Es ging im Kern um Kompetenzgerangel in der Chefetage eines Unternehmens mit 140 Millionen Euro Jahresumsatz. Doch es ging auch um die Auseinandersetzung zweier Charaktere, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie steckten in einem Richtungsstreit, ob bedächtiges Arbeiten in der finanziell wie sportlich hochgerüsteten Fußball-Bundesliga mehr Sinn ergibt als flinkes, rein profitorientiertes Handeln. In der Quintessenz des Streits ging es um die Frage, ob ein Fußball-Verein ein den Mitgliedern verpflichtetes Organ ist oder ein Unternehmen, das dem Spiel der frei flottierenden Signifikanten des Kapitals unterliegt.
Bernd Hoffmann hat diesen Machtkampf gegen Dietmar Beiersdorfer gewonnen. Der allmächtige Präsident des Hamburger SV ist nun Alleinherrscher beim Bundesliga-Traditionsklub an der Elbe. Sein Regulativ, der Sportchef und 2. Vorstandsvorsitzende Beiersdorfer, hat nach einer lange schwelenden Fehde die Brocken hingeworfen. Weggemobbt sagen nicht wenige, schließlich habe Beiersdorfer nicht freiwillig demissioniert. „In den letzten zwei Jahren, dem letzten halben Jahr im Speziellen, schienen sich die Kompetenzbereiche für Bernd Hoffmann zu verwischen“, haderte er nach seinem Aus.
Es war ein Kampf der Kulturen, der zum Ende des alten HSV-Vorstands führte. In den Hauptrollen Alphatier Hoffmann, ein kühner Zampano aus der TV-Branche, dem weite Teile des Unterbaus prestigeträchtiges Kalkül und mangelnde Fußball-Kompetenz unterstellen, jemand ohne wirklichen Stallgeruch. Als sein Antipode fungierte der stille Stratege Beiersdorfer, integer und fachlich über alle Zweifel erhaben, aber in der Außenwirkung manchmal ein wenig zaudernd.
Abschied von Nachhaltigkeit
Dieser Charakterzug wiederum brachte Hoffmann in Rage. Zumal mit Platz fünf nicht das erhoffte Saisonziel, ein Titel, heraussprang. Beiersdorfers Konzept war auf Nachhaltigkeit angelegt, schließlich dümpelten die „Rothosen“ in den Neunzigern oft genug in der unteren Tabellenhälfte herum. Hoffmann, Anfang 2003 ein halbes Jahr nach Beiersdorfer inthronisiert, war das zu wenig. Zumal der HSV in der Liga lange oben mitgemischt und sowohl im Uefa-Cup als auch im DFB-Pokal das Halbfinale erreicht hatte.
Der Vorstandchef begann Beiersdorfers Modell zu hinterfragen, schnüffelte im sportlichen Bereich, konsultierte hinter Beiersdorfers Rücken Mitarbeiter aus dessen Ressort, zu dem neben der Lizenzspielabteilung auch der Scouting- sowie der Nachwuchsbereich gehören, und verlangte Rechenschaft. „Es ist meine Pflicht, Entwicklungen und die Gesamtsituation zu bewerten und Fragen zu stellen“, erklärte Hoffmann am Ende des Dissens im gradlinigen Kaufmanns-Duktus.
Doch das war dem zumindest äußerlich als Gemütsmensch erscheinenden Beiersdorfer zuviel. „Schließlich hatten die Kompetenzüberschreitungen zuletzt schon System“, erklärte der Sportdirektor wenige Tage nach seinem Rückzug zermürbt. Zuvor hatte er die Reißleine gezogen und vom mächtigen HSV-Aufsichtsrat ein Machtwort gefordert. Dieser stellte sich hinter Hoffmann. „Die Vereinsstruktur orientiert sich immer mehr an einer einzigen Person“, zeterte Beiersdorfer hernach. „Deshalb geht das auch durch.“
Zum eigentlichen Showdown, bei dem über die Zukunft des HSV entschieden wurde, war es schon Ende Januar auf der Jahreshauptversammlung gekommen. Damals wollten vier von den 55.000 Mitgliedern des "Supporters Club", der Abteilung Fördernde Mitglieder, ins Kontrollgremium. Man kritisierte eine zu opportune Pro-Hoffmann-Haltung und forderte mehr Kontrolle. Mit einem beeindruckenden Auftritt machte Hoffmann die Skeptiker mundtot, brachte die Basis auf seine Seite und setzte seine Aufsichtsräte durch. Kontinuität statt Konfrontation lautete damals die Devise.
Starker Sportchef oder Marionette
Prekärerweise war erst wenige Wochen vor Beiersdorfers Rücktritt mit Bruno Labbadia ein neuer HSV-Coach verpflichtet worden. Der dritte in nur zweieinhalb Jahren. Auch hinsichtlich dieser Fluktuation diente die siebenjährige Ära des Sportchefs als verlässliches Korrektiv. „Ich halte es für extrem fahrlässig, ausgerechnet Didi gehen zu lassen“, warnte Ex-Aufsichtsrat Axel Formeseyn, der im Januar aus dem Gremium ausschied.
Wer Beiersdorfer folgen wird, bleibt weiterhin offen. Doch genau an dieser Frage hängt die Zukunft des HSV, der sich unter Beiersdorfers Leitung immerhin fünfmal hintereinander international qualifizierte. Installiert Hoffmann einen starken Sportchef, wird er ähnliche Probleme kriegen wie mit Beiersdorfer, vertraut man einer Hoffmann-Marionette den Job an, bekämen seine ihn des Machthungers bezichtigenden Gegner Recht.
Der ehemalige HSV-Profi Beiersdorfer war für die Basis des Vereins nicht weniger als die gute Seele. Hoffmann hingegen steht unter Beobachtung, seit er zu Beginn seiner Amtszeit vehement die Ausgliederung der Lizenzspielabteilung aus dem Gesamtverein forderte. Er könnte dann wie ein Vorstandsboss eines Dax-Unternehmens schalten und walten, lediglich dem ihm wohlgesinnten Aufsichtsrat verpflichtet.
Der Supporters Club hat nun für heute Abend eine außerordentliche Mitgliederversammlung anberaumt. 1.000 Fans werden erwartet, der Aufsichtsrat muss den Vorfall detailliert schildern. Es droht, eine lange, hitzige Nacht zu werden. Dass Hoffmann zur Disposition stehen wird, ist nicht anzunehmen. Zu abhängig ist der HSV mittlerweile von seinem Kurs. Ob der Verein Beiersdorfers Abgang sportlich verkraften wird, bleibt eine spannende Frage.
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