Sollte jemand aus Versehen laut "Inhalte" in die Messehallen rufen, käme vielleicht etwas zurück wie: "3840 mal 2160 Pixel." Bei so vielen Pixeln – wer braucht da noch Inhalte? Das ultrahochauflösende Fernsehen ist die Innovation bei der Internationalen Funkausstellung (Ifa) in Berlin. Wer aber die Fernsehkanäle der Zukunft womit füllt, darüber macht sich auf der Messe kaum jemand Gedanken.
Journalisten, die über die Ifa schlendern, fällt dazu häufig nicht viel mehr ein als die Aussage: Das Ultra-HD-Fernsehen sei ja sehr schick, leider seien die TV-Anstalten noch lange nicht so weit, in dieser Technik auch zu senden. Hier liegt aber ein Denkfehler vor. Wäre die Technologie schon Standard bei den Fernsehsendern, hätte sie ja nichts mehr Innovatives an sich – ergo: Sie wäre kein Fall für die Ifa.
Die ersten farbigen Fernsehbilder beispielsweise bekamen die Ifa-Besucher 1939 zu sehen, die ersten farbigen Bilder im Fernseher übertrugen westdeutsche Sender erst 1967.
Mehr Pixel statt mehr Inhalte
Es geht also nicht darum, dass sich die Welt der Kommunikationstechnologie und die der Journalisten und Kulturschaffenden in unterschiedlichen Entwicklungsstadien befinden. Das ist normal. Vielmehr ist bemerkenswert, wie sehr sich beide entkoppelt haben.
Für die Technologie-Branche ist das nicht weiter bedrohlich. Irgendwer findet sich schon, der die Kanäle auf ihren ganzen Endgeräten befüllen wird. Im Zweifel sind es die Nutzer selbst, die twittern, filmen und bloggen. Die professionellen Medienmacher und Kulturschaffenden hätten aber allen Grund, sich damit zu beschäftigen, wie sich die neuen Technologien nutzen lassen, damit der Nutzer sich ihre Beiträge und Sendungen anschaut. Doch auf der Ifa machen sich inhaltliche Konzepte beispielsweise für smartes Fernsehen oder das E-Book rar.
Das E-Book "pur" fristet in Halle 14.1 ein Nischendasein, der Trend ist klar: Smartphone, Tablet und E-Book wachsen zu einem Endgerät zusammen. Auf E-Books lassen sich 32 Gigabyte Goethe, Grass und Precht und Co. speichern. "Da passen also etwa 30 000 Werke drauf", sagt die Mitarbeiterin eines Herstellers. Die Frage ist: Wer will das alles lesen?
Wer will das alles lesen?
Zugegeben: In einem durchschnittlichen Regal bleibt auch ein Großteil der Bücher für immer unangetastet. Aber ein Bücherschrank ist ja auch Schmuck, ein Statement. 30 000 Bücher auf dem E-Book – das ist dann nur noch ein Pensum.
Die Verlage werden dem Leser mehr bieten müssen als nur ihre Werke in digitaler Form, die diese sich dann massenhaft auf ihre Endgeräte laden können. Auf den Multifunktionsgeräten ist viel mehr möglich: Warum nicht digitale Diskussionsrunden mit dem Autor veranstalten, oder Links zu vertiefenden Werken setzen?
Ein paar Hallen weiter, neben ihren Fernseher mit Ultra-HD-Technologie, hat eine Firma eine blonde Frau im knallroten Kleid gestellt. Die überwiegend männlichen Besucher wissen so gar nicht, was sie zuerst anschauen sollen. Den Eiffelturm in ultra-hoher Auflösung oder die wallenden Model-Locken daneben; die gibt es in noch besserer Auflösung. "Macht Spaß da hinzusehen", sagt ein Besucher. Er meint das Fernsehbild.
Besucher verrenken sich
Lassen wir also die Reize des analogen Lebens mal beiseite, das Fernsehen wird seine jedenfalls auch zukünftig behalten. Es ist selbst smart geworden – neben Ultra-HD ein weiteres großes Thema der Ifa. "Smart" bedeutet erst einmal internetfähig, heißt aber auch, dass Zuschauer mehr auf Inhalte Einfluss nehmen können: Sie bestimmen das nächste Thema in einer Talkshow oder in welche Richtung die Kommissare im Tatort weiterermitteln. Das "Medium", das bisher weitgehend in eine Richtung, vom Sender zum Empfänger vermittelt, wird zu einer Straße mit Verkehr in beiden Richtungen.
Wie Zuschauerpartizipation aussehen kann, davon ist bei der Messe kaum etwas zu sehen. Zwar sind die ARD mit einem großen Stand präsent. Sie machen jedoch vor allem Werbung dafür, über die sendereigene Mediathek auf dem Fernseher zeitversetzt Sendungen abzurufen. Mit anderen Worten: Das Fernsehen bleibt eine Einbahnstraße, die Autos fahren jetzt nur zu anderen Zeiten.
Die ARD veranstalteten zwar eine "Augmented Reality"-Präsentation ("Erweiterte Realität"), in der sich Besucher und Tatort-Darsteller virtuell treffen, und "zukunftsweisende Technik und virtuelle Filmproduktion" zusammenspielen. Was davon übrig geblieben ist, außer Videos von Besuchern, die sich vor dem Bildschirm verrenken, bleibt aber Geheimnis der ARD. Ein Sprecher des rbb sagte dazu, es sei nicht Ziel der Aktion gewesen, das Fernsehen der Zukunft zu zeigen, sondern den Besuchern ein Zusammentreffen mit den Schauspielern zu ermöglichen.
Wer das zu Recht wenig innovativ findet, geht am besten wieder zu den High-Tech-Fernsehern zurück, und sieht: Männer, die auf Bildschirme starren. Was dort läuft, ist ja nebensächlich. Man bekommt dann auch sehr schnell Kopfschmerzen, wegen der 3-D-Brillen. Dann darf man nach Hause gehen.
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