Die AfD ist ein Fall für den Verfassungsschutz, das ist seit dieser Woche offiziell. Wirklich überraschend dürfte diese Nachricht nicht einmal für die Rechtsaußenpartei selbst gekommen sein, in den vergangenen Monaten liefen bei ihr akribische Vorbereitungen für den Fall der Fälle. Die AfD hatte die „Arbeitsgruppe Verfassungsschutz“ gegründet und selbst ein externes Gutachten bei einem Staatsrechtler in Auftrag gegeben, das ihr bescheinigte, sie erfülle allein terminologisch mit Begriffen wie „Überfremdung“, „Umvolkung“ oder „Volkstod“ reihenweise Kriterien, mit denen man sich als Kandidat für die Beobachtung prädestiniere. Am Dienstag erklärte Thomas Haldenwang, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die AfD zum Prüffall und zwei Teilorganisationen der AfD zum Verdachtsfall: der Parteinachwuchs von der „Jungen Alternative“ und das völkisch-nationale Sammelbecken „Der Flügel“ werden genauer ins Visier genommen, gegen beide Gruppierungen kann entsprechend dieser Einstufung auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln vorgegangen werden.
Die AfD-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Alexander Gauland und Alice Weidel reagierten prompt und kündigten juristische Schritte an, als die Pressekonferenz von Haldenwang noch nicht einmal beendet war. „Wir sehen den Rechtsbehelfen der AfD sehr gelassen entgegen“, kommentierte der Verfassungsschutzchef. Mit Höcke und Andreas Kalbitz treten zwei der prominentesten „Flügel“-Vertreter im Herbst bei den Landtagswahlen in Thüringen und Brandenburg als Spitzenkandidaten an. Man darf gespannt sein, wie sie die Vorschläge der parteieigenen „Arbeitsgruppe Verfassungsschutz“ im Wahlkampf umsetzen werden. Der Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung zitierte aus deren Projektbericht Maßnahmen, mit denen sich die AfD für den Verfassungsschutz weniger angreifbar machen möchte. Diese reichen von der Eindämmung „skandalträchtiger Äußerungen“, der Vermeidung von Themen, die die „sensiblen Felder wie die Jahre zwischen 1933 und 1945“ betreffen und der Empfehlung, einen „Sicherheitsabstand“ zu rechten Gruppierungen einzuhalten. Eine Distanz zum rechtsextremen Milieu würde Höcke eine einsame Existenz bescheren.
Kalbitz, der Gauland als Landeschef von Brandenburg beerbt hat und als Aspirant für höhere Ämter in der Partei gehandelt wird, hat eine einschlägige Vergangenheit als Mitglied der Republikaner vorzuweisen. Bis 2015 leitete er zudem einen Kulturverein, den ein früherer SS-Offizier gegründet hatte. Beim „Kyffhäusertreffen“, der Jahrestagung des völkischen „Flügels“, bei der seit 2016 auch Gauland und Jörg Meuthen auftreten, wird Höcke regelmäßig wie ein Messias gefeiert.
Die bürgerliche Fassade wird brüchiger
Die seit ihrer Gründung stetig voranschreitende Radikalisierung der AfD ging einher mit einem Machtzuwachs des „Flügels“, der zwar vor allem in den ostdeutschen Bundesländern reüssiert, aber inzwischen auch deutlich seine Gestaltungsansprüche auf die gesamte Ausrichtung der Partei ausdrückt, wie zum Beispiel bei der Forderung nach einem Rentenparteitag. „Sozial, ohne rot zu werden“, lautet die entsprechende Losung des völkisch-nationalen „Flügels“.
Höckes Name fiel beim Auftritt der Verfassungsschützer entsprechend häufig, eine „interessante Figur“, befand Matthias Weber, der für den Verfassungsschutz ein über 400 Seiten umfassendes Gutachten geschrieben hat, das die Grundlage für die nun verkündete Entscheidung bildet. Im Hinblick auf andere potenzielle Kandidaten, die das Bundesamt und die Landesämter in den Blick nehmen wollen, hielt man sich am Dienstagnachmittag bedeckt. Am Donnerstag berichtete Frank Jansen vom Tagesspiegel, der Verfassungsschutzbescheinige Parteichef Gauland in dem bisher nicht veröffentlichten Gutachten „völkisch-nationalistische Gesellschaftsbilder“ . Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes befürworte Gauland in Äußerungen auch „eindeutig eine Abschiebepolitik, die Migranten, Folter, Todesstrafe oder sonstigen Beeinträchtigungen der Menschenwürde“ aussetze, und das Bundesamt gehe zudem davon aus, dass der AfD-Chef, die Glaubwürdigkeit der parlamentarischen Demokratie bewusst delegitimiere. Sensationell sind diese Erkenntnisse wahrlich nicht, aber rechtlich gesehen wäre es für die AfD durchaus brisant, wenn nicht nur Landtagsabgeordneten, sondern der Parteiführung eine verfassungsfeindliche Gesinnung attestiert würde. Höcke hat die Furcht der AfD vor dem Verfassungsschutz zwar unlängst als „politische Bettnässerei“ bezeichnet, aber die bürgerlich-konservative Wählerklientel könnte auf die immer brüchiger werdende bürgerliche Fassade der AfD durchaus verschreckt reagieren.
Mit der Bewertung der AfD als Prüffall wird sich an der Arbeit der Verfassungsschützer im Vergleich zu dem, was in den vergangenen Monaten passiert ist, jedoch erst einmal nichts ändern. Seit dem sogenannten „Trauermarsch“ von Chemnitz, bei dem weniger der Schulterschluss der AfD mit Pegida irritierte, sondern der mit dem rechtsextremen Hooligan-Milieu, ist Bewegung in die Aktivitäten des Bundesamts gekommen. Unter Haldenwangs Vorgänger Hans-Georg Maaßen wurde die Überprüfung der AfD stetig verschoben, obwohl die Frage, ob die AfD ein Fall für den Verfassungsschutz sei, spätestens ab 2016 virulent war. Nach Chemnitz erklärte Thüringens Verfassungsschutz den AfD-Landesverband zum Prüffall, Bremen, Niedersachsen und Baden-Württemberg verkündeten die Beobachtung der Jungen Alternative, das Bundesamt stand entsprechend unter Zugzwang. Seit diesem Herbst hat es das Material der Landesämter gesichtet und öffentliche Aussagen von AfD-Politikern in sozialen Medien, Zeitungsartikeln und bei Parteitagen ausgewertet. Die Entscheidung für den Prüffall bedeutet, der Verfassungsschutz liest weiter. In einschlägigen Publikationen wie Götz Kubitscheks Zeitschrift Sezession oderJürgen Elsässers Magazin Compact, den Recherchejob in den Niederungen vor Ort dürfte wohl eher die Antifa erledigen. Wie lange die Phase des Prüffalls dauern wird, wollte Haldenwang am Dienstag nicht verraten, eine „Zeitschiene“ sei auch rechtlich nicht vorgeschrieben. Auch wenn der neue Verfassungsschutzchef kurz nach seinem Amtsantritt im November ankündigte, er werde künftig beim Thema Rechtsextremismus „bestimmte Akzente“ anders setzen, ist das erst einmal kein Grund für Jubel. Dafür erinnert man sich noch allzu gut an die V-Mann-Desaster, die im NSU-Prozess nicht aufgeklärt wurden.
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