Auf dem Schleudersitz

Bundesregierung Annegret Kramp-Karrenbauer übernimmt das Verteidigungsministerium. Kann das gut gehen?
Mut zum Risiko oder Akt der Verzweiflung?
Mut zum Risiko oder Akt der Verzweiflung?

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Annegret Kramp-Karrenbauer übernimmt das Verteidigungsministerium. Gestern noch sah das politische Berlin Gesundheitsminister Jens Spahn, der als Favorit für den Posten gehandelt wurde, bereits beim Kofferpacken für den Umzug in den Bendlerblock. Heute morgen hockte Spahn im Kabinett um sein Gesetz zur Masern-Impfpflicht auf den Weg zu bringen, während sich die CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer auf den Weg zum Schloss Bellevue machen konnte, um die Ernennungsurkunde als Verteidigungsministerin in Empfang zu nehmen.

Mit der Berufung von Kramp-Karrenbauer ins Verteidigungsressort hat die Bundeskanzlerin einen Überraschungscoup gelandet, auch weil die von ihr Auserwählte in den vergangenen Wochen den Eindruck vermittelte, dass sie dafür nicht zur Verfügung stehe. Und das war durchaus nachvollziehbar, denn das Amt gilt gemeinhin als Schleudersitz, das politische Schicksal vieler Vorgänger von Kramp-Karrenbauer spricht da Bände. Es scheint nur schwer vorstellbar, dass man ausgerechnet in diesem Ministerium Punkte sammeln kann, um sich als künftige Kanzlerin zu empfehlen. Und für die Kanzlerkandidatur dürfte es in der CDU weiterhin weitere Aspiranten geben. Die Parteivorsitzende Kramp-Karrenbauer kämpft nicht nur persönlich mit sinkenden Beliebtheitswerten, sondern auch damit, dass sich die „Volkspartei“ CDU in den Umfragen seit Monaten weit unter der 30-Prozent-Marke bewegt. Dass die CDU-Chefin seit ihrem Amtsantritt eine souveräne Figur abgegeben hat, kann man nicht behaupten. Und nach dem schlechten Abschneiden bei der Europa-Wahl muss sie erst noch den Beweis abliefern, dass sie auch außerhalb des Saarlands eine talentierte Wahlkämpferin ist. Es gäbe in der CDU „viel zu tun“, antwortete Kramp-Karrenbauer, wenn es um Planspiele um ihren Einzug ins Bundeskabinett ging. Damit lag sie durchaus richtig. Schließlich beginnen in knapp sechs Wochen die Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern, deren Ausgang könnte in der CDU ebenfalls nicht unbedingt für Freudentänze sorgen. Ein Schritt ins Kabinett würde die Misere der Parteichefin mildern, war eine oft gehörte These der vergangenen Monate. Mehr Gestaltungsmöglichkeiten, mehr Glanz? Dass sich Kramp-Karrenbauer nun ausgerechnet ins Amt der Verteidigungsministerin wagt, kann man als Mut zum Risiko oder als Akt der Verzweiflung interpretieren. Denn zum Glänzen hat sie sich einen denkbar ungeeigneten Posten ausgesucht, selbst heroische Bilder von Kramp-Karrenbauer in Kampfmontur beim Truppenbesuch haben seit den Selbstinszenierungen von Karl-Theodor zu Guttenberg einen faden Beigeschmack.

Im Verteidigungsressort wartet auf Kramp-Karrenbauer vor allem Ungemach, die Aufklärung der Berater-Affäre, mit der sich zur Zeit ein Bundestagsuntersuchungsausschuss beschäftigt, die Kostenexplosion bei der Sanierung der Gorch-Fock und rechtsextreme Verdachtsfälle in der Truppe. Letztgenannte dürfte vermutlich arg damit hadern, dass auf eine Frau eine Frau folgt. Das zumindest zählt zum Erfreulichen der Personalie. Natürlich kann sich Kramp-Karrenbauer darauf berufen, dass all das ihre Vorgängerin verbockt hat, aber bei einer Parteichefin, die den Laden zusammenhalten muss, könnte das schnell als schlechter Stil ausgelegt werden.

Die AfD im Nacken

Zum Erbe von Ursula von der Leyen gehört aber auch der höchste Verteidigungsetat in der Geschichte der Bundesrepublik. Man kann vermuten, dass unter Kramp-Karrenbauer die Rüstungsspirale weiter gedreht wird. Im März erteilte die neue CDU-Chefin Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron eine Absage zu dessen EU-Reformplänen, sie offerierte ihm aber den Bau eines deutsch-französischen Flugzeugträgers. Kosten: 4.5 Milliarden Euro. Frankreich besitzt übrigens bereits den Flugzeugträger Charles de Gaulle mit Atomantrieb und Platz für 40 Kampfjets. Nach „Friedensmacht Europa“ klang Kramp-Karrenbauers Vorstoß nicht.

Wenn der FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff angesichts der Entscheidung für Kramp-Karrenbauer unkt, sie habe keinerlei außen-, sicherheits- oder verteidigungspolitische Erfahrungen, liegt er übrigens falsch. Im Jahr 2000 wurde sie im Saarland Landesinnenministerin, mit Ende 30 als erste Frau überhaupt auf einem solchen Posten hierzulande. Zur déformation professionelle gehört bei einer Laufbahn im Innenministerium oft der Hang zum Populismus. Als Kramp-Karrenbauer noch mit Friedrich Merz und Jens Spahn um den Parteivorsitz wetteiferte, sagte sie: Bestimmte Regionen Syriens könnten in absehbarer Zeit sicher genug sein, um abgelehnte, straffällig gewordene Asylsuchende dorthin abzuschieben.“ Vermutlich wollte sie damit Kompetenz in Sachen Law-and-Order demonstrieren. Von der tödlichen Realität in Bürgerkriegsländern schien sie da wenig wissen zu wollen, als Verteidigungsministerin wird sie solche Regionen nun oft bereisen. Lässt sie dabei nicht die wahlkämpfende CDU-Chefin, der die rechte Konkurrenz von der AfD im Nacken sitzt, zu Hause, drohen ihr weitaus gravierendere Fehltritte als das Rezo-Debakel.

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