Fatale Anziehungskraft

AfD Die Euroskeptiker bekommen Zulauf von Rechtspopulisten. Ist das der Anfang vom Ende?
Ausgabe 41/2013

Bernd Lucke pflegt sein Professoren-Image. Er lässt sich vor Bücherwänden interviewen und trägt dazu dunkelblaue Strickpullis. Auf Parteitagen redet der Sprecher der Alternative für Deutschland (AfD) so unaufgeregt, als ob er an der Universität Hamburg eine seiner Vorlesungen in Makroökonomie hielte. Die hektische Berliner Politikwelt, in der man oft laut sein muss, um gehört zu werden, sie scheint Lucke fremd.

Bernd Lucke, der Biedermann. Man kann ihm dieses Selbstbildnis abnehmen. Bloß hilft das wenig, um zu verstehen, wohin die AfD steuert. Denn eine einzige Person kann auf Dauer keine ganze Partei in Schach halten. Spätestens im Januar wird die AfD ein ausführliches Programm verabschieden. Auf Bezirksebene diskutieren die Mitglieder bereits, wie die Alternative, die die AfD anbietet, im Detail aussehen soll. Wer sich Inhalte und Akteure anschaut, kann einen Ausblick wagen: Fischt die Partei bloß einige Stimmen am rechten Rand der Gesellschaft? Oder wird sie selbst immer stärker Teil des rechten Rands?

Rechtspopulistische Scherben aufkehren

Im Wahlkampf kehrte Lucke die Scherben auf, die andere produzierten. Als ein Energiepolitiker der AfD auf einer Pressekonferenz den Klimawandel bestritt, beeilte sich Lucke klarzustellen: „Das ist eine persönliche Meinung und nicht die der Partei.“ Als ein Administrator der AfD-Jugend auf Facebook postete: „Nur die Ausländer, die sich anpassen wollen, sind willkommen“, da beschwichtigte Lucke die Öffentlichkeit mit den Worten: „Wir lehnen Ausländerfeindlichkeit ab.“

Man könnte diese Vorfälle als populistische Töne Einzelner, als Übergangsproblem abtun. Waren nicht alle jungen Parteien immer auch ein Sammelbecken für diejenigen, die sich nirgends repräsentiert fühlten? Auch die Piraten wurden anfangs verdächtigt, von rechts unterwandert zu werden. Sie stehen allerdings für ein neues Politikverständnis. Dafür war es essenziell, keine Meinung per se auszuschließen. Die AfD hingegen ist eine Parteigründung von oben. Beim Parteitag im April stellte Lucke das Programm vor, die Anwesenden nickten es ohne weitere Diskussion ab.

Wenn jetzt Mitglieder der islamkritischen Partei „Die Freiheit“ zur AfD überlaufen, muss diese Anziehungskraft der AfD auf das rechte Milieu inhaltliche Gründe haben. Im Wahlprogramm zeigt sich die konservativ-reaktionäre Haltung der AfD in groben Zügen. Was aber genau soll es heißen, dass nur „ernsthaft politisch Verfolgte“ Asyl bekommen sollen? Die Parteisprecherin Frauke Petry sagt, man wolle Wirtschaftsflüchtlinge und politisch Verfolgte unterscheiden. Bloß: Schon jetzt haben Wirtschaftsflüchtlinge kein Recht auf Asyl. Die Aussage ergibt also nur Sinn, wenn man das Asylrecht verschärfen möchte. Im Wahlkampf warb die Partei mit dem Plakat: „Einwanderung ja – aber nicht in unsere Sozialsysteme“.

In der Glaubwürdigkeitsfalle

Der emeritierte Politikwissenschaftsprofessor Hajo Funke hält es für eine Illusion, dass sich eine Partei rechts der Union behaupten kann, ohne populistisch zu agieren. „In regelmäßigen Abständen greift ja selbst die Union zu Rechtspopulismen“, sagt Funke, „zuletzt, als es um die Pkw-Maut für Ausländer ging.“ Wenn aber selbst die Union davor nicht zurückschreckt – wie soll dann eine seriöse Partei rechts von Merkel ohne Populismus auskommen?

Im Grunde steckt Bernd Lucke in einer Glaubwürdigkeitsfalle. Je mehr er rechtspopulistische Einflüsse zurückweist, desto stärker schürt er eine Vermutung: dass die AfD ein Problem am rechten Rand hat. Nicht zu Unrecht. Ehemalige Mitglieder der Partei „Die Freiheit“ standen auf den Listen der AfD zur Bundestagswahl, etwa Andreas Kuessner in Mecklenburg-Vorpommern. „Wer sich unserer Gesellschaft nicht anpassen will, gehört hier nicht her“, sagte er einst. Vor wenigen Tagen verkündete René Stadtkewitz, Vorsitzender der „Freiheit“, in einer Mail an alle Mitglieder die baldige Auflösung seiner Partei – zugunsten der AfD. Als diese Entscheidung bekannt wurde, reagierte Lucke noch am selben Tag. „Die Regel ist jetzt, dass nicht aufgenommen wird“, sagte er. Damit seien Ex-Mitglieder sämtlicher Kleinstparteien gemeint. Einige ostdeutsche AfD-Landesverbände haben aber bereits angekündigt, die Regel nicht als absolut anzusehen.

Hilft eine striktere Anwerbung?

Eine strenge Anwerbepolitik scheint wenig sinnvoll, wenn die Inhalte und auch die Sprache weiter die rechte Klientel anziehen. Die AfD feierte am Abend der Bundestagswahl noch den Fast-Einzug, da sagte Lucke: „Wir haben soviel an Entartung von Demokratie erlebt.“ Sich einer Sprache zu bedienen, die an Gewalt erinnere, ja der kontrollierte Tabubruch, sei typisch für Rechtspopulisten, erläutert der Politikwissenschaftler Frank Decker von der Uni Bonn. Auch stellten Rechtspopulisten „die eigene Partei gerne als Opfer hin“. Das hat er bereits im Jahr 2009 geschrieben, heute liefert er damit eine profunde Analyse des AfD-Wahlkampfes. So warf Lucke dem Meinungsinstitut Forsa vor, seine Partei in den Umfragen kleinzurechnen. Diese Aussage wurde später vom Landgericht Köln verboten. Und dann war da noch die Attacke auf Lucke bei einer Veranstaltung in Bremen. Die Polizei teilte damals mit, acht Vermummte, vermutlich aus dem linksextremen Lager, hätten die Bühne gestürmt. Später ruderten die Beamten zurück: Der Angriff sei deutlich harmloser gewesen, man habe die Aussagen der Partei ungeprüft übernommen.

Lucke wird die Fliehkräfte der AfD kaum begrenzen können. Was bedeutet das? Bisher waren Rechtspopulisten immer nur kurzfristig erfolgreich, etwa die Schill-Partei, die die Angst vor Kriminellen instrumentalisierte. Nun verunsichert die Euro-Krise die breite Bevölkerung. 42 Prozent der Bundestagswähler glauben, dass der Euro für Deutschland eher Nachteile habe. Im Mai könnte die AfD also ins Europaparlament einziehen. An die Außenwirkung auf Europa mag man gar nicht denken.

Vier Seiten dünn ist das Programm, mit dem die Alternative für Deutschland (AfD) bei der Bundestagswahl um Stimmen geworben hat. Das Hauptanliegen der Partei ist die Auflösung des Euro-Währungsgebiets und ein Ende der Hilfskredite an notleidende Euro-Länder. Insgesamt sind die Positionen der AfD konservativ bis reaktionär: Zurück zur D-Mark, zurück zu einem traditionellen Familienbild, zurück zu Diplom-Studiengängen – für die Partei seien diese Anliegen „kein Tabu“. In der Wirtschaftspolitik gibt sich die AfD neoliberal. Regulierungen auf EU-Ebene sollen beispielsweise abgebaut, Eigenverantwortung gefördert werden. In der Steuerpolitik möchte sich die AfD an den Plänen von Paul Kirchhof orientieren. Der Verfassungsrechtler schlug einst einen Spitzensteuersatz von lediglich 25 Prozent vor. Derzeit sind es 47 Prozent.

Ein ausführliches Programm will die AfD auf einem künftigen Parteitag beschließen. Dort dürfte es zu kontroversen Diskussionen kommen. Denn unter den Mitgliedern gehen die Meinungen auseinander, was unter einzelnen Forderungen zu verstehen ist. Das zeigt sich etwa bei der Familienpolitik: Die AfD verschreibt sich dem „Schutz der Familie als Keimzelle der Gesellschaft“. Geht das so weit, Abtreibungen wieder unter Strafe zu stellen? Die Berliner AfD-Spitzenkandidatin Beatrix von Storch jedenfalls lief im September mit Abtreibungsgegnern beim „Marsch fürs Leben“ mit.

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Martin Schlak

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