Puigdemonts Waterloo

Belgien Wo Napoleon seine größte Niederlage erlebte, residiert nun Kataloniens Separatistenführer
Ausgabe 27/2019
Der katalanische Ex-Regionalpräsident Carles Puigdemont (2.v.r.) und der neue katalanische Präsident Quim Torra (3.v.r.) applaudieren beim Hissen der katalanischen Flagge im belgischen Waterloo
Der katalanische Ex-Regionalpräsident Carles Puigdemont (2.v.r.) und der neue katalanische Präsident Quim Torra (3.v.r.) applaudieren beim Hissen der katalanischen Flagge im belgischen Waterloo

Foto: Imago Images/Agencia EFE

In Waterloo verlor der von Elba geflohene Napoleon Bonaparte seine letzte Schlacht, und in Waterloo residiert seit längerem der flüchtige katalanische Separatistenführer Carles Puigdemont. Seit Oktober 2017, seit sich seine „Katalanische Republik“ für unabhängig erklärte, drohen Puigdemont in Spanien bis zu 30 Jahre Haft. Er wurde am 26. Mai ins Europaparlament gewählt, für die Annahme des Mandats hätte er jedoch nach Madrid fliegen und auf die spanische Verfassung schwören müssen. Da er wohl verhaftet worden wäre, unterließ er das.

Waterloo ist eine sehr durchschnittliche belgische Kleinstadt. Ich fuhr hin, um die Unterkünfte der beiden gescheiterten Staatsgründer zu vergleichen: Puigdemonts „Haus der Republik“ und Napoleons Biwak im Schlachtfeld.

Was Puigdemonts „Haus der Republik“ betrifft, so stellt dieses laut katalanischer Wikipedia eine „wichtige Tourismuswerbung für Waterloo“ dar, „die Tourismusinformation Waterloo registriert wöchentlich zwischen 15 und 25 Anfragen, wie die Casa de la República zu finden sei.“ Ich ging in diese Tourismusinformation. Die Beamten sagten, dass wöchentlich zwei oder drei Kleingruppen anfragen, „15 Personen pro Woche kommt hin“. Um die Katalanen nicht wegschicken zu müssen, hatten die Beamten den Sitz der katalanischen Exilregierung auf eigene Faust gesucht, Google-Fotos davon ausgedruckt und kopiert. Es überraschte mich zu hören, dass Puigdemont und die Seinen „nie irgendeine Art von Kontakt mit uns aufgenommen haben“.

Ich ging ins Museum gegenüber, benannt nach dem Sieger der Schlacht von 1815, Wellington. Es zählt jährlich 18.000 Besucher, leicht das Zehnfache der unter Einschluss der Dunkelziffer zu Puigdemont pilgernden Katalanen. Auch im Museum hatte sich Puigdemont noch nie blicken lassen. Seine Anhänger pflegten durchaus Halt zu machen. Die ältere Kassierin nannte sie unbekümmert „Spanier“, die jüngere Kassierin hatte aber den Herbst 2017 als Erasmus-Studentin in Girona erlebt und beschrieb das Unabhängigkeitsreferendum als eine freundliche „Revolution“, „die Katalanen sind ein sehr pazifistisches Volk“.

Rosshaar, Wolle, Daunen

Das Museum zeigte den Verlauf der Schlacht. Sie ging vom Morgen bis in den Abend, 10.000 Soldaten blieben tot liegen, weitere 3.000 starben in den Tagen danach. Am Ende resümierte der Audio-Guide, Napoleon sei 1815 mit dem Versuch „gescheitert, Europa mit Gewalt durchzusetzen. Es wird heute Schritt für Schritt auf demokratischem Wege verwirklicht.“

Ich ging in die diesjährige Sonderausstellung über Napoleons Unterbringung in Waterloo, sein „Biwak“. Die Ausstellung endet mit einem Experiment von alternativer Geschichte: „An diesem 19. Juni 1815, nach seinem Sieg in Waterloo, wird Napoleon in Brüssel von einer jubelnden Menge empfangen. Napoleon gründet eine weltweite Monarchie.“ So war es natürlich nicht, in Wirklichkeit verlor Napoleon in Waterloo und Puigdemont in Barcelona.

Ich sah Napoleons rekonstruierte Zeltstadt. Sein Bett bestand aus einem rollbaren Gestell, aus drei übereinander liegenden Matratzen (Rosshaar, Wolle, Daunen) und aus einem grünen Himmel. Der Teppich war getigert, die von Tapissier Poussin gelieferten Wände geblümt. Das war „praktisch und luxuriös zugleich“.

Waterloo hat ein katalanisches Lokal, „L’accent catalan“, dort aß ich. Der Wein aus Perpignan war phantastisch, der Gemüseteller dank ihrem „durchgeknallten katalanischen Salz“ würzig. Dann wieder das: „Puigdemont? Der war noch nie bei uns.“

Schließlich ging ich zu ihm, ins stille Villenviertel von Waterloo. Das „Haus der Republik“ – kolportierte Monatsmiete 4.400 Euro – war ein großes und nüchternes Wohnhaus. Die Vorhänge waren zugezogen, die Zugänge waren mit roten Absperrketten versperrt.

Ich stand keine 15 Sekunden auf dem Bürgersteig, da lief schon ein katalanischer Gorilla aus der Garage hoch. Der Gorilla sprach keine Fremdsprachen und holte einen anderen Katalanen, der etwas Französisch konnte. Ich fragte diesen Funktionärstypen: „Ist er da?“ – „Ja, er ist da. Er ist in einer Videokonferenz.“ – „Mit Katalonien?“ – „Das kann ich nicht sagen.“ – „Und Sie, wohnen Sie alle hier?“ – „Das kann ich auch nicht sagen, das ist kompliziert...“ – „Wegen möglicher juristischer Probleme?“ Er wollte nichts mehr sagen und gab mir ein winziges vorbedrucktes Zettelchen, Puidgemonts Mailadresse. Sie begann mit „130president“, denn der Mieter sah sich als 130. Herrscher in der Geschichte Kataloniens an.

Ich mailte Puigdemont drei kurze Fragen, Antwort bekam ich keine. Meine erste Frage war, warum er sich ausgerechnet Waterloo ausgesucht hat. Wenn man „Waterloo“ hört, denkt man doch „Niederlage“.

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