An Karl-Josef Laumann ist kein Vegetarier verloren gegangen. Das Gespräch mit Tierschützern und Klima-Aktivisten fällt knapp aus. Mit ausholendem Gang schreitet Nordrhein-Westfalens Arbeits- und Gesundheitsminister an der jungen Frau, die eine Schweinemaske trägt, vorbei. Dicht an seinen Fersen: Ministerpräsident Armin Laschet. In Gütersloh tagt der Krisenstab wegen des Corona-Ausbruchs in der Tönnies-Fleischfabrik. Es ist die Zeit, in der Karl-Josef Laumann seinen Ruf festigt, der große Gegenspieler von Clemens Tönnies zu sein.
Wie Orgelpfeifen stehen Laschet, Laumann und Landrat Sven-Georg Adenauer aufgereiht. Der Landrat trägt den teuersten Anzug, was bei seiner Präsentation weniger sitzt, sind die Fallzahlen. Alle drei CDU-Politiker stehen unter Druck. Am 13. September findet in Nordrhein-Westfalen die Kommunalwahl statt. Adenauer möchte wiedergewählt werden, für Laschet, der Parteichef und Kanzler werden will und mit sinkender Beliebtheit kämpft, ist diese Wahl ein Stimmungstest. Und Laumann hat das Corona-Krisenmanagement am Hals. Groß und wuchtig steht er zwischen den beiden Rheinländern, Laumanns westfälischer Dialekt ist ein Heimvorteil, den er zu nutzen weiß. Der Anzug zerknautscht, die Ansage klar. Er will keine höheren Fleischpreise, und Schlachthöfe gehören für ihn zur Versorgungsstruktur, „ob man sie mag oder nicht“. Aber die katastrophalen Arbeitsbedingungen dort waren für ihn schon lange vor Corona ein Thema. Seit 2005 ist Laumann Bundesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CAD), ihm geht es um Werkverträge, Billiglöhne und menschenunwürdige Unterbringung. Clemens Tönnies habe ihm eine „Schlachthofmanie“ vorgeworfen, sagt er. Die Augen blitzen angriffslustig. Mit der Fleischwirtschaft könne es „keine freiwilligen Vereinbarungen geben, sondern nur klare gesetzliche Vorgaben, egal wer der Besitzer ist“.
Ist dieser Mann in der richtigen Partei? Laumann könnte mit der Frage wohl wenig anfangen. Es gibt diese westfälischen Landstriche, erzkatholisch, das Kreuz für die CDU ist dort fast so sicher wie das Amen in der Kirche. Laumann kommt aus dem Tecklenburger Land, Messdiener, Kolpingwerk, Schützenverein. 1974 ist er in die CDU eingetreten, da war er Teenager. Mit 63 Jahren ist er lang genug dabei, um die Schachzüge der wirtschaftsliberalen Apologeten der Freiwilligkeit zu kennen. Prinzipiell ist Laumann kein Gegner von Werkverträgen, aber er unterstützt das von SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil vorgelegte Gesetz, sie in der Fleischindustrie zu verbieten. Nach der Sommerpause steht die Abstimmung im Bundestag an, zur Zeit trommelt Laumann in der eigenen Partei dafür, die geplanten Regeln nicht zu verwässern. Das erinnert an die Zeit, als er in seiner Partei mit dem Credo „Eine Arbeit, von der man nicht leben kann, hat auch keine Würde“ für den Mindestlohn warb. Er tingelte vor dem Leipziger Parteitag 2011 durch die Kreisverbände, am Ende stimmte seine Partei zumindest für die Lohnuntergrenze.
„Soziales Gewissen der CDU“, „Enkel von Norbert Blüm“, „Blaumann der Partei“, solche Spitznamen begleiten Laumann. Aufgewachsen ist er auf einem Bauernhof im münsterländischen Birgte, einer Ortschaft von Hörstel, seit Jahrzehnten lebt er in Hörstel-Riesenbeck. Geografisch hat Laumann keine weite Reise angetreten, biografisch schon. Nach dem Hauptschulabschluss macht er eine Lehre zum Maschinenschlosser, wird IG-Metall-Mitglied, Betriebsrat. 1990 zieht er in den Bundestag ein und arbeitet sich zum sozialpolitischen Sprecher der Unionsfraktion hoch. 2005 geht es zurück nach Nordrhein-Westfalen, als Arbeitsminister unter Jürgen Rüttgers. 2013 wird er Patienten- und Pflegebeauftragter der Bundesregierung, auf Wunsch der Kanzlerin. Laumann ist der Erste, der ohne akademischen Abschluss Staatssekretär im Gesundheitsministerium wird. An der Pflegereform von 2017 wirkt er maßgeblich mit. Laumann schafft es, gleichermaßen feinfühlig zu klingen, egal ob er über demente Pflegebedürftige oder osteuropäische Vertragsarbeiter spricht.
Nach dem Besuch in Gütersloh sagt Laschet: „Rot-Grün hat die Werkverträge eingeführt, die zum Problem geworden sind. Unser Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat sich hier als Einziger mit wirklichem Nachdruck für eine Änderung eingesetzt.“ Das stimmt nicht ganz, Guntram Schneider (SPD), der kürzlich verstorbene frühere NRW-Arbeitsminister und DGB-Landeschef, der mit Laumann per Du war, nahm den ersten Anlauf gegen die „Hungerlöhne“ in der Fleischindustrie. Aber Laschet weiß, dass Laumann seine größte Stütze beim Thema soziale Gerechtigkeit ist. An die Rolle des Glaubwürdigkeitsgaranten hat sich Laumann längst gewöhnt. Ohne ihn hätte sich Jürgen Rüttgers kaum als „Arbeiterführer“ stilisieren können. Arbeiter wie Laumann gab es schon damals kaum noch in der CDU. Er kämpfte für Opelianer und Ältere, die nach langen Arbeitsleben in Hartz IV abrutschten. Nach dem jüngsten Karlsruher Urteil zu Hartz IV hat Laumann aber auch klargestellt, dass er von harten Sanktionen nicht lassen will.
Zwischen ihn und Laschet passe „kein Blatt Papier“, sagt Laumann, je näher die Kommunalwahl und der CDU-Parteitag rücken. 2012, nach dem Wahldebakel von Norbert Röttgen, konkurrierten beide noch um den Parteivorsitz in NRW. Laumann ist loyal, das galt bei Rüttgers und nun bei Laschet, der sein Favorit für den CDU-Vorsitz ist. Ein CSU-Kanzlerkandidat? Für Laumann unvorstellbar. Da ist er ganz Parteisoldat. Einer, wie die CDU nicht mehr viele hat. Dabei feiert sie Wahlerfolge vor allem in der Fläche, nicht in Großstädten. Und kaum einer erreicht die „kleinen Leute“ und die Landbevölkerung ähnlich authentisch wie Laumann.
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