Es lohnt sich, Hans-Olaf Henkel genau zuzuhören. Nicht, weil man sich dann über seine Versprecher mokieren kann: Als er jüngst seine Europawahl-Kandidatur für die Alternative für Deutschland (AfD) ankündigte, nannte er die Partei versehentlich „AfDP“, was einige Medien unheimlich witzig fanden, schließlich war er früher nicht nur Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, sondern auch FDP-Sympathisant. Nein, man sollte vielmehr auf Henkels Wortwahl achten, weil sie zeigt, wie er selbst die AfD einschätzt – und wie sie sich entwickelt: hin zum eurofeindlichen, maximal marktradikalen Populismus.
Lächelnd hielt Henkel vergangene Woche seinen neuen AfD-Mitgliedsausweis in die Kameras und nahm die Euro-Skeptiker in Schutz. „Der Parteispitze vorzuwerfen, sie täte nicht genug gegen rechtsextreme Einflüsse oder würde die gar fördern, ist an Niedertracht gar nicht mehr zu überbieten“, sagte der 73-Jährige. Seine Worte sind deshalb bemerkenswert, weil kaum jemand der Partei Rechtsextremismus vorwirft. Viele halten sie für rechtspopulistisch – was ein bedeutender Unterschied ist.
Gut für die AfD, bedenklich für Europa
Geht man davon aus, dass Henkel seine Worte mit Bedacht gewählt hat, dann scheint er sich sehr bewusst zu sein, in welchen Gewässern die Partei unterwegs ist. Er macht sich gar nicht erst die Mühe, sich und die AfD vom Rechtspopulismus abzugrenzen. Es wäre sowieso unglaubwürdig. Zum Beispiel stärkte Henkel einst Thilo Sarrazin den Rücken – nach dessen diskriminierenden Äußerungen über Muslime. Mit Henkels Partei-Eintritt wächst nun zusammen, was zusammengehört. Das ist gut für Henkel und die AfD, aber bedenklich für Europa.
In Umfragen liegt die Partei derzeit bei vier Prozent. Sie könnte bei der Europawahl im Mai locker die Drei-Prozent-Hürde überspringen. Mit Henkel und Sprecher Bernd Lucke auf den ersten beiden Listenplätzen will die Partei antreten. Das letzte Wort haben zwar die Delegierten beim Europaparteitag am Samstag in Aschaffenburg – eine Meuterei gegen Lucke ist aber undenkbar. Sie würde das schwankende Schiff AfD unsteuerbar machen. Und auf Talkshow-Gesicht Henkel wird auch niemand verzichten wollen.
Bühne zur Selbstvermarktung
Wie viel Zeit sich Hans-Olaf Henkel im Falle eines Wahlsieges für parlamentarische Sacharbeit nehmen würde, sei mal dahingestellt. Damit gewinnt man in den seltensten Fällen Lorbeeren. Henkel, Autor mehrerer euro-kritischer Bücher, will den Wahlkampf und das EU-Parlament auch als Bühne zur Selbstvermarktung nutzen. Eine Bühne, die ihm in den letzten Jahren abhanden kam. Im Jahr 2010 war Henkel laut Branchendienst Meedia neun Mal zu Besuch in Talkshows von ARD und ZDF. Danach kamen immer weniger Einladungen; im vergangenen Jahr schaffte er es nur einmal zu „Hart aber fair“. Auch die Bild-Zeitung ist ihm nicht mehr gewogen. Zwischen 2001 und 2007 schrieb Henkel zahlreiche Kolumnen für das Blatt. Seine Bücher wurden wohlwollend besprochen. Dann kam die Wende: „Ranschmeißer“, „Trittbrettfahrer“ und „Wendehals“ nannte ihn die Boulevard-Zeitung im Jahr 2011. Henkel vermutete Rache, weil er sich bei der Bild-Redaktion über die Nichtbeachtung seines Buches „Der Kampf um die Mitte“ beschwert hatte.
Über Henkels Motivation ist damit einiges gesagt. Was aber bedeutet seine Kandidatur für das Programm der AfD? Schon bisher stand die Partei dem Staatsinterventionismus eher ablehnend gegenüber, ohne dass jedoch die genaue Linie klar wäre. Im Internet kursiert eine erste Version der Europawahl-Thesen, dort ist an mehreren Stellen Uneinigkeit vermerkt – etwa bei der Frage, ob Banken im Pleitefall mit öffentlichen Mitteln gerettet werden sollten, und auch beim Thema, ob Wasserver- und -entsorgung in öffentlicher Hand bleiben sollten. Mit der Kandidatur Henkels dürfte das Pendel zu den marktradikalen Positionen ausschlagen.
Henkels „größte Fehleinschätzung“
Neoliberal war Henkel schon, als er noch mit der FDP sympathisierte. Bis vor einigen Jahren war er allerdings noch ein großer Euro-Befürworter. Heute bezeichnet er dies als „größte Fehleinschätzung“ seiner beruflichen Laufbahn. Er warnt nun vor einer Transferunion und fordert die Aufteilung des Währungsraums in eine Nord- und eine Südzone. Zu den Südländern zählt Henkel auch Frankreich. Wie schnell solch dahergeredete Forderungen die mühsam hergestellte deutsch-französische Normalität belasten können, blendet Henkel aus. Auch die AfD beschäftigt sich nie mit solchen politischen Folgen – nach welchem Modell auch immer die Währungszone aufgelöst werden soll.
In dieser Ignoranz sind sich Henkel, AfD-Spitze und die meisten Mitglieder einig. Über alles andere könnte es aber schon in den nächsten Wochen Streit geben. Ist man euro- oder gar europaskeptisch? Wie hält man es mit der Gleichstellung der Geschlechter und der Homosexuellen? Ist man für oder gegen Abtreibung? Auch ein knappes Jahr nach der Gründung hat die AfD noch kein ausführliches Parteiprogramm verabschiedet.
Das vierseitige Papier zur Bundestagswahl legte Lucke einst dem Parteitag vor, der es ohne Diskussionen abnickte. Der Politikwissenschafts-Professor Oskar Niedermayer meint: „Das Vorgehen war verständlich angesichts des Zeitdrucks vor der Bundestagswahl, zu der die AfD ja unbedingt zugelassen werden wollte.“ Jetzt allerdings, glaubt Niedermayer, könne die Parteispitze den Programmdiskussionen nicht mehr viel länger aus dem Weg gehen.
Kaum Fortschritte bei Programmdiskussion
Schon die Monate nach der Bundestagswahl hätte die Alternative für Deutschland nutzen können, um sich programmatisch zu sortieren. Stattdessen gab es Personal-Scharmützel, die mehrmals das Eingreifen Luckes forderten. Zuletzt ging es in Hessen um die Absetzung des dortigen Landessprechers Volker Bartz. Der gab zu, er habe einen Doktortitel gekauft und sei dabei einem osteuropäischen Betrüger aufgesessen. Auch der hessische Schatzmeister Peter Ziemann musste gehen. Er hatte sich mit antisemitischen Äußerungen hervorgetan.
Jetzt rächt sich, dass es in den vergangenen Wochen beim Parteiprogramm kaum Fortschritte gab. So müssen zur Europawahl wieder Fässer aufgemacht werden, die Lucke wohl schon lange verschlossen glaubte. Beispiel Umweltpolitik: In dem achtseitigen Europawahl-Entwurf, der unter anderem von Lucke unterzeichnet ist, wird zwar die Einhaltung der Klimaziele gefordert. Alternativ wird daneben aber die Auffassung zur Diskussion gestellt, dass es „keine menschengemachte Klimaerwärmung“ gebe. Und weiter: „Die sogenannten ,Klimazieleʻ müssen aufgegeben werden.“
Endgültig beschlossen werden die Thesen erst auf einem gesonderten Parteitag im März, also wenn die Spitzenkandidaten schon gewählt sind. Interessant zu beobachten sein wird, wie stark sich die Meinung der Basis am Ende im Programm wiederfindet. Lucke kann jetzt zeigen, dass er den Ruf als „autoritärer Parteichef“ zu Unrecht trägt. Oder nutzen Henkel und er die verbleibende Zeit, um dem Programm ihre Handschrift zu verpassen? Politikwissenschaftler Niedermayer sagt: „Innerparteilichen Streit goutieren die Deutschen während eines Wahlkampfes überhaupt nicht.“ Die Aussicht auf einen Erfolg am 25. Mai könnte die Basis abermals zum Schweigen bringen. Fragt sich bloß, wie lange noch.
Martin Schlak schreibt im Freitag nicht zum ersten Mal über die AfD und Rechtspopulisten
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