„Wir werden das ändern“

Kosovo Mit progressiv gefärbtem Nationalismus will die Partei „Selbstbestimmung!“ am 14. Februar gewinnen
Ausgabe 05/2021
Unterstützer der Vetëvendosje-Partei feiern ihren Wahlsieg in Pristina, 2019
Unterstützer der Vetëvendosje-Partei feiern ihren Wahlsieg in Pristina, 2019

Foto: Armend Nimani/AFP/Getty Images

Lëvizja Vetëvendosje!, die kosovoalbanische Bewegung „Selbstbestimmung!“, hält sich an den Schlüsselbegriff Souveränität. Sie trug 2007 die Proteste gegen eine eingeschränkte Souveränität, wie sie der Plan des finnischen Diplomaten Martti Ahtisaari vorsah. 2015 und 2018 nebelte sie das Parlament mit Tränengas ein, zuletzt richtete sich ihr antikolonialer Impetus gegen die Gutsherrenart der Großmacht USA, die diesen Staat mit ihren Bomben schuf. Andererseits ist „Vetëvendosje!“ auch eine junge Graswurzelbewegung. Als Partei gewann sie bereits die Wahl am 6. Oktober 2019 mit 26 Prozent, regieren durfte ihr Anführer Albin Kurti aber nur bis zum 25. März 2020. Als er sich sträubte, einen Corona-Notstand auszurufen, wurde er durch eine Intrige korrupter UÇK-Warlords gestürzt. Bei der vom Verfassungsgericht angeordneten Neuwahl am 14. Februar darf Kurti selbst zwar nicht kandidieren, bei Umfragewerten von mehr als 40 Prozent wird „Selbstbestimmung!“ aber kaum von der Macht fernzuhalten sein.

Ich fahre nach Mitrovica. Sowohl die albanische als auch die serbische Stadtgemeinde sind als Corona-Hochrisikozone eingestuft. Während der zusätzlich mobilisierenden Vorwahlen von „Selbstbestimmung!“ scheint die gesamte albanische Jugend dem nüchtern schäbigen Parteilokal zuzustreben. Schwarz-Weiß-Porträts von Märtyrern erinnern ein wenig an Nordirland. Bis auf eine reifere Dame sind alle jung und gehen aufgekratzt umher. Als zwei herausgeputzte Personen eintreten, werden sie ehrerbietig umringt. Beide kandidieren mit guten Chancen. Vor der blutroten Albanienfahne interviewe ich Arjeta Fejzan, noch keine 30. Sie lehrt an der Hochschule Philosophie und Logik. Er, Armend Muja, um die 40 und Master in Political Economy, arbeitet für die UNO. Beide legen in akademischem Englisch Bekenntnisse ab, zu einer „raschen EU-Integration“, zum Kosovo als der „am wenigsten xenophoben Gesellschaft des Westbalkans“. Ihren Staat nennen sie nicht gescheitert, sondern „gekidnappt“. Albin Kurti, so Muja, habe vor langer Zeit zu ihm gesagt: „Ich bin so liberal wie du, aber wenn die Dezentralisierung kommt, werden die Serben ihre Strukturen schaffen. Sie wollen nicht ihre Rechte, sie wollen ihr Territorium.“ Heute meint Muja, dass Kurti recht hatte und er unrecht. „In Serbien sehen sie die Welt anhand ethnischer Trennlinien.“ – „Sie nicht?“, frage ich – „Natürlich nicht!“

Sie haben Frauenquoten

Beide verteidigen die Tränengasattacken uneingeschränkt. Er: „Manche Kreise in Europa und Serbien wollen eine mittelalterliche Teilung des Kosovo, wir wollen das nicht.“ Arjeta Fejzan zählte schon mit 23 zur zentralen Parteileitung und stimmte dort für das Tränengas: „Das war notwendig.“ Er lehnt die Zuschreibung „Linksnationalismus“ für „Vetëvendosje!“ ab, „das ist ein Etikett, das uns unsere Gegner aufgedrückt haben“. Sie betont die Fortschrittlichkeit beim „Gender-Thema“: „Wir haben eine Frauenquote von 30 Prozent, auf unserer Kandidatenliste sogar 40 Prozent.“

Ich frage sie noch nach dem serbischen Mitrovica am Nordufer des Ibar. Armend Mujas Schwester lebt im Norden, „auf der Straße spricht sie aber nicht Albanisch“. Arjeta Fejzan hat Freunde drüben, „ich gehe jede Woche rüber, aber da ist immer ein Gefühl von Unsicherheit“. Sie wundern sich, dass ich im Norden übernachte, das sei doch ein Ort zum Fürchten. Als wir fertig sind, setzen sie ihre Stoffmasken auf. Nanu, warum jetzt? – „Weil wir rausgehen.“ – „Aha, bei uns ist das umgekehrt, drinnen Maske, draußen nicht.“ – „Ja, hier ist vieles verkehrt. Wir werden das ändern.“

Ich wandere durch die geteilte Stadt. Mir fällt auf, dass in den früher klar männlich dominierten Albaner-Cafés mehr Frauen sitzen. An diesem Tag wird die Sperrstunde der Lokale auf 21 Uhr verlängert. Und damit genug Zeit bleibt, um auf den weder hüben noch drüben vom Eis befreiten Trottoirs ins Bett zu rutschen, beginnt die Ausgangssperre erst 30 Minuten später. In Mitrovicas Kneipen ist wieder Partystimmung wie zu Silvester.

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