Von Liebe überschüttet

Adscharien Eine muslimische Region in Georgien christianisiert sich und ist damit erstaunlich erfolgreich. Die Zeiten der Abtrünnigkeit sind vorbei
Ausgabe 09/2014

Als ich ankomme, kenne ich von der Region Adscharien nur die Geschichte des kleinen Diktators Aslan Abaschidse, der in der autonomen georgischen Teilrepublik bis 2004 ein prunksüchtiges Privatregime führte, mit Grenzkontrollen zum Rest Georgiens.

Nun, an der Strandpromenade von Batumi, überwältigen mich ganz andere Eindrücke: Die Winternacht ist wunderbar warm, lange Palmenalleen am Schwarzen Meer, an den Bäumen reife Mandarinen. Und was mir den Mund offen stehen lässt, ist eine Skyline effektvoll beleuchteter Wolkenkratzer. Sheraton, Hilton, Radisson. Gewaltige Casinos, eine nachgebaute Piazza, ein Europäischer Platz mit einer Kopie des Goldenen Dachl in Innsbruck. Eine Statue der Medea, die aus dem nahen Kolchis stammt, mit goldenem Vlies. Ein nackter Neptun, ganz in Gold. Ein „Trump-Tower“ und ein „Babillon-Tower“ sind angekündigt. Der größte Schocker ist ein Turm, der sich nicht anders denn als Phallus beschreiben lässt – grün leuchtend der Schaft und rot glühend die Eichel.

Für wen das alles? Ich übernachte in der Pension eines Adschariers, der seine Sofa-Wohn-Rezeption mit Kruzifixen vollgehängt hat. Erst am nächsten Tag beginne ich zu verstehen. Micheil Saakaschwili, Georgiens einstiger Präsident, vertrieb den kleinen Diktator 2004 nach Moskau und schüttete danach seine ganze Liebe auf die Hauptstadt der Adscharier, die ihre Autonomie einst als Georgier islamischen Glaubens bekommen hatten. Glücksspiel ist in der angrenzenden Türkei verboten, also setzte Batumi auf türkische Touristen und Investoren. Der Alphabetic Tower, den ganz Batumi „Phallus“ nennt, fiel Saakaschwili ein, ebenso der 40-stöckige Wolkenkratzer, von dem hoch oben ein Karussell absteht. Saakaschwili wollte, dass Studenten ihre Pausen in den acht goldenen Gondeln vertändeln. Dabei haben einige Stadtteile Batumis noch nicht einmal Kanalisation.

Ich gehe zum Friseur. Es wird der brutalste Haarschnitt meines Lebens. Ein Jüngling mit schattigem Blick greift sich ein nasses Haarbüschel, reißt an und schneidet im Moment des größten Schmerzes. Es wird auch der schönste Haarschnitt. Die Tifliserin neben mir erzählt, dass in Batumi viele Muslime zum Christentum konvertiert seien, so auch ihr Mann. Ich gehe in die Sauna. Der Masseur erzählt, dass die Touristen-Kasinos die Einheimischen locken; eine Oma habe gar ihre Wohnung verzockt. Ein alter Muslim fährt mich zurück, auch er ein begeisterter Spieler. „Im Islam ist nur Trinken verboten“, antwortet er auf meine Vorhaltung, „Spielen nicht. Naja, trinken tu ich auch.“

Ich fahre ins adscharische Parlament. Es wurde – noch so ein Anfall Saakaschwilis – in den Badeort Tschakwi verlegt. Es empfängt mich ein Saakaschwili-Gegner von der neuen Regierungspartei Georgischer Traum – Parlamentspräsident Avtandil Beridze. Der alte Haudegen, laut, herzlich, aufgekratzt, gibt sich erstaunlich zurückhaltend gegenüber der georgischen Zentrale. Er fände es besser, wenn der adscharische Premier nicht von Tiflis ernannt, sondern von den Adschariern gewählt würde, hat aber dem derzeitigen Premier Adschariens bisher noch nie von der Idee erzählt. Beridze zählt die Vorzüge der Autonomie auf, muss aber zugeben, dass Adscharien bloß um 23 Prozent höhere Einnahmen hat als gewöhnliche georgische Regionen. 62 Millionen Euro Jahresbudget bei 350.000 Einwohnern. Wie will man da die Autonomie ausleben?

Einmal sagt Beridze: „Es gibt nirgends eine Autonomie, die auf Religion gegründet ist. Der Christ nennt den Islam eine Eroberer-Religion – unsere grundlegende Religion ist christlich-orthodox.“ Ich frage ihn: „Aber wozu ist Adscharien dann autonom?“ Beridze: „Wir müssen ein Leuchtturm sein, damit die von Georgien abgespaltenen Abchasier sehen, wie gut es ihnen in Georgien gehen könnte.“

Nun denn, während die islamische Türkei Adscharien ökonomisch übernimmt, angefangen bei den mit kasachischen Prostituierten gefüllten Türken-Puffs an der Grenze, christianisiert sich Adscharien. Wenn ich Adscharier frage, ob sie Muslime sind, reagieren sie meist entrüstet. „Wir gehören zu den ersten Christen“, sagen sie, „Apostel Andreas persönlich hat in Didad-schara eine Kirche gegründet“. Eine irgendwo europäische Region, in der Muslime weniger und Christen mehr werden – das ist einmal etwas Neues. Nur dass Adscharien damit die Rechtfertigung seiner Autonomie verliert.

Martin Leidenfrost schrieb in der Serie zuletzt über die Wahl der „Miss België“

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