Von einem Skandal zum nächsten

Korruption Vor viereinhalb Jahren wurde die Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia ermordet. Warum können skandalöse Zustände, die dies ermöglichen, der regierenden Labour Party nichts anhaben?
Ausgabe 13/2022
Demonstration anlässlich der Ermordung der Journalistin Daphne Caruana Galizia in Valletta, Malta, 2019
Demonstration anlässlich der Ermordung der Journalistin Daphne Caruana Galizia in Valletta, Malta, 2019

Foto: Stringer/AFP/Getty Images

Aus der Enge des sandfarbenen maltesischen Großstadtdschungels trete ich in die weitläufige Hotellobby, in der Corinne Vella Journalisten empfängt. Während des Gesprächs behält die sanfte feingliedrige Dame stets durchlaufende Businesstypen im Auge: „Ich scanne immer.“ Corinne ist die Schwester der am 16. Oktober 2017 ermordeten Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia. Als Journalist, der lange in der Slowakei lebte, habe ich nur eine Frage: Nach dem vergleichbaren Mord am slowakischen Journalisten Ján Kuciak 2018 dauerte es drei Wochen, bis dort der Ministerpräsident zurücktrat, in Malta mehr als zwei Jahre. Und während die Slowakei-Wahl von 2020 korrupte Politiker aus dem Amt fegte, gewann Maltas Labour Party 2017 trotz Panama-Papers-Verstrickung mit dem Versprechen einer endlosen Party (Slogan: „The best time“) Stimmen dazu – und fuhr bei der Parlamentswahl am 26. März erneut eine Mehrheit ein. Wieso hat sich in Malta institutionell nichts geändert?

Corinne presst die Augen zusammen. Malteser hätten sich an „einen Skandal nach dem anderen“ und an „totale Straflosigkeit“ gewöhnt. „Das ist wie mit dem Regen in Nordeuropa, da kannst du nichts machen.“ Sie geht noch weiter und führt „anthropologische Gründe“ an: Das Inselvolk, das eine arabische Sprache mit stark sizilianischem Wortschatz spricht, praktiziere „amoralischen Familialismus“. Der Maßstab des Handelns sei nicht Gut oder Böse, sondern: „Nützt es mir, meiner Familie, dem Clan?“ Auch die zwei Großparteien seien Clans, denen Maltas Familien lebenslang loyal blieben. „Da sich Malta nicht selbst ernähren konnte, nahm man sich von jedem vorbeifahrenden Frachtschiff, was man brauchte.“ Die Clans arbeiten laut Corinne mit modernen Methoden. Als ihre Schwester Daphne noch lebte, wurde eine Top-PR-Agentur damit beauftragt, sie in Brüssel als „russische Spionin“ anzuschwärzen. Als sie tot war, wurde im Internet ihr eigener Sohn des Mordes beschuldigt.

Ich frage sie, wie sie es aushält, mit solchen Verhältnisse auszukommen Zwar verließen Daphnes Angehörige die Insel nach dem Mord für wenige Monate, doch stellt Corinne die Gegenfrage: „Warum sollte ich gehen?“ Ein bisschen versucht sie, Labour-Wähler zu rechtfertigen: Wegen der Partei-Clan-Struktur der Medien wüssten diese nicht alles, auch hätten manche immerhin ein ungutes Gefühl und würden weniger belastete Labour-Bewerber ankreuzen. Sie zeigt mir einen Blog aus Daphnes Todesjahr, in dem die kompromisslose Schwester mit dem Dritte-Welt-Verhalten der Malteser abrechnete. Corinne hat sich nun zusammen mit Daphnes Sohn Matthew, einem Investigativreporter, der Daphne-Stiftung gewidmet. Derzeit kämpft sie gegen den von Labour aufgezogenen Handel mit „Goldenen Pässen“. Daraus sei eine Branche mit über einer Milliarde Euro Umsatz geworden. „37 Prozent der Passkäufer waren Russen, Hunderte haben gekauft.“ Der Staat, private Vermittler, Immobilienentwickler, wohltätige Stiftungen – alle würden mitverdienen. Nun aber wurde der Druck aus Brüssel übermächtig.

Daphne Caruana Galizias Tod

Labour fand eine „maltesische Lösung“: Russen dürfen keine Pässe mehr kaufen, Chinesen und Saudis weiterhin gern. Bei der Aufnahme ukrainischer Kriegsvertriebener verhält sich kaum eine EU-Regierung so wie die maltesische: Corinne weist mich darauf hin, dass die Ukraine unverändert auf Maltas „dunkelroter“ Covid-Liste steht. Diese umfasst keineswegs Länder mit dem höchsten Infektionsrisiko, sondern die ärmsten Outcasts der Staatengemeinschaft, von A wie Afghanistan bis Z wie Zimbabwe. Dunkelrot heißt, dass Ukrainer nur mit Sondergenehmigung nach Malta dürfen.

Ich begleite Corinne hinaus zu Springbrunnen, bei denen sie an wärmeren Tagen abhörsichere Gespräche führt. Ich frage sie, wer von den beiden die große Schwester war. Sie antwortet: „Ich bin die Jüngere.“ Und verbessert sich: „Da Daphne nun schon viereinhalb Jahre tot ist, bin ich inzwischen die Ältere.“

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