Von Mao zu Goldman Sachs

Portugal Die Karriere des EU-Spitzenpolitikers José Manuel Barroso war anfangs tiefrot
Ausgabe 43/2020
Kommissionspräsident mit maoistischer Vergangenheit: José Manuel Barroso
Kommissionspräsident mit maoistischer Vergangenheit: José Manuel Barroso

Foto: Patricia de Melo Moreira/AFP/Getty Images

Zwischen der US-Bank Goldman Sachs und den Spitzenetagen der EU gab es schon manches Hin und Her, als aber Kommissionspräsident José Manuel Barroso kurz nach Ablauf seines zehnjährigen Mandats zu Goldman Sachs wechselte, ging doch so manche Augenbraue hoch. Immerhin hatte Barroso bei den portugiesischen Maoisten angefangen. Von Mao zu Goldman Sachs, wo gibt’s denn so was?

Die Partei PCTP/MRPP war bis zuletzt eine stete Größe. Sie holte bei Wahlen bis zu 1,7 Prozent und galt als klandestine Kaderpartei. Ich gehe zur Adresse der Parteizentrale, wo auch das Parteiblatt Luta Popular erscheint. Sie befindet sich unterhalb des Lissabonner Quartiers Arroios, dessen Läden und Absteigen ganz in die Hand des indischen Subkontinents übergegangen sind, schräg gegenüber vom bourgeoisen Deckenstuck-Palazzo des posttrotzkistischen Linksblocks, der bei den Parlamentswahlen 2019 zehn Prozent holte. Ein gewöhnlicher Altbau, an den Rundbalkon der ersten Etage sind rote Fahnen gesteckt. Mein Klingeln bleibt unbeantwortet.

Ich fahre in den mondänen Badeort Cascais und setze mich auf die Terrasse des Fünf-Sterne-Hotels Baía. Die Maoistenführer der 1970er brachten es weit, etwa in der Justiz. Ana Gomes (66) war Diplomatin und 2004 bis 2019 EU-Parlamentarierin für die sozialdemokratische PS. Die Ex-Maoistin empfängt mich hier, weil sie in Cascais wohnt. Wie Barroso entstammt sie dem Lissabonner Kleinbürgertum, wie Barroso studierte sie Jura. Von 1972 bis 1976 bewegte sie sich im Kreis der Maoisten, dann aber kam ihr „die Idee einer Revolution verrückt vor. Ich bereue es nicht, es war eine Schule für mich, und links bin ich immer noch.“

Das alte Gerücht, die PCTP/MRPP sei eine Gründung der CIA gewesen, nennt sie „nicht wahr“. Die Säulenheiligen der Partei, die „nie von China anerkannt wurde“, waren Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao. Sie hatte Zulauf, weil Portugals moskautreue KP vielen zu passiv war. Gomes erzählt: „Barroso tauchte erst nach der Nelkenrevolution 1974 auf. Er war sehr streitlustig, sehr militant, extrem radikal. Sein Aufstieg war kometenhaft, er war sofort Chef des marxistisch-leninistischen Studentenbunds.“ Sie bestätigt die Geschichte, wonach Barroso damals Stühle, Schreibtische, Schreibmaschinen aus der Fakultät klaute, mit Freunden in einen Lieferwagen packte und in die maoistische Parteizentrale brachte. Parteichef Arnaldo Matos befahl ihm, das Zeug zurückzubringen. Für Barroso war Gomes eine „Bürokratin“.

Um 1975 herum kam er nicht mehr, er lernte seine Frau aus gutem Hause kennen und pflegte seinen Vater. Zurück in der Politik, heuerte Barroso schnell bei der rechtsliberalen PSD an. „War sein Maoismus echt?“, frage ich Ana Gomes. „Nein. Bei ihm war alles instrumentell, er war eben ambitioniert.“ Um das zu belegen, schildert sie eine Begegnung, bei der ihr Barroso gestand, wie ihn die Machtlosigkeit einer Opposition zur Verzweiflung getrieben habe. „Er sagte, er wolle eines Tages eine Palme in der Mitte eines Schiffes haben“ – nur um zu zeigen, dass er der Chef sei. Dann habe er mit Genugtuung hinzugefügt: „Und jetzt bin ich an der Macht.“ Ana Gomes wirft Barroso Korruption beim Kauf deutscher U-Boote vor. Dabei habe ihm Angela Merkel geholfen. „Was dachten Sie bei seinem Wechsel zu Goldman Sachs?“ – „Ich war nicht überrascht, aber schockiert.“ – „Schämte er sich nicht?“ – „Nein, er schämte sich nicht.“ – „Was ist die PCTP/MRPP heute?“ – Eine wegwerfende Geste: „Die existiert nicht mehr, sie sind konservativ und marginal. Und sie sind arbeitertümelnd.“ – „Aber das ist doch schön!“ – „Ja, nur gibt es keine Arbeiter mehr!“ Hinterher gehe ich an den Strand. Goldener Sand zwischen schwarzen Felsen und der kühlende Atlantik. Das war’s mit dem portugiesischen Maoismus.

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