Der Good Guy und der Bad Guy von Kiew: Wer sind die Berater hinter Wolodymyr Selenskyj?
Ukraine Mychajlo Podoljak und Oleksij Arestowytsch haben in der Vergangenheit schon mal mit prorussischen Kräften geliebäugelt. Heute stehen sie an Wolodymyr Selenskyjs Seite und sind mächtiger als alle ukrainischen Minister
Die Machtausübung in der Kriegsukraine weist einige Spezifika auf: Alle Fernsehsender müssen die zentralisierte Kriegsberichterstattung des „Telemarathons“ übernehmen, Oppositionspolitikern wird nur minimale Sendezeit eingeräumt, aber auch die eigentlichen Amtsträger (Ministerpräsident, Minister) kriegt man nur selten zu Gesicht. Neben Präsident Wolodymyr Selenskyj dürfen sich nur zwei Männer tagtäglich zu einer beliebigen Palette von Themen äußern: Mychajlo Podoljak, 50, und Oleksij Arestowytsch, 47. Beide sind merkwürdigerweise bloß als „Berater“ angestellt, im Fall Podoljaks nicht einmal als Berater des Präsidenten, sondern der in „Office“ umbenannten Präsidialadministrati
ation.Nachdem Selenskyjs Präsidentschaft anfangs aufgrund einer „Taktik der Stummheit“ in „Selbstisolation“ (Zitat Podoljak) gefangen war, haben die beiden seit 2020 die Lizenz zum Sprechen. Kommunikationstechnisch stehen sie über den Ministern, die Podoljak vor deren Interviews häufig brieft, auch dürfen sie höherrangige Regierungsmitglieder kritisieren. Podoljak wurde vom Magazin Focus zum dritteinflussreichsten Ukrainer gekürt, Arestowytsch ging aus einer Umfrage als zweitbeliebtester ukrainischer Politiker hervor (65 Prozent Zustimmung, Selenskyj 88 Prozent). Für den Fall, dass Selenskyj ausfallen sollte, kündigte Arestowytsch seine Bereitschaft zur Präsidentschaftskandidatur an.Aus Belarus ausgewiesenPodoljak und Arestowytsch haben gemeinsam, dass sie sich auch auf der anderen Seite dieses brudermörderischen Krieges hätten wiederfinden können – beide hatten in der Vergangenheit mit prorussischen Kräften geliebäugelt. Ansonsten sind sie grundverschieden: Der Westukrainer Podoljak macht den „Bad Guy“, der auf Ukrainisch und Englisch Tweets absetzt, in denen er vom Westen die Bombardierung iranischer Drohnenfabriken verlangt oder Konzessionen an Wladimir Putin „a deal with the Devil“ nennt. Der Kiewer Ex-Schauspieler Arestowytsch hingegen ist wie geschaffen für die Rolle des „Good Guy“, der launig mögliche Fronterfolge glossiert („ein niedliches Kesselchen“) und seinen Landsleuten (auf Russisch) Lust auf eine Ukraine nach dem Sieg macht. Die Nation-Building-Visionen des begnadeten Geschichtenerzählers stellen alles in den Schatten, was in 31 Jahren Unabhängigkeit auf den Markt kam. (Das war aber auch nicht viel.)Podoljak verbreitet lieber Unlust und Spaltung. Den Friedensnobelpreis für die russische NGO „Memorial“ und den belarussischen Regimegegner Ales Bjaljazki verurteilte er mit den Worten, Oslo ehre damit „Vertreter eines Staates, der einen anderen überfallen hat“, und die unfähig gewesen seien, „Widerstand gegen den Krieg zu organisieren“. Diese Äußerung war gerade gegenüber der diesen Krieg tendenziell ablehnenden belarussischen Gesellschaft unbegreiflich – etwas Schlimmeres, als durch einen Kriegseintritt von Belarus in einen Dreifrontenkampf zu geraten, könnte der Ukraine kaum passieren.Der gebürtige Lemberger Podoljak dürfte aus einer persönlichen Enttäuschung gesprochen haben, denn er hatte die erste Hälfte seines Erwachsenenlebens (1989 – 2004) in Belarus verbracht. Er studierte dort Medizin und schrieb als Journalist für (großteils russischsprachige) Zeitungen, die in Opposition zu Diktator Alexander Lukaschenko standen. Ein Artikel Podoljaks, der unter anderem von der „Bremsung der russisch-belarussischen Wirtschaftszusammenarbeit durch Lukaschenko“ handelte, führte sogar zur Schließung der Zeitung Nascha Swoboda. 2004 wurde Podoljak – da seine Tätigkeit „den Interessen der Staatssicherheit zuwiderläuft“ – aus Belarus ausgewiesen.In der Ukraine setzte er seine investigative Tätigkeit fort, etwa mit einer Reportage, in welcher er argumentierte, dass der prowestliche Präsident Viktor Juschtschenko nicht wie oft angenommen vom Kreml, sondern von seinem georgischen Kumpel David Schwanija vergiftet worden war. Juschtschenko selbst schloss sich dieser Einschätzung später an, der (ebenfalls verwickelte) ukrainische Geheimdienst SBU unterband aber eine Fortsetzung von Podoljaks Nachforschungen.Um das Jahr 2006 herum tat sich in der Laufbahn des kritischen Journalisten ein Bruch auf: Podoljak, so schien es, ließ sich plötzlich von Geld und Macht locken. Er heuerte beim halbseidenen Polit-Unternehmer Michail Brodskij an, der ihn 2011 zum Chefredakteur des viel gelesenen Nachrichtenportals Obozrevatel machte, und eröffnete eine Consulting-Firma mit Unternehmenszweck „Reputationsmanagement“.Seine Klienten waren vorwiegend Politiker, offenbar auch aus der Administration des neutral-prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch; Podoljak trat auch auf einer Pressekonferenz zur Weißwaschung eines angeblichen Mafia-Bosses aus dem Donbass auf. 2015 ließ er Kiew für eine vollkommen unbekannte „Bewegung für Reformen“ mit Nashorn-Plakaten tapezieren und erreichte 3,92 Prozent der Wählerstimmen. Obwohl er in dessen Administration einige „durchaus adäquate Jungs“ kannte, trat Podoljak unter Präsident Petro Poroschenko politisch kaum in Erscheinung. Im April 2020 tauchte er als „Krisenmanager“ in Selenskyjs Office auf, ab dem 24. Februar wurde er weltbekannt.Oleksij Arestowytsch, der zweite „Berater“ mit weltweiter Bekanntheit, wurde als Sohn einer Russin und eines Offiziers belarussisch-polnischer Herkunft in Georgien geboren und wuchs in Belarus und Kiew auf. Er spielte Nebenrollen in siebzehn Filmen und Serien, drei Mal etwa in der russischen Kopie von Kommissar Rex; sein Genre war seichter Kommerz. Das russische Staatsfernsehen versuchte aus einer Travestie-Rolle Arestowytschs die Behauptung zu schnitzen, man hätte es mit einem Vorkämpfer von „Gayropa“ zu tun. Die Wahrheit ist wohl eine andere: Von Familienvater Arestowytsch sind Aussagen gegen LGBTIA+ und Frauen in der Armee überliefert.Anders als sein Chef war der Schauspieler Arestowytsch kein Star, seine Anziehungskraft beruht auf anderen Bildungswegen: Er studierte nebenbei Theologie in der Kiewer Filiale der Päpstlichen Thomas-von-Aquin-Universität, absolvierte die Schule „Mensch unter Menschen“ eines russischen Eso-Psychologen, vor allem aber profilierte er sich als ukrainischer Militär. Er ist Absolvent der Militärakademie von Odessa, hat ein Diplom als Militärübersetzer und soll 1994 – 2005 für die Geheimdienste des Verteidigungsministeriums gearbeitet haben. Als 2014 der Krieg im Donbass ausbrach, wurde der gewinnend auftretende Reserveoffizier als Militärkommentator aktiv. 2018 – 2019 diente er selbst bei Kramatorsk. Die Bestätigung seiner Kampfeinsätze hinter der Frontlinie (nach eigenen Angaben 33) und seiner sieben Orden steht noch aus – ein Hang zum Aufschneidertum ist nicht auszuschließen.Gänsehaut für MillionenMilitärische Erfahrung, psychologische Einfühlung und Erzähltalent sind die Grundlagen von Arestowytschs Aufstieg in der kriegsverheerten Ukraine. Er vermag einem Millionenpublikum Gänsehaut zu bereiten, etwa wenn er erzählt, wie er nach seiner Rückkehr von der Front im friedlichen Kiew an einem Bauzaun ohne Durchlässe entlanggehen musste – und geduckt zu rennen begann. Die Leute hören Arestowytsch, der stets entspannt, konzentriert und frisch geduscht wirkt, gerne zu. Zu seiner Beliebtheit trägt bei, dass er in der Sprache erzählt, die bei aller patriotischen Aufwallung immer noch die eigentliche Muttersprache der Mehrheit ist: Russisch. Seine häufigen Auftritte auf dem Youtube-Kanal des russischen Menschenrechtsanwalts Mark Fejgin erreichen 1,94 Millionen Abonnenten.So wie der eher finstere Berater Podoljak hat auch der helle Arestowytsch einen Bruch in seiner Laufbahn: 2005, nach der prowestlichen „Orangenen Revolution“, die er als „Orangene Pest“ empfand, verließ er die Armee und engagierte sich in der Partei „Bruderschaft“, die bis 2008 ein Bündnis mit Russland suchte. Heute unvorstellbar, nahm der Arestowytsch von damals wiederholt an Konferenzen der Eurasien-Bewegung teil. Die Abkehr von Alexander Dugin blieb nicht die letzte Wendung: Noch 2019 beschimpfte er die Wähler seines heutigen Idols Selenskyj als Schwachköpfe: „Wie soll man sonst Leute nennen, die allen Ernstes der Meinung sind, dass der Austausch der Oligarchen durch eine Marionette der Oligarchen der beste Weg ist, die Oligarchen zu besiegen?“Arestowytsch nannte sich mal „keinen Patrioten“ und führte den katholischen Theologen Teilhard de Chardin und Elon Musk als Inspirationen für seine Vision von der Zukunft der Menschheit an. Als einziger Regierungsvertreter des Landes, das in einem verbissenen Abwehrkampf steckt, wirft Arestowytsch bis an den Rand der Selbstbesoffenheit mit Visionen um sich. Er kündigt „das freieste Land der Welt“ an, „ein BIP von 1,5 Billionen innerhalb von zehn Jahren“, „die Vereinigten Staaten der Ukraine mit 20 – 25 Futuro-Sitschs oder Techno-Sitschs“, verbunden durch hyperschnelle Verkehrsmittel und ein Dreikammernparlament. Um die Massen davon zu überzeugen, empfiehlt er den sowjetischen Weg: „staatliche Subventionen für futuristische Bücher und Filme, die unsere strahlende Zukunft beschreiben“.Arestowytschs Vorstellungen sind dort am stärksten, wo er dazu auffordert, dass sich die Ukraine nicht als kolonialisiertes Opfer verstehen, sondern zugeben möge, „dass Ukrainer die Hauptideologen des russischen und sowjetischen Imperiums waren. Das heißt aber, dass wir nicht nur Erben ihrer Sünden, sondern auch ihrer Errungenschaften sind – derer es nicht wenige gab“. Ukrainer müssten ihren Teil der Verantwortung an allem übernehmen, was auf ihrem Staatsgebiet passiert ist – „am Holocaust und auch am Holodomor“.Arestowytsch zählt vier bisherige Projekte der ukrainischen Staatsbildung auf – das „russländische“, das „sowjetische“, das „nationalistische“ und das „euro-optimistische“. Er will aus diesen exklusiven Projekten das Beste nehmen und – in selbstbewusster Nachfolge der Kiewer Rus – zu einem inklusiven „Fünften Projekt“ verschmelzen. Dazu will er das Land in „Rus-Ukraina“ umbenennen. Warum, fragt er sich rhetorisch selbst. Seine Antwort: „Weil wir die Rus sind und daher – Russen.“
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