Die neue Konfliktlinie begann sich im Sommer abzuzeichnen. Da lernte der Präsident des kleinen autonomen Landstrichs Gagausien den nationalkonservativen ungarischen Premier Viktor Orbán kennen. Südöstliche EU-Freunde argwöhnten sogleich: Tun sich da zwei Separatisten zusammen, der „Baschkan“ genannte Gagausen-Leader aus der südmoldawischen Steppe und der Schutzherr der ungarischen Szekler in den rumänischen Ostkarpaten?
Inzwischen nimmt die Achse Moskau-Gagausien-Budapest Formen an. Orbán schloss einen umfassenden AKW-Vertrag mit Russland, und Gagausien rief für den 2. Februar ein Referendum aus, das von der moldawischen Justiz umgehend untersagt wurde. Der Auslöser des Konflikts ist derselbe, der die angrenzende Ukraine an den R
e an den Rand des Bürgerkriegs brachte – die Assoziierung Moldawiens mit der EU. Die pro-europäische Regierung – sie könnte die Parlamentswahl im Herbst verlieren – will die Ratifizierung des EU-Vertrages vorher noch abschließen. Gagausien hält dagegen. Deshalb sollte das Referendum das verbürgte Recht Gagausiens auf Abspaltung bekräftigen, falls Moldawien seine Unabhängigkeit verliert. Demonstrationen, Aufregung, erschrocken eilten die moldawischen Regierungsspitzen und EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle herbei.Lenin in ComratAuch ich suchte den „Baschkan“ auf. Ich kenne Gagausien seit zehn Jahren als einen staubigen Flickenteppich aus drei Kleinstädten und 27 Dörfern. Die 150.000 Autonomie-Gagausen sind ein versprengtes Turkvolk, mit einer dem Türkischen sehr verwandten Sprache, nur dass sie orthodoxe Christen sind. So manche Gagausin lässt ein nie zu klein geratenes Kreuz in ihrem Dekolleté baumeln. Gagausien ist seit 1994 autonom, die moldawische Zentrale begann die Autonomie aber rasch zu vernachlässigen. Die Gagausen nehmen gern Zuwendungen aus der Türkei, geben sich aber sonst einer Amour Fou mit der russischen Sprache hin.Vor der Autonomiebehörde in Comrat steht ein Lenin, das Innere des Amts ist stylish. An Baschkan Mihail Formuzal beeindruckt mich nicht nur, dass er mir um neun Uhr morgens Cognac anbietet. Der frühere Berufsoffizier ist eine Schönheit von Mann, elegant, selbstbewusst, gewandt. Seine zweite Amtszeit geht bald zu Ende, er strebt in die moldawische Politik. Er arbeitet an der „Staatlichkeit“ seines „Staates im Staat“ und meint, „die Welt braucht ein solches Modell“. Man könnte zwischendurch vergessen, dass der gesamte gagausische Haushalt gerade einmal 30 Millionen Dollar beträgt. Wenn wir Formuzals Reibereien mit dem gagausischen Parlament erörtern, dann geht es in einem Bau von der Größe des Eberswalder Rathauses um 3. Stock gegen 2. Stock.Formuzal lehnt Moldawiens EU-Assoziierung ab und ist für die Zollunion mit Russland. Wegen des billigen Gases, „das hat mit Politik nichts zu tun“. Separatist sei er keiner. „Ich bin der größte Moldawier. Aber wenn sich Moldawienmit Rumänien vereinigt, dann erklärt sich Gagausien für unabhängig.“Adidas-Sozialist in AufregungDieser Staatsmann bereitet mir einen herrlichen Vormittag. Er überhäuft mich mit Büchern, darunter einem über Stalins künstliche Hungersnot von 1946/47. Formuzals Vater verlor dabei drei Brüder. „Wir beschuldigen aber niemanden“, sagt er. Das gagausische Volk habe aus zwei Gründen überlebt, „wegen des orthodoxen Glaubens und der russischen Sprache, die für uns eine Art Schutzschirm war“.Ich wechsle in die gesetzgebende Gewalt hinunter. Der Baschkan nennt den Parlamentspräsidenten einen „Kolchosnik“. Nach wenigen Minuten muss ich dem 3. Stock recht geben: Dmitrij Konstantinow redet sich mit hoch krächzender Stimme in geopolitische Konfusion. Ich frage den Parlamentspräsidenten daher lieber nach seinen 120 Hektar Rebflächen, die wie der gesamte Weinbau Moldawiens von einem Embargo Russlands betroffen sind. Über den Wein kriege ich seine Weltanschauung heraus. „Wenn wir unseren Wein nach Europa verkaufen wollen“, sagt er, „wird es noch schlimmer. Die russische Mentalität kennen wir wenigstens.“Am Tisch sitzt noch ein Typ in einem Trainingsanzug. Ich halte ihn zunächst für einen Bittsteller, doch dann springt der Typ herum und brüllt: „Wenn die Moldawier uns weiter erniedrigen, dann sind wir bereit. Wir können auch schießen.“ Der Typ, Betreiber von acht Tankstellen, erweist sich als Abgeordneter des gagausischen Parlaments. Konstantinow nach dem Abgang des Adidas-Sozialisten: „Und das ist nicht unser leidenschaftlichster Abgeordneter.“Ach ja, und was besprach der Baschkan mit Viktor Orbán? „Über die Szekler haben wir nicht gesprochen. Ich habe ihn gebeten, mir eine Partnerregion in Ungarn zu bestimmen. Orbán gefällt mir. Er betreibt Politik im Interesse seines Volkes.“