Der andere Krieg der Bilder

30 Jahre Greenpeace Über das bewegte Leben des Fotografen Rex Weyler, der bei der ersten Kampagne dabei war

Vancouver an der kanadischen Pazifikküste. Im Jahr 1975 sticht hier eine Hand voll Öko-Aktivisten mit einem alten Fischkutter und mehreren Schnellbooten in See. Ihr Ziel: dem kommerziellen Walfang den Kampf anzusagen. Das Ergebnis: eine der medial wirksamsten Aktionen der Welt, die Greenpeace-Kampagne "Rettet die Wale". Ein Besuch bei Greenpeace-Gründer Rex Weyler.

Die langen Haare flattern im Wind. Wellen peitschen hoch. Das kleine Schnellboot mit zwei Hippies an Bord hält direkt auf drei russische Walfangschiffe zu. Doch was heißt schon Schiffe? Riesenhafte metallene Festungen sind es, die sich vor dem Schlauchboot auftürmen. Schwimmende Todesfabriken, ausgestattet mit schwerem Geschütz, um massenhaft Wale abzuschlachten. Die Harpunen-Kanonen der Waljäger donnern ohrenbetäubend. Unnötig zu erwähnen, dass deren Pfeile auch für Menschen tödlich sein können.

Einer der beiden Hippies auf dem Boot heißt Rex Weyler, ein Amerikaner mit familiären Wurzeln im Schwarzwald. Ein Friedens- und Umweltaktivist, der wenige Jahre zuvor als Vietnam-Kriegsdienstverweigerer vor dem FBI ins kanadische Exil geflohen war. Noch heute lebt der inzwischen 58-Jährige in Vancouver, jener multikulturellen Metropole an der kanadischen Westküste, in der vor mehr als drei Jahrzehnten eine Organisation ins Leben gerufen wurde, die in erstaunlich kurzer Zeit zur weltweit bekanntesten Öko-Marke aufsteigen konnte: Greenpeace - quasi das Coca-Cola der Umweltbewegungen.

Weylers Haus steht etwas von der Straße zurückversetzt, der Eingang liegt hinter Bäumen und Büschen versteckt. Innen erinnert die Wohnung an die Bude eines Langzeitstudenten: Nichts passt zusammen und doch ergibt alles irgendwie ein Gesamtbild. Überall sind Bücher verteilt. Eine altmodische, dunkelgrüne Polstergarnitur und ein kleiner Wohnzimmertisch, Möbel, die man wahrscheinlich in IKEA-Katalogen der siebziger Jahre finden konnte, bilden das Herz des Wohnzimmers. Über dem Regal hängt eine Indianermaske, daneben steht eine kleine Buddha-Statue, flankiert von einem Gefäß mit Ethno-Schmuck. Der Kaffee wird stilecht in schweren, wahrscheinlich selbst getöpferten Tontassen serviert.

Rex Weyler ist einer der letzten überlebenden Gründungsmitglieder von Greenpeace International. Jener legendären Truppe aus Journalisten, Hippies, Wissenschaftlern und Friedensaktivisten, die sich Anfang der 1970er Jahre anschickte, die Welt zu verändern. David McTaggart, der raubeinige Langzeit-Präsident ist 2001 gestorben. Bob Hunter, der charismatische Gründungsdirektor, erlag im Mai dieses Jahres einem Krebsleiden. Vor allem Hunters Tod hat Weyler tief getroffen. Die beiden waren enge Freunde gewesen, seit sie vor genau 30 Jahren an Bord der ersten Walfang-Kampagne alle Höhen und Tiefen einer Greenpeace-Aktion durchlebt hatten. Hunter als Boss, Weyler als Fotograf. Zwei Regenbogen-Krieger auf gemeinsamer Mission.

"Wir fuhren direkt zwischen die Wale und die Harpuniere - unsere Schnellboote sprangen über die Wellen und wir mussten uns an Seilen festklammern, damit es uns nicht von Bord warf." Weyler setzt sich in seinem altmodischen Sessel auf, während er spricht. "Die Explosionen der Harpunen-Kanonen war so laut, dass wir uns die Ohren zuhalten mussten. Es war die Hölle auf Erden. Doch als ich durch die Linse blickte, hatte ich exakt das Bild vor Augen, das wir seit drei Jahren gesucht hatten: den Rücken eines Wals, in dem eine tödliche Harpune steckte."

Sein Zeigefinger deutet auf eines der großen Schwarzweiß-Bilder, die auf dem kleinen Wohnzimmertisch ausgebreitet liegen. "Ich drückte mehrfach den Auslöser, dann starrte ich auf Bob. Er schaute mir mit finsterem Blick direkt in die Augen und hob dann seine geballte Faust." Mission erfüllt! Greenpeace hatte, was es so dringend für seine weltweite Wal-Kampagne benötigte: Emotionale Bilder, die für sich alleine sprachen. Fotos, die als Beweisstücke in einem weltweiten Krieg dienten. "Mindbombs", die in den Köpfen der Zeitungsleser und Fernsehzuschauer zündeten.

Der Begriff "Mindbombs", am ehesten vielleicht mit "Gedankenbomben" zu übersetzen, stammt von Bob Hunter. Inspiriert von den medientheoretischen Schriften seines kanadischen Landsmanns Marshall McLuhan, plädierte Hunter für die Übernahme von Techniken und Taktiken moderner Werbung und Markenkommunikation ins Feld der neuen sozialen Bewegungen. Wenn Konzerne und Produkte erfolgreich Kampagnen entwickeln konnten, um in das Bewusstsein der Menschen vorzudringen - warum sollte das nicht auch der Öko-Bewegung gelingen?

"Sicher, es gab Diskussionen. Einige warfen uns Manipulation vor. Doch Bob wurde nicht müde, zu betonen, dass es darum gehen musste, der breiten Öffentlichkeit eine ökologische Erfahrung zu ermöglichen", erläutert Weyler, der sich als erster Kommunikationsdirektor von Greenpeace den Ruf eines mit allen Wassern gewaschenen Medien-Profis erwarb. Anschließend arbeitete er als Journalist und wurde 1982 sogar für den Pulitzer-Preis nominiert. "Zahlreiche Wissenschaftler hatten zig Belege und Argumente gegen Atombombentests und gegen den industriellen Walfang vorgebracht, doch kaum jemand hatte ihnen zugehört. Einfach deshalb, weil das, was sie sagten, viel zu kompliziert war. Daran mussten wir etwas ändern."

Und hier kommen Hunters "Mindbombs" ins Spiel: Einfache Bilder für komplexe Zusammenhänge, die durch die Medien transportiert werden und in den Köpfen der Leute eine emotionale Wirkung entfalten - explodieren. Das Ganze in das Korsett einer internationalen Kampagne gepackt, umrahmt von griffigen Slogans und später sogar eigenen Merchandising-Produkten. Man denke an die hunderttausendfach verkauften Aufkleber, Poster oder T-Shirts, auf denen auch hierzulande die Weissagung der Cree-Indianer unters Volk gebracht wurde ("... am Ende werdet Ihr merken, dass man Geld nicht essen kann").

So weit, so gut. Heute lernt das jeder Kommunikationsstudent im ersten Semester. Doch warum diese martialische Sprache? Warum die Rede von Gedankenbomben? "Obwohl wir Pazifisten waren, gebärdeten wir uns manches Mal wirklich kriegerisch", gibt Weyler lachend zu. Wahrscheinlich spielte der Zeitgeist eine nicht unwesentliche Rolle: die Erfahrung des Vietnamkriegs, die wahnwitzigen Atombomben-Tests oder der wie moderner Seekrieg anmutende Walfang. "Allerdings verstanden wir das Kriegerische in einem spirituellen Sinn", so Weyler.

Spirituelle Krieger? "Ein großer Teil der ersten Greenpeace-Aktivisten war von den verschiedenen Strömungen der Gegenkultur geprägt. Sie rauchten Marihuana, lasen neben Herbert Marcuse auch Carlos Castaneda und nutzten I-Ging-Steine, um Entscheidungen herbeizuführen", erläutert der frühe Öko-Kämpfer. Eines Tages soll Bob Hunter von einem Fremden ein kleines Büchlein über indianische Prophezeiungen in die Hand gedrückt bekommen haben. Sein Titel: "Warriors of the Rainbow". Bob Hunter - so will es zumindest die Legende - las das Büchlein und begriff schon beim Lesen, dass sich daraus ein Mythos schaffen lasse: die Rainbow Warriors. Regenbogen-Krieger, die antreten, um die Erde zu verteidigen. Auch wenn manche darüber gelacht haben, der Mythos funktionierte - und zwar weltweit.

Die Verwurzelung der frühen Greenpeace-Bewegung in den Strömungen der Gegenkultur lässt sich auch an Rex Weylers eigener Biografie ablesen. Nach einer braven High-School-Zeit in Texas absolviert er im Herbst 1966 in der Nähe von San Francisco ein Praktikum: "An einem Wochenende stolperte ich damals in den Summer of Love mit Janis Joplin und Tausenden Hippies im Golden Gate Park". Danach sei nichts mehr so gewesen wie zuvor. Er geht nach Paris, um an der legendären Besetzung der Sorbonne teilzunehmen. Unbekannte sprühten damals ein Graffito an die Wand, das sich in sein Gedächtnis einbrennt: "Die Fantasie an die Macht!" Es sollte zur Losung seines weiteren Lebens werden.

Als er einige Monate darauf seinen Einberufungsbescheid für den Vietnamkrieg erhält, verbrennt er ihn kurzerhand. Für Krieg ist kein Platz, zumindest nicht für diesen. Im Frühjahr 1969 blockiert er mit einigen Mitstudenten in Los Angeles Anwerbungs-Offiziere der US Army, die auf dem Campus Freiwillige rekrutieren wollen. "Ohne lange zu zögern, hat man uns daraufhin vom College geschmissen." Damit ist sein formales Studium ohne Abschluss zu Ende und es beginnt das, was er seine "informelle Ausbildung" nennt: "Ich nahm Meskalin am Strand von Big Sur, verbrachte einige Monate an Joan Baez´ Institut für das Studium der Gewaltlosigkeit und ging anschließend auf ausgedehnte Reisen nach Europa, in den mittleren Osten, nach Indien und Nepal." Noch 1969 - mit gerade mal 22 Jahren - veröffentlicht er sein erstes Buch: I took a walk today, einen pazifistischen Diskurs mit Fotos der winterlichen Landschaft des Yosemite Valley in Kalifornien.

Als er nach seinen Reisen in die USA zurückkehrt, stellt die Bundespolizei ihm nach. Weyler taucht unter und kommt im Juni 1972 schließlich nach Vancouver. Ein Kriegsdienstverweigerer, dem das FBI im Nacken sitzt und dem bis zu 25 Jahren Gefängnishaft drohen. Um sich und seine junge Frau über Wasser zu halten, arbeitet er als Fotograf und Journalist. Zunächst ohne allzu große Ambitionen. Doch als Bob Hunter ihn ein Jahr später fragt, ob er auch von einem Schnellboot aus Fotos machen könne, wittert er seine Chance. "Ich wüsste nicht, warum es nicht gehen sollte", antwortet Weyler und ist von da an Mitglied des Greenpeace-Kollektivs. Bald darauf - im Jahr 1975 - wird er als Fotograf an Bord der ersten Wal-Kampagne von Greenpeace dabei sein. Und mit seinen Fotos mithelfen, Geschichte zu schreiben. "Es ist ein Krieg der Bilder: Wer die besten Headlines und Fotos bekommt, gewinnt", hat Hunter damals gesagt.

Weyler hatte sich die Worte zu Herzen genommen. "Immer wieder hielten wir zwischen die Harpuniere und die Wale. Am Ende hatten wir acht Wale gerettet. Und unzählige Beweisfotos dieses grausamen Treibens im Kasten" - Mindbombs, die darauf warteten, in den Zeitungen der Welt gezündet zu werden.

Dr. Martin Ludwig Hofmann ist Soziologe und Textchef einer Freiburger Kommunikationsagentur. Vor wenigen Wochen erschien die aktualisierte Neuauflage seines Buchs: Indian War. Der Fall des indianischen Bürgerrechtlers Leonard Peltier, Atlantik Verlag, 2005.


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