Es ist bloß ein Spiel, sage ich mir. Ein belebter Donnerstagabend mitten in Berlin, was soll mir da passieren? Dann drehe ich mich doch noch mal um, nur zur Sicherheit. Aber da ist niemand.
Spätestens seit den NSA-Enthüllungen wissen wir, dass sich das Netz der Überwachung engmaschig um uns zieht. Doch die große Empörung über die massenhafte Verletzung der Grundrechte ist ausgeblieben, das Abzapfen der globalen Datenströme bleibt etwas Abstraktes. Weder Täter noch Opfer geheimdienstlicher Spionage haben ein Gesicht, von der Bundeskanzlerin mal abgesehen. Die Regisseurin Christiane Mudra möchte das ändern – mit den Mitteln des Theaters.
In ihrer Produktion yoUturn schickt sie die Teilnehmer jeweils einzeln auf eine Schnitzeljagd quer durch Berlin. Station für Station lesen und hören sie von Menschen, die von Geheimdiensten überwacht, gegängelt, misshandelt wurden, weltweit. Ich starte in diesem Stück als unbeteiligter Zuschauer. Ich ende als Spielball einer unsichtbaren Macht. Ungefähr nach dem Prinzip: „Denn sie wissen, wo ich bin.“
Paranoid oder gleichgültig
Nach der Anmeldung zum Bespitzelungsexperiment habe ich eine lapidare E-Mail mit dem Ausschnitt einer Straßenkarte erhalten. Meine Tour beginne an einem Schild gegenüber dem Hauptbahnhof, hieß es darin. Und tatsächlich: Auf der Rückseite des Schilds finde ich später ein erstes Kuvert, darin steckt das Gesprächsprotokoll eines Anwalts, der von seiner Überwachung durch den Verfassungsschutz erzählt. „Ich musste bei allem, was ich tat oder sagte, vorsichtig sein (…) In jener Zeit ist mir manch Ungewöhnliches aufgefallen wie etwa verdunkelte Autos vor der Tür.“ Jahre später verlangte der Mann Akteneinsicht. Einige Kopien der Dokumente liegen in dem Umschlag. Es ist alles geschwärzt bis auf Ort und Datum.
Wer hat eigentlich ein Interesse an der massenhaften Kontrolle unter dem Deckmantel der Terrorabwehr, frage ich mich. Im Kuvert findet sich ein Zettel mit einer Wegbeschreibung zum nächsten Ort – und zu einer ersten Antwort.
Zwei Anzugträger beobachten mich im Vorbeigehen, wie ich aus dem Zaun vor dem Eingang zum Bundeswirtschaftsministerium den nächsten Umschlag angle. Ich erfahre, dass Unternehmen wie Trovicor oder Gamma International mit dem Verkauf von Überwachungstechnik viel Geld verdienen. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle habe 2010 und 2011 den Export von Spionagetechnologie in 20 Länder genehmigt, darunter Russland, die Vereinigten Arabischen Emirate und Oman.
Ich blicke auf und schaue direkt in die Linsen von Sicherheitskameras. Bin ich nun durch mein Verhalten selbst schon verdächtig geworden? Kurz stelle ich mir vor, wie mich eine Person in diesem Moment auf ihren Monitoren verfolgt, eine Aktennotiz über mich anfertigt und dann zum Hörer greift … Unsinn! Die stetig zunehmende Beobachtung des öffentlichen Raums kann einen wirklich paranoid machen. Oder gleichgültig.
„Die Menschen neigen zur Verdrängung“, wird Regisseurin Mudra später sagen. Viele verkennten die Parallelen zwischen früheren Geheimdiensten wie der Stasi und den heutigen. Im Grunde arbeiteten sie alle mit ähnlichen Strategien, sagt Mudra – etwa mit der sogenannten Gruppenzersetzung, wozu es nötig sei, die Beziehungsgeflechte innerhalb einer Gruppe zu kennen. Nicht umsonst interessiert sich die NSA besonders für die Metadaten der Kommunikation. Mudra sieht eine weitere Gemeinsamkeit: das steile Machtgefälle zwischen dem Bürger und der anonymen Behörde, für die Rechtsbeugung oft folgenlos bleibt.
Auch ich soll dieses Machtgefüge noch zu spüren bekommen. Erst einmal klingelt mein Handy. Die Nummer ist unterdrückt, natürlich. In meiner Wohnung, sagt die Stimme und nennt meine reale Adresse, befänden sich unbekannte Personen. Ich will noch etwas fragen, doch da hat das Gegenüber schon aufgelegt. Ich schaue mich um: Die Person, die sich abrupt umdreht, als sich unsere Blicke kreuzen. Diese Frau, die mich auf der Straße länger mustert als für eine Fremde üblich. Die Frage: Wer beobachtet hier eigentlich wen?
Der Mann mit der Maske
Ich fühle mich gehetzt, beschleunige meine Schritte. Plötzlich tritt ein Mann mit Kapuzenjacke an mich heran und steckt mir einen Kopfhörer ins Ohr. Er verschwindet eilig. Ich höre in einem Radiobeitrag, wie sich der Bundesnachrichtendienst den Ermittlungen im NSA-Untersuchungsausschuss entzieht: „Sagen durfte er (ein Beamter des BND) nicht viel.“
Im Neubau des BND brennt noch Licht. Ich nähere mich dem Gebäude durch einen Park auf der Rückseite. Die Fassade mit den tausend Fenstern wirkt bedrohlich. Auf einer Bank sitzt ein Mann. Ich muss zweimal hinschauen. Dann erkenne ich seine fratzenhafte Maske. Mit wenigen, eindrücklichen Elementen lässt yoUturn einen die geheimdienstliche Taktik der Einschüchterung spüren. Die Inszenierung verharrt aber nicht auf der Stufe der Ohnmacht. Sie will Anstöße zu deren Überwindung geben. „Wenn wir alle anfingen, unsere E-Mails zu verschlüsseln, wäre das ein großartiger Bürgerprotest“, sagt Mudra.
Der persönliche Schutz kann aber nur ein erster Schritt sein. Solange sich die Geheimdienste einer demokratischen Kontrolle entziehen, wird sich das Überwachungsnetz, seiner Eigendynamik folgend, immer enger zuziehen. Noch während mir das bewusst wird, wird auch die Schlinge um mich enger. Ich soll zwei Stationen U-Bahn fahren und stelle fest, dass ich als Einziger in den Zug einsteige. Nach der Ankunft, auf dem Weg durch einen dunklen Park, spüre ich einen Verfolger im Rücken. Ich drehe mich um. Er läuft schneller. Ich laufe schneller. Er überholt mich. „Kommen Sie mit“, sagt der Mann. Er packt meinen Arm, führt mich die dunkle Straße entlang. Es geht in einen Keller hinunter, zum Verhör. Hinter mir fährt surrend ein Tor zu. Es gibt keine Zeugen.
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