osten hier!“
Mein erster Fahrer war ein georgischer Taxler auf der Strecke Kutaisi–Chaschuri. Eine Stunde Warten auf einen dritten Fahrgast, dann ein langer Halt für Gastanken, einer für Benzin, noch einer für Gas, Reifenaufpumpen. Als ich Kritik andeute, kündigt er viele weitere rätselhafte Stopps mit Pomp an: „Jetzt gehe ich Gold kaufen“, „Jetzt schaue ich mich nach Brillanten um“. Ich frage den dritten Fahrgast: „Und Sie, haben Sie es nicht eilig?“ – „Sehr sogar“, sagt der alte Herr, „mein Sohn wird gerade operiert. Aber da können Sie nichts machen.“
Ein Extra-Scheinchen
In Chaschuri schwören alle Taxler, dass es keinen Bus mehr ins armenischsprachige Grenzgebiet hinauf gäbe. Drei Minuten später sitze ich im Bus. Danach habe ich von Achalziche nach Achalkalaki den ersten armenischen Taxifahrer. „Bruder!“, schreit er. „Bruder Martin Dschan!“ Er findet sowohl Wladimir Putin als auch den früheren georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili gut. Saakaschwili wegen einiger gebauter Straßen und weil er die Korruption der Straßenpolizei abgestellt hat. Diesmal bin ich der dritte Fahrgast und zufrieden, allerdings nur, bis der Taxler am Ende mit meinem Wechselgeld abhaut.
Die Kleinstadt Sewan ist ein leiser Horror von postsowjetischem Verfall. Ich brauche wieder ein Taxi zur gerühmten Riviera am Sewan-See. Der Fahrer bringt mich an einen unbeleuchteten Strandabschnitt, ich soll in einer finsteren Hütte hinter Hunden und schlammigen Wegen absteigen. Er macht das mit allen, erfahre ich später, weil seine Nachbarin dort kellnert. Dann zurück von Sewan nach Jerewan, statt am Busbahnhof wirft der Busfahrer die dösenden Touristen am Stadtrand ab. Ich vergesse meinen Koffer, springe in den nächsten Lada. Es folgt die Jagd auf einen weißen Kleinbus, alle Kleinbusse sind weiß. „Ich weiß, warum du schlecht verdienst“, sagt der runzlige Taxler: „Martin Dschan, du bist zu ehrlich.“ Als ich den Koffer habe, zieht er mir ein Extra-Scheinchen aus dem Bündel.
Rührende Sorge
Von Jerewan nach Schuschi. Mich nimmt ein junger Grobian mit, der gemischte Waren nach Bergkarabach transportiert. Wenn er bei der Gattin telefonisch nachfragt, ob er Tomaten mitbringen soll, klingt das lautmalerisch so, als würde er ihre Sippe verfluchen. Er hält dann an jedem Straßenstand unter dem Berg Ararat, fragt nach dem Preis der Pfirsiche, in Phase zwei nach dem Preis von Tomaten. Wir geraten in die Nacht, prasselnder Regen auf Passstraßen, er bittet um etwas Schlaf. Am Reiseziel kann auch ich nur noch schlafen gehen.
Auf dem Rückweg nach Jerewan verfrachtet man mich vom Bus in ein Auto, nach 300 Metern in ein anderes. Der Taxler schimpft von Anfang an herum. „Benehmen Sie sich!“, ermahne ich ihn. Er schweigt zunächst wohltuend. Beim Gastanken in einer lauschigen Oase teilt sich die Fahrgemeinschaft harmonisch grünen Sprudel. Als ich in Jerewan aussteige, beschimpft mich der Fahrer, jedoch auf Armenisch.
Ich will jetzt endgültig keinen Taxifahrer mehr sehen, und doch brauche ich einen weiteren, raus aus diesem Land. Ich setze mich abseits auf eine Betonbrüstung. Einer setzt sich zu mir, wirkt verständnisvoll und sagt dann: „Ich verstehe die Leute nicht, jeder will ein größeres Haus als der Nachbar.“ Er gewinnt mein Vertrauen, wir einigen uns auf die Tour. Doch zunächst will er erst einmal zu sich nach Hause, in einen unverputzten Rohbau, höher als alle Nachbarhäuser. Seine deutlich jüngere Frau, in getigerten Leggings, rennt untertänig schweigend herum, improvisiert ein Abendessen. Es folgt die langwierigste und unheimlichste Nachtfahrt meiner Reise, nichts vom Gesagten erweist sich als wahr.
Sicherlich, ich erfuhr auch Anflüge von Menschlichkeit. Einmal gelangte eine wilde schwarzflügelige Kaukasus-Biene unbemerkt in mein aufgekrempeltes Hemd, und ich schrie erschrocken auf, als sie mich stach. Der Busfahrer hielt und erkundigte sich mit rührender Sorge, ob ich denn auch kein Allergiker sei. Bei aller Rüpelhaftigkeit halte ich diesen Armeniern vor allem eines zugute: Ich hörte nirgends die krausen politischen Dummheiten, mit denen einen die Leute in anderen postsowjetischen Ländern vollquatschen. Onkel in der Ukraine, Brüder in Moskau, Tochter in Los Angeles – mit ihrer Diaspora sind Armenier auf Medien nicht angewiesen, sie beziehen Informationen aus erster Hand.
In Europa geht es ziviler zu, sagten mir in Abwandlungen alle, aber wir können uns Europa noch nicht erlauben. Wir sind uns der Unterstützung Russlands nicht sicher, aber wenn uns im Notfall jemand beisteht, dann sind das die Russen. Bedingt durch das Kidnapping, konnte ich leider fast nur mit Fahrern und Fahrgästen sprechen. Andererseits ist doch jeder Armenier irgendwo ein Taxler. „Als die Amerikaner auf dem Mond landeten“, erzählte einer in Jerewan, „hat dort schon ein armenischer Taxler gewartet.“
Martin Leidenfrost schrieb zuletzt über einen Gedenkort zwischen der Ukraine und Rumänien
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