Mehr als ein Europawahljahr ist 2014 das Jahr der Abspaltungen, der Referenden, des Separatismus. Gagausien, die Krim, Venetien, dazu die innere Zerrüttung von Bosnien oder Belgien. Im Herbst stehen Unabhängigkeitsreferenden in Schottland und Katalonien an. Nicht zu vergessen die Spannungen zwischen Moldawien und dem abtrünnigen Transnistrien. Würde man mich fragen, wo in Europa sich unbemerkt das nächste Unglück zusammenbraut, dann tippe ich auf das Szeklerland. Die mehrheitlich ungarische Sprachinsel in der Mitte Rumäniens fordert Autonomie. Rumänien, der wohl zentralistischste Staat der EU, plant zwar die Schaffung von „Regionen“. Die Szekler – einst als Wehrbauern in den Ostkarpaten angesiedelt – werden aber in keinem der Pläne berücksichtigt.
Vorläufig ist das ein Wettrüsten der Fahnen, Tafeln und Büsten. Ein rumänischer Präfekt ließ die Szekler-Fahne abnehmen, darauf gab es Geschimpfe zwischen Bukarest und Budapest. Der ungarische Staat steuerte eine Unzahl auftrumpfend beflaggter Konsulatsgebäude und Kulturinstitutionen bei. Die rumänische Seite legte 2013 einen Weltrekord drauf: Dan Voiculescu, TV-Mogul und Politiker mit Securitate-Vergangenheit, ließ sieben Hektar blau-gelb-rote Trikolore ausrollen, die größte Fahne der Welt.
Vorbild Südtirol
Ich gehe zu einer szenischen Lesung. Die neue Komödie des jungen Dramatikers Székely Csaba gipfelt in einem Streit darüber, wer angefangen hat mit dem „Töten von Frauen, Kindern und Blinden“. Die „verlausten Mamaliga-Fresser“, also die Rumänen? Oder die „nach Pferd stinkenden Barbaren ohne Land“? Gefragt, wie seine Freunde in der einzigen Szekler-Großstadt Târgu Mureș reagieren, lächelt der schüchterne Hüne: „Manche fragen, warum ausgerechnet der rumänische Polizist die einzige positive Figur ist.“
Am Tag nachdem im März 100.000 Szekler für Autonomie marschiert sind, suche ich den Organisator auf. Ferencz Csaba, Vizeobmann des Vereins „Szekler-Nationalrat“, ein verschmitzter Journalist mit einem sehr ungarischen Schnauzer. Ich spreche das ungelöste Rätsel an, woher die Szekler seinerzeit gekommen waren. Sind sie nicht ein magyarisiertes Turkvolk? „Die Szekler sind ein ungarischer Stamm“, antwortet Csaba, „wir hatten Selbstverwaltung mit einer militärischen Identität. Wir zahlten keine Steuern – unsere Steuer war unser Blut“. Csaba will eine territoriale Autonomie, von der auch die 200.000 Rumänen des Szeklerlandes profitieren könnten; jede Gemeinde soll in einem Referendum über ihre Zugehörigkeit entscheiden. „Unser Vorbild ist Südtirol.“
Ich spreche mit den Szeklern Rumänisch. Da sie lange nach Worten suchen, geben sie für einen Anfänger ideale Konversationspartner ab. Nur gewisse rumänische Worte fallen ihnen nicht ein, Vokabeln wie „Verfassung“ oder „Steuern“. Alle beteuern, dass Autonomie nicht Abspaltung bedeutet. Der Trafikant von Târgu Secuiesc kommt gelegentlich nach Ungarn. Eine Vereinigung will er nicht, denn „Ungarn ist auch nur zu 40 Prozent ungarisch, es ist voller Russen“. Die Großungarn-Karte, die er in der Auslage anbietet, sei „nur Geschichte, nicht Politik“.
Ich setze mich nebenan in eine der zahllosen Café-Konditoreien, die man in den rumänisch besiedelten Regionen Rumäniens kaum findet, und betrachte die Physiognomien der Szekler. Auf dem Platz vor dem Café hängen mehrere Szekler-Fahnen, blau-silber glänzend, als wären sie einem Märchenfilm entsprungen. An Regentagen kommt mir die These von den Turkvölkern der Petschenegen oder Kumanen einleuchtend vor. Die Konditorinnen gesellen sich zu mir. Sie bestreiten, dass der Szekler-Dialekt viele Lehnwörter aus dem Türkischen habe. Ansonsten reden sie mehr über das schlechte Geschäft als über Autonomie.
Eine rumänische Auto-Stopperin, mit der ich ins Gespräch komme, und die unter Szeklern lebt, kommt gut mit ihnen aus. „Sie hängen an ungarischen Festtagen die ungarische Fahne raus, an rumänischen Feiertagen wagen sie das nicht. Sie sagen nichts, aber ich weiß, was sie denken – sie wollen Unabhängigkeit.“
Brüsseler Gouvernante
Das Szeklerland quillt über von Szekler-Literatur, in ungarischer Sprache. Ich frage in sieben Buchhandlungen, ob sie nicht auch ein Buch auf Rumänisch über die Szekler hätten. Sie haben kein einziges. Dabei verstanden sich Szekler und Rumänen nicht immer schlecht. Als Kaiser Joseph II. den Szeklern ihre Privilegien im Salzabbau strich, rächten sich diese, indem sie Salz aus Altrumänien ins Habsburger Reich schmuggelten. Auf diese Freiheitstradition könnten auch Rumänen stolz sein.
Die Regionalisierung Rumäniens – allein zur besseren Abschöpfung von EU-Geldern gedacht – dümpelt einstweilen dahin. Ursprünglich wollte Bukarest mit Beginn der EU-Haushaltsperiode 2014-2020 Regionen als Fördergebiete geltend machen. Nachdem die Frist verpasst wurde, ist zu hören, dass sich dieses Jahr gewiss nichts mehr bewegt. Widerstand kommt von allen Seiten. Der im Herbst abtretende rechtsnationale Präsident Traian Băsescu sagt, er halte es für einen Fehler, Regionen von oben nach unten zu schaffen, trägt aber ansonsten nichts zu einer Diskussion von unten bei. Die Fantasien, Moldawien an Rumänien anzuschließen, beschäftigten ihn mehr.
Die Politiker in Bukarest zitieren gern die EU-Richtlinie 1054/2001, wonach eine Region zwischen 800.000 und drei Millionen Einwohner zählen soll. Da trifft es sich gut, dass die Szekler ohne das halbrumänische Târgu Mureș nur 700.000 sind. Rumänien hat starke historische Regionen, das Szeklerland selbst bildet den Ostteil Siebenbürgens, einer europäischen Region par excellence. Sooft die Bukarester Regionalisierungskommission jedoch Landkarten zur Ansicht bringt, spuckt sie künstliche Gebilde aus. Man verschneidet das Banat mit Teilen Siebenbürgens, die Dobrudscha mit Teilen der Walachei. Zu allem Überdruss will man die Regionen nach Himmelsrichtungen benennen. Damit sich nur ja niemand in seiner Region zuhause fühlt.
Der Widerwille gegenüber der Regionalisierung ist kulturell erklärbar. Rumänen oder Ukrainer aller Lager gehen auf die Palme, wenn die wohlmeinende Brüsseler Gouvernante „Föderalismus“ oder „Föderalisierung“ einklagen will. Viele verstehen darunter den Zerfall des Landes. So kommt es, dass ukrainische Präsidenten selbst in Verwaltungsgebieten, in denen sie von 90 Prozent der Wähler abgelehnt werden, den Gouverneur einsetzen dürfen, ohne das Gebietsparlament auch nur zu konsultieren. So kommt es, dass den rumänischen Departements („Județe“) die Präfekten von Bukarest oktroyiert werden. Und die Polizisten, wie Székely Csaba humoristisch demonstriert, gleich mit.
Die verheerende Wirkung solch zusammengeschusterter Regionen zeigt die Slowakei. Da dort wie auch in Rumänien eine bedeutende ungarische Minderheit lebt, eignet sich das Land hervorragend als übles Vorbild. Um in keiner Region auch nur ansatzweise eine ungarische Mehrheit zu bekommen, wurden die „Höheren Gebietseinheiten“ der Slowakei in absurde Proportionen geschnitten. Das Ergebnis ist, dass diese Regionen nicht die geringste Akzeptanz finden, und die Wahlbeteiligung bei Regionalwahlen um die 20 Prozent herumkrebst. Beim jüngsten Votum dieser Art war das Ergebnis, dass der sortenreine Neonazi Marian Kotleba zum Regionalpräsidenten von Banská Bystrica gewählt wurde. Hinterher rieben sich alle die Augen, man begann eine Diskussion über die Abschaffung der „überflüssigen“ Regionen. Rumänien geht diesen Weg. Das Unglück nimmt seinen geordneten Lauf.
Martin Leidenfrost schrieb in seiner Serie zuletzt über die Begegnung mit einer hypnotisierenden Hose in Brüssel
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