Bayern ist nur die Speerspitze

Polizeigesetz Einen fatalen Hang zum Sicherheitswahn hatte die CSU schon zu Zeiten von Franz Josef Strauß. Nun fallen sämtliche bürgerlichen Hemmungen
Ausgabe 20/2018
Am Himmelfahrtstag demonstrierten auf dem Münchner Marienplatz mehr als 30.000 Menschen, eine Petition gegen das Gesetz fand in kurzer Zeit mehr als 100.000 Unterzeichner
Am Himmelfahrtstag demonstrierten auf dem Münchner Marienplatz mehr als 30.000 Menschen, eine Petition gegen das Gesetz fand in kurzer Zeit mehr als 100.000 Unterzeichner

Foto: Lennart Preiss/Getty Images

Die CSU in Bayern führt die Risiken der Alleinherrschaft zurzeit eindrucksvoll vor Augen. Am Dienstag boxte die christsoziale Mehrheit das umstrittene neue Polizeiaufgabengesetz durch den Landtag, mit 89 zu 67 Stimmen gegen die Opposition. Damit hat der Freistaat das schärfste Polizeigesetz der Republik. Bisher musste eine konkrete Gefahr nachgewiesen werden, wenn die Poli­zei jemanden überwachen wollte, nun reicht die „drohende Gefahr“. Die Eingriffsschwelle wird mit diesem Gesetz gesenkt und der Handlungsspielraum der Polizei massiv ausgeweitet. Experten kritisieren, dass keine deutsche Behörde seit 1945 derart umfassende Eingriffs- und Kontrollbefugnisse in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger besessen hat, wie ab jetzt Bayerns Polizei. Die Grenze zum Geheimdienst wird aufgeweicht, wenn Polizisten ohne konkreten Verdacht, Telefonate belauschen, Post beschlagnahmen und Menschen bespitzeln dürfen.

Blaupause für das Gesetz sind Maßnahmen zur Terrorbekämpfung, die nun auf sämtliche Bereiche der Kriminalität ausgeweitet werden. Ohne eine Straftat begangen zu haben, können sogenannte terroristische Gefährder in Bayern schon seit vorigem Jahr theoretisch unbegrenzt lange in Präventivhaft genommen werden. Wenn das neue Gesetz am 25. Mai in Kraft tritt, läuft potenziell jeder Gefahr, als Gefährder eingestuft zu werden, dafür muss man sich nur zur falschen Zeit am falschen Ort aufhalten. Entsprechend groß war der Widerstand, der sich von der FDP bis zur marxistischen Linken formierte. Gewerkschafter, Bürger­rechtler, Studierende, Fans des FC Bayern und der Löwen, alle waren auf der Straße. Am Himmelfahrtstag demonstrierten auf dem Münchner Marienplatz mehr als 30.000 Menschen, eine Petition gegen das Gesetz fand in kurzer Zeit mehr als 100.000 Unterzeichner. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, der innerhalb der CSU als Liberaler gilt, sprach nach der Demo von „Lügenpropaganda“. Zu den Kritikern des Gesetzes zählen übrigens renommierte Strafrechtler wie Carsten Momsen von der Freien Universität Berlin, Ex-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und der Landesdatenschutzbeauftragte.Man kann davon ausgehen, dass sie wissen, worüber sie sprechen, wenn sie verfassungsrechtliche Bedenken äußern.

Selbst die Gewerkschaft der Polizei, die sonst ziemlich zuverlässig über jede Erweiterung vonBefugnissen jubelt, ging auf Distanz. Schon vor Wochen konnte man ihren Äußerungen ein mulmiges Gefühl entnehmen, wenn es um Handgranaten und andere Explosivstoffe im Polizeieinsatz ging. Das Gesetz sei „mit einer bürgernahen Polizei nicht mehr in Einklang zu bringen“, befand die Gewerkschaft. Auch davon zeigte sich die CSU unbeeindruckt; bei der Landtagswahl im Herbst wird man sehen, ob sie sich verzockt hat. Die Proteste rufen Asso­ziationen mit Wackersdorf hervor, damals solidarisierten sich auch CSU-Anhänger nach massiven Polizeieinsätzen mit den Atomkraftgegnern. Schon wegen der AfD könne man beim Polizeigesetz nicht mehr zurück, zitierte die Süddeutsche Zeitung anonym ein CSU-Vorstandsmitglied. Einen fatalen Hang zum Sicherheitswahn hat die Partei schon zu Zeiten von Franz Josef Strauß offenbart. Das Aufkommen der AfD reicht ihr nun anscheinend, um sämtliche bürgerlichen Hemmungen fallen zu lassen. SPD, Grüne und Ex-Bundes­innenminister Gerhart Baum haben Verfassungsklagen angekündigt. Und das ist gut so, denn Bayern ist nur die Speerspitze. Schwarz-Gelb verschärft in NRW gerade ebenfalls das Polizeigesetz. Und zwar erkennbar nach bayerischem Vorbild.

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