Unter Mautmuffeln

Norwegen Eine Partei fühlt sich von den Klimarettern regelrecht gequält – und setzt sich zur Wehr
Ausgabe 39/2019
Der Klimaschutz hat in Norwegen lautstarke Gegner gefunden
Der Klimaschutz hat in Norwegen lautstarke Gegner gefunden

Foto: Berit Roald/AFP/Getty Images

Neulich verfolgte ich das Finale der norwegischen Kommunalwahlen. Das klingt nicht besonders prickelnd, führte aber an eine zentrale Konfliktlinie unserer Zeit: Den klimabedingt aufstrebenden Grünen standen die ebenso aufstrebenden Wutbürger der „Mautpartei“ gegenüber, die gegen die Mautgebühren für Autofahrten in Stadtzentren kämpfen. Die anderen Parteien standen zwischen diesen Polen.

Norwegen ist ein fortschrittliches Land, im Zentrum Oslos sieht man weniger Autos als seinerzeit in Enver Hodschas Albanien. Bergen, die zweitgrößte Stadt, führte ihre City-Maut bereits 1986 ein, als erste Kommune des Landes und vermutlich des gesamten Westens. Die Maut war auf 15 Jahre begrenzt, blieb aber und wurde auf das Zehnfache erhöht. Wer zur Stoßzeit mit einem Diesel ins Zentrum fährt, zahlt etwa fünf Euro, bei mehreren Einfahrten mehrmals am Tag. In der Stadt mit der höchsten Maut hat die Mautpartei den größten Zulauf.

Was sich als „regenreichste Stadt Europas“ bewirbt, liegt zwischen steilen Bergen und schwarzen Zungen des „Ozean“ genannten Meeres. Am Samstag gegen zehn machten die Parteien am „Festplassen“ ihre Wahlcontainer auf, Grüne und Mautgegner nur durch die lethargische Rentnerpartei getrennt. Bei einer Topfpflanze stand eine Grüne aus dem Bilderbuch: Øyunn Kåset, ländliche Blondine mit grünem Strickstirnband, Regionalchefin der Grünen Jugend. Sie giftete mit Blick nach rechts: „Auf der einen Seite haben wir alte Männer, die wegen einer Maut auf ihre Autos heulen, auf der anderen Seite 40.000 Kinder, die wegen ihrer Zukunft heulen.“ Sie gab zu, sie fahre oft mit dem Auto ihrer Eltern zur Arbeit, war aber für eine leichte Erhöhung der Maut.

Ich fuhr mit der einzigen Bergener Bahn zum Einkaufszentrum „Lagunen“. Als ein bulliger Typ zustieg, dachte ich mir: Ist das einer dieser zornigen alten Männer? Kurz darauf wusste ich: Er war es. Trym Aafløy, 56 Jahre alt und Bergener Spitzenkandidat der Mautpartei. Er bevorzugte Bahn und Bus, nach seinem elf Jahre alten Diesel wollte er sich kein Auto mehr kaufen. „Warum ist die Farbe Ihrer Partei Grün?“ – „Weil wir Umweltschützer sind.“ Er sagte das todernst, nur sein linker Nasenflügel grinste. Vergleiche mit den Gelbwesten verbat er sich, „die sind gewalttätig“.

Der grimmige Ex-Manager wohnte getrennt von seiner Familie, hatte früher Weißwein aus Österreich eingeführt und lebte vom Vermieten einer Wohnung. Eine Zukunft als Berufspolitiker im Blick, meinte er, mit dem „Vater des Mautrings“ befreundet zu sein, dem einstigen Chefbeamten der regionalen Straßenverwaltung. Dieser sei zwar nicht bei der Mautpartei, aber mit der Mautpolitik nicht mehr einverstanden.

Warum nicht in Jakarta?

Wir saßen im Einkaufszentrum auf einer Bank, von der wir auf die Stände der Parteien hinunterblickten. Kreisförmig ausholend sagte Aafløy: „Wir kriegen Stimmen von allen.“ Er zeigte auf die Sozialdemokraten: „In der Arbeiterpartei gibt es keine Arbeiter, während unsere Nummer zwei Krankenschwester ist und die Nummer drei ein Drucker.“ Den national mitregierenden Rechtspopulisten warf er vor, die Ausweitung der City-Mauten hingenommen zu haben.

„Und wie finden Sie die Grünen?“ – „Die Grünen sind die größten Lügner von allen.“ Norwegen sei „das sauberste Land der Welt“, jedes zweite Auto Elektro oder Hybrid, der Ausstieg aus Ölheizungen „kostet die Leute eine Menge Geld“, die neuen Ölplattformen stießen 28-mal weniger Kohlendioxid aus, und der Liter Diesel – hier rundete er um 40 Cent auf – „kostet fast zwei Euro“. Seine Frage an die Grünen: „Wenn ihr das Klima retten wollt, warum geht ihr nicht nach Jakarta oder Manila? Warum quält ihr das norwegische Volk?“

Am nächsten Montag wurde gewählt. In Bergen ging das direkte Duell an die Mautpartei. Sie bekam 17 Prozent, die Grünen zehn. Die Sozialdemokraten wurden halbiert, können aber mit Grünen, Linken und Zentristen weiterregieren. Aafløy wollte Verkehrssenator werden. Daraus wird wohl nichts.

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