Zwischen der US-Bank Goldman Sachs und den Spitzenetagen der EU gab es schon manches Hin und Her, als aber Kommissionspräsident José Manuel Barroso kurz nach Ablauf seines zehnjährigen Mandats zu Goldman Sachs wechselte, ging doch so manche Augenbraue hoch. Immerhin hatte Barroso bei den portugiesischen Maoisten angefangen. Von Mao zu Goldman Sachs, wo gibt’s denn so was?
Die Partei PCTP/MRPP war bis zuletzt eine stete Größe. Sie holte bei Wahlen bis zu 1,7 Prozent und galt als klandestine Kaderpartei. Ich gehe zur Adresse der Parteizentrale, wo auch das Parteiblatt Luta Popular erscheint. Sie befindet sich unterhalb des Lissabonner Quartiers Arroios, dessen Läden und Absteigen ganz in die Hand des indischen Subkontinents übergegangen sind, schräg gegenüber vom bourgeoisen Deckenstuck-Palazzo des posttrotzkistischen Linksblocks, der bei den Parlamentswahlen 2019 zehn Prozent holte. Ein gewöhnlicher Altbau, an den Rundbalkon der ersten Etage sind rote Fahnen gesteckt. Mein Klingeln bleibt unbeantwortet.
Ich fahre in den mondänen Badeort Cascais und setze mich auf die Terrasse des Fünf-Sterne-Hotels Baía. Die Maoistenführer der 1970er brachten es weit, etwa in der Justiz. Ana Gomes (66) war Diplomatin und 2004 bis 2019 EU-Parlamentarierin für die sozialdemokratische PS. Die Ex-Maoistin empfängt mich hier, weil sie in Cascais wohnt. Wie Barroso entstammt sie dem Lissabonner Kleinbürgertum, wie Barroso studierte sie Jura. Von 1972 bis 1976 bewegte sie sich im Kreis der Maoisten, dann aber kam ihr „die Idee einer Revolution verrückt vor. Ich bereue es nicht, es war eine Schule für mich, und links bin ich immer noch.“
Das alte Gerücht, die PCTP/MRPP sei eine Gründung der CIA gewesen, nennt sie „nicht wahr“. Die Säulenheiligen der Partei, die „nie von China anerkannt wurde“, waren Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao. Sie hatte Zulauf, weil Portugals moskautreue KP vielen zu passiv war. Gomes erzählt: „Barroso tauchte erst nach der Nelkenrevolution 1974 auf. Er war sehr streitlustig, sehr militant, extrem radikal. Sein Aufstieg war kometenhaft, er war sofort Chef des marxistisch-leninistischen Studentenbunds.“ Sie bestätigt die Geschichte, wonach Barroso damals Stühle, Schreibtische, Schreibmaschinen aus der Fakultät klaute, mit Freunden in einen Lieferwagen packte und in die maoistische Parteizentrale brachte. Parteichef Arnaldo Matos befahl ihm, das Zeug zurückzubringen. Für Barroso war Gomes eine „Bürokratin“.
Um 1975 herum kam er nicht mehr, er lernte seine Frau aus gutem Hause kennen und pflegte seinen Vater. Zurück in der Politik, heuerte Barroso schnell bei der rechtsliberalen PSD an. „War sein Maoismus echt?“, frage ich Ana Gomes. „Nein. Bei ihm war alles instrumentell, er war eben ambitioniert.“ Um das zu belegen, schildert sie eine Begegnung, bei der ihr Barroso gestand, wie ihn die Machtlosigkeit einer Opposition zur Verzweiflung getrieben habe. „Er sagte, er wolle eines Tages eine Palme in der Mitte eines Schiffes haben“ – nur um zu zeigen, dass er der Chef sei. Dann habe er mit Genugtuung hinzugefügt: „Und jetzt bin ich an der Macht.“ Ana Gomes wirft Barroso Korruption beim Kauf deutscher U-Boote vor. Dabei habe ihm Angela Merkel geholfen. „Was dachten Sie bei seinem Wechsel zu Goldman Sachs?“ – „Ich war nicht überrascht, aber schockiert.“ – „Schämte er sich nicht?“ – „Nein, er schämte sich nicht.“ – „Was ist die PCTP/MRPP heute?“ – Eine wegwerfende Geste: „Die existiert nicht mehr, sie sind konservativ und marginal. Und sie sind arbeitertümelnd.“ – „Aber das ist doch schön!“ – „Ja, nur gibt es keine Arbeiter mehr!“ Hinterher gehe ich an den Strand. Goldener Sand zwischen schwarzen Felsen und der kühlende Atlantik. Das war’s mit dem portugiesischen Maoismus.
Kommentare 5
****!
wer sich in der reserve-elite befindet, will in die wirk-liche macht-elite!
--->wikip.:"elitesoziologie".
Ein besonders unappetitliches Exemplar:
José Manuel Barroso! Er war von 2002 bis 2004 Regierungschef von Portugal. – Als es darum ging, den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Coalition Of The Willing von 2003 gegen den Irak zu organisieren, stand der Portugiese in der ersten Reihe neben George W. Bush und Tony Blair. Genau wie die beiden anderen müsste er eigentlich vor das Haager Kriegsverbrechertribunal gestellt werden – stattdessen kürte man ihn für zwei Amtszeiten (2004 bis 2014) zum Präsidenten der Europäischen Kommission.
Über ihn ist auf SPIEGEL ONLINE zu lesen: »Als das Schiff mit 500 Flüchtlingen an Bord kenterte, als immer mehr Leichen aus dem Mittelmeer gezogen wurden, war Europa schockiert. Der Chef der EU-Kommission flog nach Lampedusa, hielt eine Schweigeminute vor den aufgereihten Särgen ab und versprach, so etwas werde sich nicht wiederholen. 'Wir akzeptieren nicht, dass Tausende an Europas Grenzen sterben', sagte José Manuel Barroso. Das war im Jahr 2013, nach der Katastrophe von Lampedusa.« – Dabei trifft ihn durch seine Mittäterschaft beim völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak Mitschuld an der Zerstörung des Nahen Osten mit Hunderttausenden Toten und Millionen Flüchtlingen.
José Manuel Barroso wurde inzwischen von der US-amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs International als Berater und »Präsident ohne Geschäftsbereich“ angeheuert!
Er werde die Bank bei der Beratung von Kunden unterstützen, die »mit dem herausfordernden und unsicheren wirtschaftlichen Marktumfeld« zurechtkommen müssten, teilten die Co-Chefs von Goldman Sachs International, Michael Sherwood und Richard Gnodde damals mit. "José Manuel bringt eine enorme Erfahrung mit und vor allem ein tiefes Verständnis von Europa.«
Überraschend ist das nicht besonders, wenn man sich anguckt, was aus einigen ehemaligen Funktionären des KBW geworden ist (Ralf Fücks (bei dem ich den Eindruck habe, immer noch Fanatiker unter anderen Vorzeichen zu sein), Joscha Schmierer, Ulla Schmidt, Winfried Kretschmann etc.).
Häufig hat das Geraten auf derlei menschenfeindliche Abwege wohl einfach mit einem gestörten Verhältnis zur Macht zu tun. Da machtbesessene Menschen in aller Regel Opportunisten sind, und sich relativ schnell herauskristallisierte, dass aus den kranken Vorstellungen der Mao-Kommunisten nichts werden kann, hat man sich eben angepasst, und ist heute erbitterter Verfechter des Status quo, von dem man natürlich auch profitiert.
Es sind Elitisten. Hauptsache oben. Und nein, sie sind keine Menschenfeinde. Faschisten sind Menschenfeinde per Definition. KBWler haben einen Kompass, der genau anzeigt wo oben und wo unten ist, und sie glauben wirklich, dass sie verpflichtet sind, stets auf der historisch richtigen Seite zu stehen. Die Feinde des KBW waren immer die Sowjets und dann erst die Kapitalisten. Nachdem die Kapitalisten gewonnen hatten und die KPCh ihre langfristige Machtperspektive ausgerollt hatte, hatten sie hier in Europa eine ganz andere Rolle einzunehmen. Vor allem mussten sie die grüne Partei unter Kontrolle bringen. Das Personal der heutigen Ernst-Bloch-Stiftung war in den 90igern komplett in den USA verwurzelt wo sie Vorträge hielten, Schriften veröffentlichten und auf Empfängen herumgereicht wurden. Wir werden vielleicht noch sehen, auf welche Seite sie sich schlagen werden wenn die USA gegen China in den Krieg zieht. Ich weiß es wirklich nicht, kann mich in diese Leute nicht hineinversetzen. Ich hatte mal in den 80igern einen Ex-KBW-Lehrer, der mich wirklich sehr beeindruckt hat weil er u.a. die baldige Implosion des Ostblocks genau so vorhergesagt hat wie sie dann auch eingetreten ist, und Marxismus beinhaltete bei ihm wirklich verschiedene Perspektiven gerade auch in Bezug auf den Kapitalismus. Belesene Elitisten mit elitären Netzwerken haben bisweilen einen gewissen Wissensvorsprung. Ich finde nur, dass die ergrauten Vertreter dieser deutschen Sekte überhaupt nichts gutes daraus gemacht haben, außer für sich persönlich natürlich.