Abschied von der Arbeitertochter

FDP Der geringste Frauenanteil seit 30 Jahren schadet dem Image, findet die Partei
Ausgabe 20/2018
Nicola Beer: Was man für die Wirtschaft ablehnt, soll auch in der Partei nicht sein
Nicola Beer: Was man für die Wirtschaft ablehnt, soll auch in der Partei nicht sein

Foto: Jens Jeske/Imago

Rudi Dutschke und Ralf Dahrendorf diskutieren auf einem Lautsprecherwagen: An diese Szene vom FDP-Bundesparteitag 1968 in Freiburg wird zurzeit oft erinnert. Der Soziologe und Konfliktforscher Dahrendorf war da noch nicht lange FDP-Mitglied, berühmt wurde er 1966 mit seiner Untersuchung Bildung ist Bürgerrecht. Die Ungerechtigkeit des Bildungssystems brachte er mit der Formel von der „katholischen Arbeitertochter vom Land“ auf den Punkt. Wie weit der Weg von Freiburg nach Berlin ist, war am vergangenen Wochenende beim FDP-Parteitag zu beobachten – es war der erste nach dem vierjährigen APO-Dasein der Partei.

„Wir wollen wachsen, also müssen wir bei Frauen stärker werden“, sagt FDP-Chef Christian Lindner schon im ersten Drittel seiner Parteitagsrede. Einige junge Männer aus der Bundesgeschäftsstelle applaudieren, eine Frau reißt jubelnd die Arme in die Luft. Den Hauch von Aufbruchstimmung, der für einen kurzen Moment im stillgelegten Kreuzberger Postbahnhof spürbar ist, macht Lindner schnell zunichte. In Wählerinnen sieht er ein „ungehobenes Potenzial“, das klingt eher nach Dax-Konzern als nach Dahrendorf. Lindner will eine FDP für Frauen, die „sich von der Gender-Ideologie frei machen“ wollen. Und stellt klar, dass es mit ihm als Vorsitzendem keine quotierte Doppelspitze geben wird. Lauter Applaus brandet auf, vielleicht auch aus Erleichterung. Zwei Stunden vor Parteitagsbeginn hatte es ein „Female Morning Meeting“ gegeben, zu dem Generalsekretärin Nicola Beer geladen hatte. Denn die FDP hat ein Problem: Nur 21,9 Prozent der derzeit rund 63.000 Mitglieder sind Frauen. Bei den Neueintritten sieht es noch schlechter aus, 12.362 neue Mitglieder wurden letztes Jahr begrüßt, nur 18,5 Prozent waren Frauen.

Der niedrigste Wert seit 30 Jahren hat das Parteipräsidium alarmiert, im April machte die FDP das Thema öffentlich, ad hoc wurde die Arbeitsgruppe „Chancen durch Vielfalt“ gegründet. Einen Trickle-down-Effekt kann die FDP noch nicht verzeichnen. Beim Treffen präsentiert Beer die Ergebnisse der Online-Umfrage, mit der sich die FDP Anfang Mai an ihre weiblichen Mitglieder gerichtet hatte: Die Beteiligung betrug 16,8 Prozent. Etwa 100 Frauen sind an diesem Morgen gekommen, um nach den Ursachen des Frauenmangels zu forschen. Auf den „Stammtisch“, bei dem die Weichen für die Personalpolitik gestellt werden, können sich hier alle einigen. „Wenn sich die Parteifreunde abends zum Schnitzel treffen, hocke ich bei den Kindern“, sagt eine Alleinerziehende. Kontrovers geht es beim Thema Frauenquote zu, die schon immer ein Reizthema in der FDP ist. Was man für die Wirtschaft ablehnt, soll auch in der Partei nicht sein: Beer spricht von einer „Krücke“, die neue Vorsitzende der Jungen Liberalen, Ria Schröder, sieht in Quoten ein „Zeichen von Resignation“. Für Frustration sorgt an diesem Morgen aber auch, dass das Thema Quote in der Umfrage ausgespart wurde. Mona Model-Faber, Delegierte aus Sachsen-Anhalt, war früher Quotengegnerin, jetzt will sie angesichts der Zahlen „ergebnisoffen diskutieren“.

Gestritten wird über die Frage, ob es überhaupt spezifisch frauenpolitische Themen gibt. Auf dem Parteitag trifft man junge Männer, die nicht nur über die Reichweite von „Influencern“ debattieren, sondern auch über die des Babyfons. Eine Delegierte aus Bayern sagt: „Gesellschaftspolitische Themen sind unsere Chance.“ Das Stichwort „gesellschaftlicher Frieden“ fällt nur in Lindners zurecht vielkritisierter Bäckerei-Anekdote. Über Minijobs, Altersarmut oder schlechte Löhne in der Pflege – von denen hierzulande überwiegend Frauen betroffen sind – hört man auf dem Parteitag nichts. Von der Arbeitertochter hat sich die FDP längst verabschiedet, stattdessen geht es um Gründerinnen der Start-up-Szene. Dort ist der Frauenanteil allerdings noch geringer als in der FDP. Gerhart Baum glaubt: „Hildegard Hamm-Brücher wäre heutzutage vermutlich für die Quote.“ Dahrendorf, Baum und Hamm-Brücher waren die Wegbereiter für die sozialliberale Koalition. Das war übrigens die Zeit, in der die FDP für Frauen unglaublich attraktiv war.

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