Wenn man auf einem Acker zwischen Lollo Rosso und Endivien-Salat steht, kann man sich schon einmal große Fragen stellen. Etwa diese: Gedeiht auf dem Feld des solidarischen Landwirtschaftsbetriebs Speisegut, 20 Busminuten vom Rathaus Berlin-Spandau entfernt, eine kleine Agrar-Revolution? Oder ist das hier bloß eine Spielwiese für Städter, die mit ihrer zweimonatlichen Landlust-Ausgabe zu schnell durch sind?
Die Antwort handelt von einer Staatssekretärin, die mit hochhackigen Schuhen zu einer Feldbegehung fährt. Sie handelt von einer Gesellschaft, die vergessen hat, wo eigentlich ihr Essen herkommt. Und von einem Bauern, der das ändern möchte.
Christian Heymann rupft ein Radieschen aus der Erde, schneidet es in Scheiben. Vier Frauen sind an diesem Samstagnachmittag auf seinen Acker gekommen, um sich erklären zu lassen, was das sein soll: solidarische Landwirtschaft. „Das Prinzip basiert darauf, dass sich Landwirt und Abnehmer zu einer Gemeinschaft zusammenschließen“, sagt Heymann. Die Kunden garantieren, einen festen Betrag zu zahlen. Dafür bekommen sie während der Saison wöchentlich Lebensmittel in biologischer Qualität. In den anderen Monaten gibt es zweiwöchentlich Eingelagertes und Eingemachtes. Außerdem, und das ist der Clou, verpflichten sich alle, drei Tage im Jahr auf dem Feld mitzuhelfen.
Ein gutes Gefühl
Für 55 Euro im Monat lässt sich der Städter so nicht nur Rotkohl und Kartoffeln liefern, sondern auch das Gefühl, endlich einmal alles richtig zu machen. Die bewussten Konsumenten kennen ja das Unbehagen, immer bloß von zwei Übeln das kleinere zu wählen. Ständig müssen sie sich entscheiden zwischen der eingeschweißten Bio-Gurke aus Bulgarien und der konventionellen aus Spanien – zwar unverpackt, dafür schubst sie in der Anbauregion Almería ein Ökosystem an den Rand des Abgrunds.
Bei Heymanns Projekt geht es allerdings um mehr als nur ein gutes Konsumenten-Gefühl. Sonst könnte man ja einfach eine Bio-Gemüsekiste bestellen. „Ich habe eine Vision“, sagt der 34-Jährige, eine langsame Transformation des Konsums. Glaubt man Experten wie dem Soziologen Harald Welzer, steht das ganze Modell der Fremdversorgung zur Debatte. In seinem wachstumskritischen Werk Selbst Denken schreibt er: „Fremdversorgungsketten sorgen für die geringe Resilienz und die hohe Verletzlichkeit moderner Gesellschaften und damit für die ausgeprägte Angst, dass bloß nicht irgendetwas ausfällt.“ Und weiter: „Eine Kultur des ALLES IMMER muss notwendig eine Kultur der Fremdversorgung sein.“
Es geht also auch um Verzicht. Man muss sich verabschieden von Erdbeeren im Februar. „Man kocht eben, was da ist“, sagt Heymann. „Und das ist nicht immer, worauf man Lust hat.“ Petra Erlebach ist eine der Interessentinnen an diesem Nachmittag. Die 44-Jährige versucht, ihren Speiseplan saisonal auszurichten. „Im Winter gibt es dann eben mehr Kohl.“ Naturland-Bauer Heymann setzt auf Mischkulturen. Spritzmittel sind für ihn tabu, zwischen Möhren- und Kartoffelpflanzen wuchern die Wildkräuter. Jahrzehntelang wurde die Landwirtschaft immer leistungsfähiger, mit einem Hektar ernährte ein Bauer immer mehr Menschen. Dieses System brachte der westlichen Welt eine Versorgungssicherheit, wie es sie nie zuvor gegeben hatte. Und dennoch rufen Landwirte wie Christian Heymann heute: „Wir müssen uns wieder auf die eigentlichen Werte besinnen.“
Mindestlohn auf dem Acker
Die konventionelle Landwirtschaft beute zu sehr ihre Grundlagen aus. „Was ist denn das für ein Wirtschaftsmodell, das auf polnischen Arbeitern beruht, die für vier Euro in der Stunde bei der Ernte helfen?“, fragt Heymann. Er zahle, beteuert er, mindestens zehn Euro pro Stunde. Er sagt aber auch: „Ich kann meinen Kunden keine Vollversorgung anbieten.“ Geht in einem Jahr die Radieschen-Saat nicht auf, gibt es eben keine. Vielleicht funktioniert sein System auch nur deshalb, weil man als Verbraucher doch weiß: Zur Not kann man noch schnell zum Supermarkt und dort ein paar Radieschen kaufen.
„Mit der solidarischen Landwirtschaft wird man kaum ganz Berlin ernähren können“, sagt Sabine Toepfer-Kataw, die Frau mit den hochhackigen Schuhen. Sie ist von der CDU und Berlins Staatssekretärin für Verbraucherschutz. Gerade sind „Wertewochen Lebensmittel“, da muss man sich ja mal blicken lassen. Von den Idealen Heymanns zeigt sie sich beeindruckt. Die Nebenwirkungen der industrialisierten Landwirtschaft haben sich ja mittlerweile bis in die CDU herumgesprochen.
Heymann setzt aber eher auf die Macht der Verbraucher als auf die der Politik. 49 feste Abnehmer hat er bisher, daneben verkauft er auf Märkten. Seine erste Saison liegt hinter ihm. 110 Menschen könnte er versorgen, hat er ausgerechnet. Die Fläche ist knapp drei Hektar groß, etwa drei Fußballfelder. Bei ihren Einsatztagen helfen die Mitglieder, Kartoffeln zu ernten oder Tomaten hochzubinden. Es seien nicht nur „Hardcore-Ökos“ dabei. „Einige haben mir nachher gesagt, sie hätten noch nie in ihrem Leben so einen Muskelkater gehabt“, sagt Heymann.
Langer Weg
Der Weg hin zu einer anderen Landwirtschaft ist dennoch lang. Es wäre wohl schon etwas gewonnen, wenn mehr Kinder so vertraut mit ihr wären wie der vierjährige Ruben. Als Heymann eine verwachsene Rübe aus dem Boden holt, ruft Ruben mit Kennerblick: „Papa, das ist ein Misfit.“ Bauern sortieren etwa die Hälfte ihrer Kartoffeln aus, bevor sie den Hof verlassen. Weil der Handel zu große, zu dünne, zu krumme Früchte nicht abnimmt. „Wir dagegen verwerten alles“, sagt Heymann. Es ist sein Beitrag gegen Lebensmittelverschwendung.
Petra Erlebach steckt einen Mitgliedsvertrag ein, bevor sie fährt. Im nächsten Jahr wird sie Landwirtin, zumindest für drei Tage. Sie möchte wissen, wo ihr Essen herkommt, suche aber auch das Naturerlebnis, sagt sie. „Ich buddel gerne in der Erde.“ Und ja, die Landlust hat sie sich auch schon mal gekauft.
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