Ein junger Mann und ein uraltes Spiel

Schach Seit zwei Wochen fordert der 22-jährige Norweger Magnus Carlsen den amtierenden indischen Weltmeister heraus. Auf einmal elektrisiert das Spiel wieder die Massen
Ausgabe 47/2013
Posterboy? Magnus Carlsen bei der Arbeit
Posterboy? Magnus Carlsen bei der Arbeit

Foto: Oli Scarff/ AFP/ Getty Images

Als zum letzten Mal ein Brett mit 64 Feldern die Welt bedeutete, saßen sich der Russe Boris Spasski und der Amerikaner Bobby Fischer gegenüber. Das war bei der Schachweltmeisterschaft 1972, während der sich das Kräftemessen zwischen den Supermächten auf dem Höhepunkt befand. So wurde das Figurenschlagen in Reykjavík zu einem Stellvertreterkrieg in 41 Zügen. Schließlich gewann der Amerikaner – und der Westen atmete auf.

In den vergangenen Jahren galt Schach dann eher als Beschäftigung für einsame Computerfreaks oder ältere Herren mit SPD-Parteibuch. Seit knapp zwei Wochen fordert nun der 22-jährige Norweger Magnus Carlsen den amtierenden indischen Weltmeister Viswanathan Anand, 43, heraus. Carlsen ist ein smarter junger Mann, der gern Fußball spielt, Spritztouren mit dem Motorboot unternimmt, auf Facebook seinen Sixpack ausstellt – und aller Voraussicht nach neuer Schachweltmeister wird. Auf einmal elektrisiert das Spiel wieder die Massen. Bei Spiegel Online kann man die Partien im Liveticker verfolgen, die Zeitungen sind voll, und das norwegische Fernsehen berichtet täglich bis zu sechs Stunden im ersten Programm. Wird Schach jetzt hip?

Der Showdown hat natürlich mediales Potenzial. Die Gegensätze lassen sich einfach gut inszenieren. Carlsen gegen Anand – das heißt: jung gegen etabliert, schnodderiger Schönling gegen biederen Gentleman. Es gibt aber noch einen anderen Grund, warum sich die WM so gut verkauft. Schach befriedigt in einer unübersichtlichen Welt eine Sehnsucht nach klaren Regeln. Es fasziniert, weil sich Dame und Pferdchen nach exakt definierten Vorschriften bewegen und das Spiel zugleich so hochkomplex ist, dass ein Weltmeister ohne Übertreibung als Genie gilt.

Trotzdem ist nicht zu erwarten, dass Kinder nun hierzulande Schachclubs die Türen einrennen. Womöglich freuen sich die Schachfreunde Buxtehude über zwei neue Mitglieder, und das war’s. Ein Vergleich mit der Tennismanie der Achtziger wäre vermessen. Auch weil die damaligen Vorbilder Boris Becker und Steffi Graf Deutsche waren. Selbst im 21. Jahrhundert benötigt eine populäre Sportart nationale Helden, so unglobalisiert das klingen mag.

Etwas Gutes hat der Beliebtheitssprung für das Strategiespiel aber. Ein Satz wie „Und dann spiele ich auch noch Schach“ im Smalltalk sorgt nicht mehr für schlagartiges Desinteresse. Die Zeiten, in denen das Wort Schach Männer mit Hornbrille und fettigen Haaren vor dem geistigen Auge erschienen ließ, sind vorbei. Jetzt taucht da ein junger Mann mit Waschbrettbauch auf.

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Geschrieben von

Martin Schlak

Journalist und Physiker. Schreibt Geschichten über Wissenschaft. Beobachtet, wie Technologie unsere Gesellschaft verändert.

Martin Schlak

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