Roma Road Show

Ostwind Kolumne

Seit 17 Jahren hat Transnistrien alles, was einen Staat ausmacht: eine Grenze, eine Hauptstadt, eine Regierung - mit Russland sogar eine Schutzmacht. Nur internationale Anerkennung ist bislang ausgeblieben. Auf seinem Weg durch Osteuropa wollte es Martin Leidenfrost (Freitag 22/07) freilich bei derartigen Feststellungen nicht bewenden lassen - er nahm das schmale Land zwischen Moldawien und der Ukraine bis zum nördlichen "kleinen Kaukasus" in Augenschein und fand ein Gemeinwesen, das sich nicht zu verstecken braucht und eine Aufnahme in die Staatengemeinde verdient hätte. Diesmal nun war er mit dem Wagon Slovakia in Ungarn unterwegs zu einem wahrhaftigen Zigeunerbaron.

Ende Mai habe ich gelernt, wie Souveränität aussieht. Ich bin zur "Roma Road Show" nach Ungarn gereist, nach Kertváros, in einen ärmlichen Vorort des geschmackvoll herausgeputzten Stadtjuwels Esztergom. Erwartet wurde Bódi Gusztí, ein Star des ungarischen Roma-Pops.

Bódi Gusztí ist außerhalb Ungarns vollkommen unbekannt, und selbst in Ungarn kennt ihn außerhalb der Roma-Gemeinde kaum jemand. Und auch ich hätte von Bódi Gusztí nie erfahren, gäbe es nicht Wagon Slovakia, die Speisewagen-Gesellschaft der slowakischen Eisenbahnen. Wagon Slovakia gibt mir seit jeher Rätsel auf. Denn in der reibungslos brummenden Effizienz der slowakischen Volkswirtschaft nimmt dieses Unternehmen die Stellung einer wunderlichen Ausnahme ein: Cola wird warm und Rotwein kalt serviert, und die ganze Energie des Personals geht in die wortreiche Verteidigung, nie in die Behebung der Unzulänglichkeiten. Dafür existiert in ganz Europa kein Speisewagen, der billiger wäre.

Eine Zeitlang habe ich oft diesen Speisewagen genommen, der die 65 Kilometer kurze Strecke zwischen Wien und Bratislava bedient. Das Bild, das sich bot, war fast immer dasselbe: Der Koch war mürrisch, der Kellner betrunken. Slowakische Roma, die in Wien als Straßenmusikanten auftraten, ließen in der Mitte des Wagens den Tag ausklingen. An der gegenüberliegenden Fensterfront, auf einem der sechs Barhocker, saß ein junger österreichischer Eisenbahner, der in seine Dienstwohnung unterwegs war. Er trank dort stets sein Gute-Nacht-Bier und betrachtete versonnen lächelnd die fröhliche Gesellschaft.

Auf einer dieser Fahrten war die Stimmung außerordentlich gut. Die slowakischen Roma tranken Sekt und gaben uns eine Runde aus, der Koch war nicht mürrisch, und der Kellner war außer Rand und Band. Auf dem Chips-Wägelchen stand sein kleiner Kassettenrecorder, aus dem eine rasante ungarische Roma-Combo dröhnte. Der Kellner hatte sein Hemd weit aufgerissen und geriet in solche Verzückung, dass er - ein Vollslowake! - den jüngsten Rom abküsste, auf die Wange und auf den Mund. Es hat uns aber allen in den Sohlen gejuckt.

Die Stimme im Kassettenrecorder war die von Bódi Gusztí, und ein Dreivierteljahr später fand ich nach Kertváros, zur "Roma Road Show", zu einem von Bódis Live-Konzerten.

Es war ein früher Samstagabend, die lange flache Dorfwiese war mit Absperrbändern gesichert wie auch das Wiesenstück vor der Bühne. Ein Dutzend weißer ungarischer Männer, auf deren blauen Uniformen Security stand, bewachten finster konzentriert die Zufahrt und die Bühne, auf der hinreißend begabte Roma-Kinder das Vorprogramm tanzten. Das Auge des Fremden fand alles, was es vom Volk der Roma kennt: eine rauchende Großmutter, einen schwangeren Teenager. Die meisten Besucher, fast alle Roma, waren freilich keineswegs exotisch. Zu ihnen gesellten sich nur wenige Weiße - Betrunkene, Tätowierte, unglücklich Blondierte.

An den Verkaufsständen wurden gekühlte Getränke und zähe, in Plastik verschweißte Schnitzelsemmeln verkauft. Die meisten tranken Dosenbier, doch stach mir keinerlei Exzess ins Auge. Verglichen mit einem durchschnittlichen deutschen Dorffest, lebten die paar hundert Roma, die sich vor der Bühne versammelt hatten, ein Muster gutbürgerlicher Manieren vor.

Lange Zeit gab es kein Programm - doch dann kam Bódi. Er fuhr in einem Konvoi schwarzer Limousinen vor, begleitet von seiner Kapelle und seinem Clan. Dem schwarzen Mercedes mit den schwarz getönten Scheiben entstieg er selbst. "Bódi, Bódi!", rief die Menge hinter dem Absperrband. Bódi winkte zwei, drei Mal und stand danach eine Stunde bei den Autos rum.

Er war ein unauffälliger Typ, trug eine schlichte schwarze Hose und ein schwarz-weiß gemustertes T-Shirt am maßvoll dicklichen Leib. Für eine Zeitlang verschwand er hinter dem VIP-Paravent, einem in die Wiese gepflanzten Oktogan aus grüner Plane. Immer wieder ließ er sich auf die Schulter schlagen, von einem Herrn, der offenbar der Platzhirsch der örtlichen Roma war. Dieser selbstbewusste Herr war mittleren Alters, ein weißes Leinenhemd hing ihm über den Ehrfurcht gebietenden Bauch. Rohrdicke Goldketten rahmten seinen Hals, und die riesigen kantigen Goldringe an seinen Fingern waren zum Töten von Bullen geeignet.

Weitab vom Geschehen, auf einem unbevölkerten Stück der Wiese, sah ich einen wahrhaftigen Zigeunerbaron. Er hielt mit seiner Sippe auf weißen historisierten Gartenstühlen Hof, unmittelbar vor den Dixi-Klos. Er trug einen breitkrempigen, weißen Strohhut. Einmal stand er auf und streckte seinen Bauch gähnend himmelwärts. Zu diesem Zeitpunkt stand Bódi schon auf der Bühne. Der Zigeunerbaron setzte sich wieder hin und hatte den Seinen gezeigt, dass ihn nichts weniger als dieser Bódi interessierte.

Nun ja, Bódis Show war mau. Er sang mit seiner Frau das hymnische Duett, das auch auf der Homepage erklingt, hopste zu zwei, drei Liedern über die Bühne, stimmte neuerlich jenes Duett an und ging ab. Das Konzert kostete keinen Eintritt, nirgends wurden Kassetten oder Fanartikel verkauft. Es war das Schauspiel eines Überflusses, der seine Quelle verbirgt.

Als die Fans zu Bódi Gusztí stürmten, der bereits am Steuer seiner Limousine saß, erwies sich schließlich, dass auch die Security nur angeheuert war, um im einzig heiklen Moment zu weichen. Aus dem herunter gekurbelten Fenster den Jubel empfangend, rollte der Gefeierte vom Feld.

Das war der Moment, in dem die Souveränität des Zigeunerbarons litt. Langsam sammelte er sein Gefolge, ließ die historisierten Gartenstühle auf die offene Ladefläche eines Kleinlasters verladen und versammelte seine Gefolgschaft im Mercedes-Familien-Van. Das war immer noch mehr an Würde, als ein weißer Mann für möglich hält.


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