Aus Gagausien, dem slowakischen Nationalreservat, aus der Ukraine und Russland hat Martin Leidenfrost bisher berichtet. Er beschrieb Phänomene, die einem anderen Kulturkreis, einem anderen Kontinent, weit entfernt von Mittel- und Westeuropa, zugeordnet schienen. Der ersten Kolumne des Jahrgangs 2007 ist es daher vorbehalten, auf eine Begegnung einzustimmen. Denn Slowenien trat am 1. Januar der Eurozone bei - früher oder später werden nun auch in Deutschland slowenische Euro-Münzen auftauchen und dem Barzahler und aufmerksamen Betrachter einen Crashkurs in nationaler Geschichte und Symbolik abverlangen.
Schon im alten Jugoslawien wurden sie die "slawischen Schwaben" genannt. Der Priester-Philosoph Anton Trstenjak schrieb ein dickes Buch über die slowenische Ehrlichkeit. Die Regierung zitiert ihn in ihren Image-Broschüren: Die Slowenen seien so bescheiden und fleißig wie die Deutschen und manchmal so melancholisch wie die Skandinavier.
Als erstes der zehn Länder, die 2004 der EU beigetreten sind, führt Slowenien den Euro ein. Mit den übrigen Reformstaaten hat der ewige Musterschüler denkbar wenig gemein: Der durchschnittliche Nettolohn erreicht beinahe 800 Euro, der Sozialstaat ist halbwegs intakt, die großen Banken und Schlüsselunternehmen sind in staatlicher Hand geblieben. Der Kleinstaat am Südrand der Alpen ist wohlhabender als Griechenland und Portugal und wäre der EU um ein Haar als Nettozahler beigetreten.
Ab 1. Januar 2007 gingen 235 Millionen slowenische Euro-Münzen in Umlauf, entworfen in Ljubljana, geprägt in Finnland. Zunächst wurden gleich einmal Rumänien und Bulgarien beleidigt, welche die Mitgliederzahl der EU am selben Tag auf 27 erhöhten. Der Beitritt des - nie so bezeichneten - "Ostbalkans" stand zwar seit Jahren fest, doch streut der Sämann auf der Fünf-Cent-Münze Sloweniens nur 25 Sterne aus. Diese sät er dafür um so dynamischer, die fliegenden Samen sausen in Planetenlaufbahnen davon.
Ein kleines Land stellt sich der großen Eurozone vor, indem die Banka Slovenije einer breiten nationalen Erzählung den Vorzug gibt: Alle acht Rückseiten der Euro- und Cent-Münzen sind mit unterschiedlichen Motiven versehen. Die osteuropäischen Länder, die innerhalb der nächsten zwei Jahre den Euro anstreben, geben es ungleich billiger: Die Slowaken langweilen mit Burg-Berg-Wappen, die Esten begnügen sich mit dem Umriss ihres Landes, die Litauer lassen über sämtliche Rückseiten einen Ritter jagen, hoch zu Ross und mit gezücktem Schwert. So sieht das Nationalwappen aus.
Die zwei Millionen Slowenen zeichnet ein obsessives Verhältnis zu ihrer Sprache aus. Das Sprachengesetz des Landes ist ungewöhnlich streng, Anglizismen werden behördlich bekämpft. Der Filmemacher Stefan Hafner gehört der slowenischen Minderheit im benachbarten österreichischen Bundesland Kärnten an und erzählt von einer internationalen Architekturausstellung, die durch elf mitteleuropäische Länder gewandert ist: "In allen Ländern waren die Plakate englisch, nur in Slowenien mussten eigene Plakate gedruckt werden, auf Slowenisch." Er fügt hinzu, die Sprachhüter in Ljubljana hätten Apple sogar nahegelegt, Jabolko auf seine Produkte zu schreiben.
Die Nationalbank hat die Gelegenheit nun beim Schopf gepackt. Nicht nur prangt auf sämtlichen Münzen der Landesname Slovenija - auf fünf Motiven sind zusätzlich Sentenzen in der Landessprache eingraviert. Darunter das Schriftbild des ersten auf slowenisch geschriebenen Textes: "stati inu obstati" ("stehen und bestehen") sowie der Ausruf: "Oh Triglav, meine Heimat!", der über der Abbildung des Nationalbergs erscheint. Dazwischen ist noch das Sternbild des Krebses gequetscht - unter diesem erklärte das Land 1991 seine Unabhängigkeit.
Die aus dem slowenischen Gestüt Lipica stammenden Lipizzaner werden zwar in Wien touristisch ausgebeutet, in der Spanischen Hofreitschule. Mit der Inschrift "Lipicanec" werden die verspielten Pferdchen nun zumindest 20-Cent-technisch heimgeholt. "Der Lipizzaner ist weder ein Rennpferd noch ein Pferd für den Krieg", merkt die Nationalbank in ihren Erläuterungen an. "Narzisstisch zeigt er seine Schönheit bei Paraden."
Die zehn Cent erinnern an eine demokratische Utopie. "Kathedrale der Freiheit" steht über dem himmelstürmenden Entwurf eines slowenischen Nationalparlaments geschrieben. Er wurde nie verwirklicht. Entworfen hat ihn Joze Plecnik, der in den zwanziger Jahren die Prager Burg umbaute und danach Ljubljana "entösterreicherte", in einem synkretistischen Stil, mit weißen Brücken und grünen Drachen.
Plecniks populäres Drei-Brücken-Märchen Tromostovje führt direkt zum Hauptplatz der Hauptstadt, benannt nach dem romantischen Nationaldichter France Preseren. Ihm gebührt die Zwei-Euro-Münze.
Preseren führte eine traurige Existenz. Die angehimmelte Geliebte wollte nichts von ihm wissen. Die Mutter seiner Kinder verließ ihn. Er starb in seinen besten Jahren, an Leberzirrhose oder weil er - der erwähnte Stefan Hafner kennt die beliebtere Legende - "besoffen die Stiege hinuntergefallen ist".
Jedenfalls richtete ihn der Alkohol zugrunde. Preserens Lied Zdravljica ist seit 1989 die Nationalhymne Sloweniens, seit der Unabhängigkeit wird die siebte Strophe gesungen: "Ein Lebehoch den Völkern / die sehnend nach dem Tage schaun / an welchem aus dem Weltall / verjaget wird der Zwietracht Graun." Wie könnte es anders sein, fand der erste Vers auch auf der Münze Platz. Die erste Strophe der Zdravljica wird nach wie vor bei anderen Anlässen gesungen: "Freunde, die Rebe hat nun wieder den süßen Labetrunk beschert."
France Preserens Trunksucht fesselt die Slowenen bis heute. Schon bei der Gestaltung der nun abgelösten Tolar-Währung gab es wütende Proteste, weil ein Designer das wüste Original-Porträt des Nationaldichters geschönt hatte. Solche Debatten hat man sich diesmal erspart, indem man den Poeten in ein konturloses Profil setzte. Die Jugendlichen hören trotzdem nicht auf, sich an Preserens Denkmal in Ljubljana heranzupirschen und Bierflaschen in seine ausgestreckte Hand zu stecken.
Das ist noch nicht alles, was es über das frische Bargeld zu sagen gibt. Es kommen noch ein Storch und der Fürstenstein. Der Fürstenstein ist für die Banka Slovenije "ein altes Symbol für die hierarchische Organisation der Macht im slowenischen Bewusstsein". Für den Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider sind die zwei Cent ein Ärgernis. Der abgehalfterte Rechtspopulist will sein Kärntner Ausgedinge "einsprachig" machen und hat den in Kärntner Besitz befindlichen Fürstenstein gleich einmal vor etwaigen Ansprüchen gerettet - er ließ ihn in das Foyer des Klagenfurter Landtages verfrachten.
Die alte Fehde um die historische Nachfolge Karantaniens interessiert aber außerhalb Kärntens niemand mehr. Für den Rest Europas ist nur eines von Bedeutung: Wir bekommen endlich Geld mit Mehrwert. Geld, von dem wir lernen.
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