Unter anständigen Leuten

Slowakei Meine Frau drehte einen Film über den Mord an Ján Kuciak und Martina Kušnírová – 100.000 sehen ihn
Ausgabe 09/2019
Gedenkstätte für Ján Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová in Bratislava
Gedenkstätte für Ján Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová in Bratislava

Foto: Vladimir Simicek/AFP/Getty Images

Vor einem Jahr wurde in der Slowakei ein Auftragsmord verübt, der Investigativjournalist Ján Kuciak (†27) und seine Verlobte Martina Kušnírová (†27) wurden in ihrem Haus erschossen. Das junge Paar stand kurz vor der Hochzeit, die Archäologin Kušnírová wurde in ihrem Brautkleid beerdigt. Der Doppelmord löste die Protestbewegung „Für eine anständige Slowakei“ aus. Ministerpräsident Robert Fico, über dessen Nähe zur kalabrischen Mafia Kuciak zuletzt recherchiert hatte, musste zurücktreten. Inzwischen sind die ausführenden Mörder gefasst, auch auf den Auftraggeber verdichten sich die Hinweise.

Meine Frau ist eine slowakische Filmregisseurin und drehte einen Kurzfilm zum Jahrestag. Ich kam nach Bratislava mit, um unsere anderthalbjährige Tochter zu hüten. Da sie noch gestillt wurde, musste ich sie in der Nähe der Drehorte hüten. In der Nacht vor Drehbeginn bekam das Kind Fieber. Nie war ich als Vater so gefordert wie in diesen Drehtagen.

Das erste Set war Kuciaks Arbeitsplatz. Das Nachrichtenportal aktuality.sk saß im zweiten Stock des Springer-Ringier- Büroblocks. Eine Großraumredaktion mit sechs doppelten Tischreihen, in der Mitte der Chefredakteur mit burschikosen Zurufen an seine „Jungs“. Kuciaks Schreibtisch wurde bereits von einem neuen Kollegen genutzt. Ich trug das fiebrige Kind unten in der Kantine herum. Sie war im Haus als „Grausine“ verrufen, Kuciak aber pflegte dort billig zu essen, Schnitzel oder Gulasch und so weiter.

Das zweite Set war ein Haus, angemietet für Aufnahmen mit den Hinterbliebenen. Kuciaks Vater war ein kleiner gesetzter Arbeiter, der den Mund oft zu verbindlichen, aber nie ausgesprochenen Witzen formte. Kušnírovás Mutter war eine raue hagere Blondine, die fortwährend zu weinen schien. Als sie meine Tochter sah, rief sie: „Wir haben auch so eins zu Hause, ein kleineres und ein größeres!“ Unweigerlich begannen die Eltern über den Kinderwunsch ihrer ermordeten Kinder zu sprechen. Mehrmals erwähnten sie, dass Angela Merkel Kuciak, den Vater, zu einem Gespräch empfangen hatte, Stolz und Genugtuung. Die beiden Familien waren in dem Jahr zusammengewachsen. Kušnírová fragte den Nordslowaken Kuciak mit ihrem schweren ostslowakischen Akzent: „Gehn wa auf ’ne Kippe, Jožko?“

Das dritte Set war der SNP-Platz, auf dem 2018 wie auch 1989 die Massendemos stattgefunden hatten. Am Abend ging es ins Tonstudio. Immer wieder stießen auch die jungen Organisatoren der „Anständigen Slowakei“ dazu, meist auf ihre Smartphones schauend, die 20-jährige Karolina Farská auf „Instastories“. Marek Vagovič, der Chef des Aktuality-Investigativ-Teams, sprach folgenden Satz aus: „Heute weiß ich, dass wir naiv waren, als wir dachten, dass Journalisten nicht ermordet werden.“ Jan Kuciaks Vater wiederholte seinen Satz: „Er sagte zu mir, Papa, was fürchtest du dich, bei uns kann so was nicht passieren.“ Ich war unruhig, denn unsere Tochter war unnatürlich matt. Ich trug sie stundenlang herum, ihr Kinn lag auf meiner Schulter, ihre heiße Stirn presste sich in meine Schläfe. Die Eltern der Ermordeten sahen mein krankes Kind ein letztes Mal mit Erbarmen an, dann wurden sie nach Hause in die Provinz gefahren.

Den Film meiner Frau sahen am ersten Tag 100.000 Menschen. Manchen standen Tränen in den Augen. Die Demo zum Jahrestag füllte den SNP-Platz noch einmal. Als Auftraggeber des Doppelmords wird heute Márian Kočner verdächtigt. Der Unternehmer war in jeden Skandal der unabhängigen Slowakei verstrickt, war mit dem ehemaligen Generalstaatsanwalt befreundet und wurde vom aktuellen Generalstaatsanwalt für unschuldig erklärt; er war Ficos Nachbar im von gestohlenem Steuergeld errichteten Luxusbau „Bonaparte“.

Kočner hatte dem jungen Journalisten damit gedroht, ihn zu kompromittieren. Die Polizei schützte Kuciak nicht. Stattdessen suchte ein Polizeichef in der Database der Finanzpolizei kompromittierendes Material gegen Kuciak – wenige Wochen vor seiner Ermordung.

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