Sarajewo: Kickboxen im Hotel „Hollywood“

Europa transit Der Kampf des Lokalpolitikers Dino Hadžić gegen die Arabisierung einer Vorstadt von Sarajewo trägt Früchte: Die SDA, die bosniakisch-nationalistische Staatspartei des Izetbegović-Clans, verliert an Einfluss
Ausgabe 47/2022
Smog über Sarajevo: Der Hauptstadt Bosnien und Herzegowina
Smog über Sarajevo: Der Hauptstadt Bosnien und Herzegowina

Foto: Imago/Pixsell

Um Anzeichen von Hoffnung im dysfunktionalen Staatsgefüge Bosnien-Herzegowinas auszudeuten, greife ich auf meine Bekanntschaft mit einem bosniakischen Lokalpolitiker zurück. Ich traf Dino Hadžić im Herbst 2019 auf dem Höhepunkt seines Ruhms, sogar der Kanal Euronews hatte seinen Kampf gegen die „Arabisierung“ Bosniens durch arabische Aufschriften ohne Übersetzung ins Bosnische beleuchtet. Hadžić saß für die inzwischen gewichene „Erste Partei“ im Abgeordnetenhaus der Sarajewo-Vorstadt Ilidža. Der Kurort erfreute sich großer Beliebtheit bei Urlaubern aus den Golfmonarchien, da er im Sommer schattig, muslimisch geprägt und saubillig war. Nicht jeder Kuwaiter ist ein Scheich.

Nun, im Herbst 2022, da die SDA, die bosniakisch-nationalistische Staatspartei des Izetbegović-Clans, eine klare Wahlniederlage erlitten hat, finde ich Hadžić auf der Wahlliste der aufstrebenden Partei Narod i Pravda (NiP/Volk und Gerechtigkeit). Die bosniakische Volksgruppe hat am 2. Oktober mehrheitlich verschiedene nichtnationalistische Parteien gewählt, in Ilidža mit gut 30 Prozent die NiP.

2019 stieg ich im Lieblingshotel der Golfaraber ab. Das „Hollywood“ war ein Tanker, der Großveranstaltungen wie eine Kickbox-WM genauso aufnehmen konnte wie vier parallele Hochzeiten. Das ging alles zusammen, weil sich der klobige Bau drinnen in Trakte auffächerte, die teils nur über spezielle Eingänge und Lifte zu erreichen waren. Als ich in einem falschen Flügel ausstieg, hing da ein Wegweiser zu einem Flur, der vollverschleierten Frauen vorbehalten war. Auch ein arabisches Restaurant gab es, das Personal sprach aber kein Arabisch. Vor dem Schlafengehen schnupperte ich in zwei „Hollywood“-Hochzeiten rein, die von Amra und Mursa im Saal „Panorama“ sowie die von Imra und Ibro im „Open Sky“. Kurz vor Mitternacht war man schon am Aufräumen, betrunken schien kaum jemand.

Am Morgen erwartete mich Hadžić im weitläufigen Treffpunkt-Café, das sich in der fensterlosen Mitte des „Hollywood“ erstreckte. Er war ein unfrommer Witzbold mit Hang zu Jugoslawien-Nostalgie. Orthodox-muslimische Kreise warfen ihm vor, dass er mit seiner Kampagne gegen rein arabische Aufschriften den Islam angreifen würde, sei Arabisch doch die Sprache des Koran. Er hatte darauf die perfekte Antwort: „Diese Aufschriften hier haben nichts Heiliges, eine bedeutet zum Beispiel ‚Sexshop‘.“

Genau drei Jahre später wandere ich wieder über den Shoppingcenter-großen Parkplatz zum „Hollywood“ hin. Es hat sich kaum etwas verändert. Auf Arabisch wird für Immobilien geworben, und das Treffpunkt-Café im Bauch des Tankers blieb verraucht. Dino Hadžić hat leider keine Zeit, also antwortet er mir online und betont, dass er nicht die Positionen der Partei formuliere, der er momentan angehöre. Doch habe die NiP seine „moralischen Qualitäten“ erkannt. So nahm er „die Einladung zum Eintritt“ an. Zwar räumt er ein, dass die NiP 2018 von mehreren SDA-Abgängern gegründet wurde, klingt aber ziemlich begeistert: In Ilidža sei die NiP seit Kurzem an der Macht. „Und in weniger als zwei Jahren haben sie Dinge angefangen, auf die man mehr als 50 Jahre gewartet hat.“ Die bisher dominierende SDA hingegen sei „konservativ und rigide, das kommt den ganzen Staat teuer zu stehen. Es führt zu Stagnation und Zurückbleiben in Sachen EU-Beitritt.“

Das Wahlergebnis gibt laut Hadžić Regierungskoalitionen nichtnationalistischer probosnischer Kräfte unter Ausschluss der SDA her. Freilich ist einzuschränken, dass die staatsbildenden Volksgruppen der Kroaten und Serben weiter nationalistisch sind. Und sein Kampf gegen die Arabisierung von Ilidža? Der sei erfolgreich gewesen, sagt er, „in der Mehrheit der Fälle“ wurden arabische Aufschriften mit bosnischen ergänzt. Die arabischen Gäste blieben derzeit – „wegen Pandemie und Weltwirtschaftskrise“ – aber aus. Und dann betont mein bosniakischer Lokalpolitiker, er heiße arabische Touristen sehr wohl willkommen. Halt nur „auf eine Weise, dass sie sich dem Umfeld anpassen und nicht das Umfeld ihnen“.

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