Und 2008 verbieten wir den Tod

Ostwind Kolumne

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, so auch die Präsidentenwahlen 2008 in der Russischen Föderation, mit denen die Ära Putin zu Ende gehen dürfte - vorausgesetzt der jetzige Staatschef steuert nicht per Verfassungsänderung eine dritte Amtsperiode an. Im V. Teil unserer Episodenreihe aus Osteuropa wirft deshalb Martin Leidenfrost schon einmal einen gezielten Blick auf potenzielle Bewerber, die bereits jetzt ihre Pflöcke einschlagen, auch wenn ihnen die rechte Bewegungsfreiheit dafür fehlt. Damit sind nicht etwa die Privatisierungsgewinnler der Ära Jelzin gemeint, die teilweise im Ausland ihre Renditen verzehren, es geht viel mehr um einen "Dienstleister", dem das seelische Heil seiner Mitmenschen am Herzen liegt.

Sie wirken vollkommen normal. Sie sind selten mehr als ein Dutzend, meist Frauen der mittleren und älteren Generation, verpackt in dicke Mäntel. Alle paar Tage kommen sie heraus, auf einen der zentralen Plätze Moskaus. Wenn sie überhaupt auffallen, dann nur wegen der selbstgemalten Transparente, die sie unaufdringlich hochhalten. "Freiheit für den politischen Gefangenen Grigorij Grabowoj!" - steht darauf geschrieben. Und: "Die Freude der Rettung und des ewigen Lebens." Oder: "Grigorij Grabowoj, eingesperrt für den christlichen Glauben und die allgemeine Auferstehung." Am 14. November haben sie in den Kirchen für ihn gebetet. Am 43. Geburtstag des Mannes, den sie für "die zweite Wiederkehr unseres Herrn Jesus Christus" halten.

Fest steht soviel: Das Idol dieser keineswegs exaltierten Damen sitzt seit 5. April in Untersuchungshaft. Am 7. April wurde die Anklage nachgereicht, lautend auf Betrug. Paragraph 159/2 beschreibt den Straftatbestand genauer: "Wissentlich unerfüllbare Bezahl-Dienstleistungen".

Lange war Grabowoj nur einer von unzähligen Sektengurus in einem unvermindert nach Religion dürstenden Land. Der in Kasachstan geborene Russe hat Mathematik und Medizin studiert, brüstet sich mit einem Haufen internationaler Diplome und bezeichnet seine Lehre als Wissenschaft. Ansonsten hat er das übliche Programm geboten: Heilungen, fantastische Geschichten von Sternenflügen durch Raum und Zeit, Hellseherei. Er tritt im korrekten Stil eines gehobenen Angestellten auf und vertreibt seine auf Video gebannten "Technologien" über Grabowoj-Zentren, die in vielen größeren Städten der ehemaligen Sowjetunion existieren. So manches will er vorhergesehen haben. So den 11. September 2001. Und seine eigene Zukunft: "Im Jahr 2008 werde ich Präsident Russlands", kündigt er mit seiner sanften Stimme an. "Das ist unabänderlich, das ist eine langfristig berechnete Prognose."

Die große Bühne betritt der Gutverdiener mit dem Geiseldrama von Beslan. Anfang September 2004 sterben in dem nordkaukasischen Ort beim Anschlag auf eine Schule mehr als 300 Menschen, hauptsächlich Kinder. Präsident Putin lässt sich ein Jahr Zeit, bis er die traumatisierten Mütter empfängt. Putins Zurückhaltung hat einen guten Grund: Die Staatsmacht, die von keiner wirksamen Opposition mehr herausgefordert wird, fürchtet nur noch die russischste aller Institutionen: "Mamotschka", das russische Mütterchen. Niemand kritisiert den Tschetschenienkrieg so hörbar wie die "Komitees der Soldatenmütter", und niemand bezeugt das Versagen der Sicherheitsdienste so glaubhaft wie das "Komitee der Mütter von Beslan".

Am 16. September 2005, zwei Wochen nach ihrem Besuch im Kreml, fahren die Mütter von Beslan wieder nach Moskau. Diesmal treffen sie einen anderen Anzugträger: Grigorij Grabowoj. Die Mütter nehmen an einer Versammlung seiner Sekte im Kosmos teil - eben jenem Hotel, in dem Grabowoj mehr als ein halbes Jahr später verhaftet werden soll. Der Guru behauptet, er habe die Mütter in Methoden unterwiesen, mit denen sie ihre Kinder selbst zum Leben erwecken könnten.

Die in Gasprom-Besitz stehende Zeitung Iswestija bricht eine Medienkampagne gegen den zuvor Belächelten los - Grabowoj habe es nur darauf abgesehen, den Müttern ihre soeben zugesprochene Entschädigung wieder abzunehmen - Grabowoj nennt das "Lügen". Susanna Dudijewa, die Vorsitzende des Komitees, erklärt daraufhin in einem Offenen Brief, "dass die Mütter von Beslan Grabowoj niemals Geld für die Auferweckung der ermordeten Kinder bezahlt haben". Dudijewa nimmt Grabowoj nicht nur in Schutz, sie wird zu seiner Anhängerin. Immerhin habe der "Akademiker" einmal einen Nuklearkrieg abgewendet. Viele Mütter wollen da nicht mehr folgen - das Komitee spaltet sich.

Die gegen Grabowoj erhobenen Vorwürfe hätten ihm auch in entwickelten Rechtsstaaten eine Anklage eingebracht. Es fällt aber auf, dass er erst zu dem Zeitpunkt verhaftet wird, als er in die nationale Politik eintreten will. Am 17. März 2006 gründet er vor laufenden Kameras eine Partei, die wie die Sekte heißt: DRUGG - Freiwilliger Verbreiter der Lehre von Grigorij Grabowoj. Am 5. April klicken die Handschellen.

Die Partei existiert nach wie vor, 18 "Befreiungskomitees" setzen sich für Grabowojs Freilassung ein. Die U-Haft ist verlängert worden und ein Prozessbeginn nicht in Sicht. Im Parteiprogramm finden sich durchwegs attraktive Punkte: Zehn Prozent des Wirtschaftswachstums werden auf die Bürger aufgeteilt, alle Kirchen zu einer einzigen vereinigt und alle Atomwaffenarsenael in möglichst ferne Galaxien geschossen.

Mit einem anderen Wahlversprechen lässt Grabowoj jegliche Konkurrenz hinter sich: "2008 werde ich Präsident, und als erste Maßnahme schaffen wir den Tod ab." Der Kandidat beruft sich auf die christliche Überlieferung, seit Christus sei der Mensch zur Unsterblichkeit bestimmt.

"Ein Gesetz über den Verbot des Todes ist vielleicht ziemlich ungewöhnlich", räumt Grabowoj ein, "es wird aber auf jeden Fall umgesetzt." Das Gesetz werde auf dem gesamten Territorium Russlands gelten. Für den Fall, dass sich die Umsetzung als schwierig erweist, hat der Wahlwerber Maßnahmen vorgesehen. Er werde als Präsident ein Auferstehungs-Institut gründen. "Und wenn dann immer noch Todesfälle auftreten, dann werden wir, vielleicht sogar unter Einbeziehung des Innenministeriums, eine Untersuchung durchführen."

Damit das alles wahr wird, halten die Moskauer Mütterchen ihre Transparente hoch, und in unzähligen "Harmonie-Zentren" wird die "Wissenschaft" des Meisters studiert. Viele haben Grabowoj noch nie persönlich gesehen, wie Aljona Iwanowna aus der Ostukraine. Der Zugang der Mittvierzigerin zur Sekte ist ein pragmatischer: "Als mein Vater vor Arthritis kaum noch gehen konnte, hat nichts geholfen. Dann habe ich diese Sticker aus dem Zentrum geholt, in seine Kleidung gesteckt, und Papa ist wieder gelaufen." Die 300 Dollar für 60 Sticker musste sich Aljona leihen. Das war es ihr wert. Sie könne Grabowojs Lehre nicht in allen Punkten folgen. Den Tod abschaffen? Sie überlegt zögernd. "Eigentlich hat er recht", antwortet sie und gebraucht ein Zitat des Inhaftierten: "Der Tod ist im Prinzip ein Straftatbestand."


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